Mittelfeldspieler hilft Kindern in Ghana
Stiftung, Studium, Predigt: Fürths Hans Nunoo Sarpei ist mehr als nur ein Fußballprofi
16.12.2021, 20:00 UhrAn einem warmen Sommerabend Anfang August spricht Hans Nunoo Sarpei von einem Hirsch. Der Fußballer des Kleeblatts steht im grauen Jogginganzug in der Kirche Sankt Michael in der Fürther Altstadt. Dekan Jörg Sichelstiel hat, wenige Tage vor dem ersten Bundesligaspiel, unter dem Motto "Gemeinsam" zum Gottesdienst geladen. Mit himmlischer Unterstützung soll es klappen, das Wunder nach dem Wunder, der Klassenerhalt nach dem Aufstieg in die erste Liga.
Sarpei, ein 23 Jahre alter Mittelfeldspieler, darf vor der Kirchengemeinde, die an diesem Abend auch aus Fans mit Schals und Trikots besteht, eine Fürbitte vortragen. Er entscheidet sich für Psalm 18 aus der Bibel. Jene Sätze, die er vor jedem Spiel in der Kabine spricht, die Worte, die ihm Kraft geben für die 90 Minuten auf dem grünen Rasen.
Der Herr ist Gott, und niemand sonst. Wer außer ihm ist so stark und unerschütterlich wie ein Fels? Gott allein gibt mir Kraft zum Kämpfen und ebnet mir meinen Weg. Er beflügelt meine Schritte, lässt mich laufen und springen wie ein Hirsch. Selbst auf steilen Felsen gibt er mir festen Halt.
Religion spielt im Leben von Hans Nunoo Sarpei eine große Rolle. Wenn der Schiedsrichter ein Spiel abpfeift, sieht man Sarpei jedes Mal zu Boden sinken. Er macht das aber nicht aus Enttäuschung oder weil ihn alle Kräfte verlassen haben. Hans Nunoo Sarpei geht zu Boden, legt seine Hände zusammen und spricht Richtung Himmel. "Der Glaube gibt mir Kraft", sagte er im August im Gespräch mit dem Fürther Dekan. "Gott beschützt mich und gibt mir Selbstbewusstsein."
Doch so freundlich Hans Nunoo Sarpei im Gespräch ist, so reflektiert er über sich, seinen Glauben und das Leben an sich spricht, so unangenehm ist er auf dem Fußballplatz. In den sozialen Netzwerken nennt er sich selbst "Warrior King", er will ein Krieger sein, der seiner Mannschaft mit seiner Härte und Zweikampfstärke hilft, erfolgreich Fußball zu spielen. Und er will mit seiner Einstellung als gutes Vorbild vorangehen.
Beim Kleeblatt hat er die Gruppe "It‘s no magic" gegründet, zu der neben ihm Angreifer Havard Nielsen und Verteidiger Marco Meyerhöfer gehören. Wer dabei sein will, verpflichtet sich, auch nach einem anstrengenden Training noch in den Kraftraum zu gehen und hart an sich zu arbeiten. Erfolg, sagt Sarpei, sei keine Magie, nichts, was einem einfach so zufliegt, sondern vor allem eines: hard work - harte Arbeit.
Mit dieser Einstellung hat es Hans Nunoo Sarpei geschafft, der Armut in Ghana zu entfliehen. "Ich weiß, wie es ist, nichts zu haben", sagt er. Doch der Fußball hat ihm geholfen, die Hoffnung zu erhalten und sich ein neues Leben in Europa aufzubauen.
2016 wechselte er von den Liberty Professionals aus Dansoman, einem Vorort der Hauptstadt Accra, zum VfB Stuttgart, der ihn später unter anderem ein Jahr in die Slowakei verlieh. So richtig heimisch geworden ist Hans Nunoo Sarpei aber erst in Fürth. Seit bald drei Jahren trägt er das weiß-grüne Trikot des Kleeblatts, hat mit der Mannschaft Tiefen durchlebt, aber auch große Erfolge gefeiert. Im Mai sind sie gemeinsam in die Bundesliga aufgestiegen.
Doch den Sommer nach dem kleinen Fürther Fußballwunder hat Hans Nunoo Sarpei nicht in einem Luxushotel in der arabischen Welt verbracht – wie es so viele Fußballer machen. Es gibt keine Fotos von ihm mit goldenen Steaks oder extravaganten Klamotten. So will der 23-Jährige nicht wahrgenommen werden.
Stattdessen hat er sich ins Flugzeug gesetzt und ist knapp 5000 Kilometer Luftlinie nach Ghana geflogen. In seine Heimat, die er knapp zweieinhalb Jahre lang nicht mehr besucht hatte. Erst wollte er eine hartnäckige Verletzung am Schambein in Deutschland auskurieren, dann kam das Coronavirus und legte das Leben lahm. Doch im Juni war es soweit. Hans Nunoo Sarpei flog nach Accra - und hatte neben Klamotten und ein paar persönlichen Gegenständen vor allem ganz viel Hoffnung im Gepäck.
Denn der Ausflug nach Ghana war kein Urlaub. Sarpei wollte die Zeit nutzen, um endlich ein Herzensprojekt voranzutreiben. Vor vier Jahren, mit 19 Jahren, wollte er schon mal eine Stiftung gründen, um den Menschen in Ghana zu helfen. "Ich hatte keine Erfahrung und habe versucht, alles alleine zu machen", sagt er. Der Versuch scheiterte. Doch seit diesem Jahr gibt es die "Hans Nunoo Sarpei Foundation". Worum es geht? Durch den Fußball, heißt es auf der Homepage der Stiftung, sei er "den Fesseln des Leidens entkommen".
Mit seiner Geschichte will Sarpei den Kindern in Ghana Hoffnung machen. Ihnen zeigen, welche Möglichkeiten der Sport bietet. Deshalb hat er im Sommer mit einigen Helfern ein Waisenhaus besucht und Schuhe, Fußbälle, Kleidung, Bücher und Lebensmittel mitgebracht. "Wir geben nicht, weil wir genug haben, sondern weil wir wissen, wie es sich anfühlt, NICHTS zu haben", schrieb er damals bei Instagram. Bei der Spende blieb es aber nicht, „wir haben auch einen Brunnen gebaut“, erzählt Sarpei. Anschließend wurde er vom deutschen Botschafter empfangen. Es soll erst der Anfang sein, Ideen hat Hans Nunoo Sarpei noch viele.
Damit seine Stiftung noch erfolgreicher wird, hat er im Januar dieses Jahres ein Sportmanagement-Studium begonnen. Zeit, sagt Sarpei, hat er ja genug. Stundenlang an der Playstation hängen? Das ist nicht seine Welt. "Ich möchte nicht warten bis zu den letzten zwei Jahren meiner Karriere", sagt er. "Es ist besser, jetzt zu studieren. Ich habe so viel Zeit nach dem Training oder dem Spiel." An manchen Tagen lernt er fünf Stunden, bildet sich, recherchiert – oder schreibt eine Seminararbeit.
Die jüngste trägt den Namen "The Leitl Effect". Darin setzt er sich mit der Arbeitsweise seines Trainer Stefan Leitl auseinander, der ihn und einen ganzen Verein besser gemacht hat. "Es geht um ganz viele Themen", erzählt Leitl. "Wie es dazu kam, Trainer zu werden, um die Philosophie, um den Umgang mit Spielern, eigentlich um alles rund um den Fußball und das Trainergeschäft." Es ist nicht alltäglich, dass Fußballer sich in einer solchen Tiefe mit ihrem Vorgesetzten und dessen Handeln auseinandersetzen. Doch Hans Nunoo Sarpei wusste, dass er seinen Trainer alles fragen kann, dass der für alle Anliegen ein offenes Ohr hat.
"Hansi hat mich um Hilfe gebeten", sagt Leitl, für den Worte wie Vertrauen keine leeren Floskeln sind, die er auf einem Trainer-Lehrgang gehört hat. "Die Jungs wissen, dass meine Tür für jeden offen ist, egal was ist." Die Zeit für seinen Krieger im Mittelfeld hat sich Stefan Leitl deshalb gerne genommen - und weil er weiß, dass er da einen Menschen in seiner Mannschaft hat, der viel mehr ist als ein Fußballprofi.
2 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen