Zufluchtsort im Lockdown: Wie uns der Wald gesund macht
3.4.2021, 06:32 UhrWir alle haben es schon gespürt: Im Wald fühlen wir uns wohl. Die kühle Luft, die Ruhe, das Säuseln der Blätter im Wind entschleunigen und entspannen. Eine Beobachtung, die schon unsere Vorfahren machten. Der Glaube daran, dass der Wald einen heilenden Einfluss auf Körper und Seele haben könnte, ist schon alt. Doch erst im Laufe des 20. Jahrhunderts begann aus der Vermutung allmählich Gewissheit zu werden.
Eine der prominentesten und gleichzeitig ersten Studien, die die Kraft der Natur auf die menschliche Gesundheit untersucht, ist im Mai 1984 im renommierten Wissenschaftsjournal "Science" erschienen. Professor Roger S. Ulrich von der schwedischen Chalmers University of Technology beschäftigt sich darin mit der Frage, ob Patienten im Krankenhaus schneller gesund werden, wenn sie aus ihrem Fenster ins Grüne sehen. Dazu begutachtete er die Daten von 46 Patienten, die sich zwischen 1972 und 1981 in einer Klinik im US-Bundesstaat Pennsylvania von der Entfernung ihrer Gallenblase erholt haben.
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Das Ergebnis: Diejenigen, die aus dem Fenster ihres Krankenzimmers auf eine Gruppe Laubbäume blicken konnten, wurden früher aus dem Krankenhaus entlassen als die Patienten, die aus dem Fenster auf eine Betonwand schauten. Wer den Blick ins Grüne genießen konnte, brauchte außerdem weniger Schmerzmittel und hatte seltener mit postoperativen Komplikationen zu kämpfen.
"Dienstleister in Sachen Klima"
Inzwischen gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Befunde, die bestätigen dass die Natur, und vor allem der Wald, dabei helfen können, Krankheiten zu bewältigen oder zu verhindern. In Japan gibt es an einigen Universitäten sogar eine fachärztliche Spezialisierung in "Waldmedizin". Und auch der Trend des "Waldbadens" schwappt nach Europa. Dabei geht es darum, die Atmosphäre de Waldes besonders bewusst zu erleben, oft gepaart mit Achtsamkeits- und Meditationsübungen.
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In Deutschland interessieren sich ebenfalls mehr und mehr Fachleute für die Heilkraft des Waldes. Erste Reha-Kliniken in Bayern bauen Aufenthalte im Wald gezielt in ihre Therapieprogramme ein und manche Psychotherapeuten treffen sich dort zu Gesprächen mit ihren Patienten. "Es gibt etwas, das Menschen im Wald guttut", bilanziert Matthias Fischer.
Der Anthropologe ist Mitglied der Naturwald Akademie, einer unabhängigen Forschungseinrichtung mit Sitz in Lübeck, die den Wald unter ökologischen und gesundheitlichen Aspekten untersucht. "In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für den Wert unserer Wälder gestiegen", sagt er. "Viele sehen ihn nicht mehr nur als Wirtschaftsfaktor, sondern auch als wichtigen Dienstleister in Sachen Klima und Gesundheit." Fischer weiß, dass die ruhige, geschützte Atmosphäre unter den Bäumen die menschliche Psyche positiv beeinflusst. "Leute, die regelmäßig im Wald sind, fühlen sich weniger depressiv, sind entspannter und zufriedener. Auch Kinder mit ADHS können profitieren."
Mehr Bäume, weniger Depressionen
Effekte, die auch eine Studie des Nationalparks Schwarzwald belegt. Probanden beurteilten ihr Wohlbefinden darin nach einem Waldspaziergang deutlich positiver als zuvor. Und in Leipzig konnte eine im Februar veröffentliche Untersuchung, durchgeführt unter anderem vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, zeigen, dass eine große Anzahl an Straßenbäumen in der Nähe der eigenen Wohnung das Risiko senkt, an einer Depression zu erkranken.
Spaziergänger, Radfahrer, Jogger, Nordic-Walker – ihnen allen bietet der Wald ein ideales Umfeld. Etwa 30 Prozent der Fläche der Bundesrepublik Deutschland sind von Wald bedeckt, in Bayern sind es 35 Prozent. Im Vergleich der Nationalstaaten bedeutet das einen Mittelfeldplatz in Europa. Finnland hat mit rund 73 Prozent seiner Fläche den größten Waldanteil in Europa.
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Auch in der Region gibt es zahlreiche Waldgebiete, die zum Verweilen, Spazieren und Sporttreiben einladen. Der Nürnberger Reichswald zum Beispiel, der Naturpark Frankenhöhe oder die Mischwälder rund um Neumarkt. Besonders in Zeiten der Corona-Pandemie, die viele gewohnte Freizeitbeschäftigungen unmöglich gemacht hat, kommt den Wäldern eine große Bedeutung zu. Als Ausflugsziel, als Zufluchtsort, als Abenteuerspielplatz. Fischer sieht darin einen deutschlandweiten Trend. "Wir merken, dass praktisch in allen Wäldern durch Corona höhere Besucherzahlen erreicht werden als gewöhnlich."
Mountainbiker sollten auf den Wegen bleiben
Auch Jan-Paul Schmidt, Sprecher der bayerischen Staatsforsten beobachtet, dass gerade die stadtnahen Wälder aktuell stark besucht sind. Er lobt, dass sich die Meisten umweltbewusst verhalten: "Die breite Masse der Waldbesucher hält sich an die ausgeschriebenen Wander- und Radwege. Wir beobachten sogar den Trend, dass vermehrt neue offizielle Wander- und Radwege ausgewiesen werden." Konflikte zwischen Besuchern und der Natur sind eher selten.
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"Probleme entstehen nur dort, wo es zu negativen Folgen für Natur und Tiere kommt. Es gibt eine Reihe von Tieren, die auf Störungen sehr empfindlich reagieren – und die wollen wir natürlich schützen", sagt Schmidt. Im Frühjahr bekommen etwa Rehe und Wildschweine Nachwuchs. Sie fühlen sich mitunter gestört, wenn Jogger, Mountainbiker oder Spaziergänger querfeldein unterwegs sind.
Grundsätzlich muss aber niemand befürchten, dass eine Anwesenheit im Wald der Tierwelt schadet. "Wir sind ja nicht in Sibirien", sagt Matthias Fischer von der Naturwald Akademie. "Die Tiere sind es hierzulande gewohnt, dass auch Menschen im Wald unterwegs sind." Er empfiehlt lediglich, in der Nähe der Waldwege zu bleiben, vor allem im Frühjahr. Pilzesammeln oder Blumenpflücken sei dagegen unproblematisch – solange man nicht jeden Tag säckeweise Steinpilze oder Maiglöckchen mit nach Hause nimmt.
Die Luft ist so gesund wie am Meer
Wirklich schädlich wird es für die Natur erst, wenn sich Mountainbiker querfeldein ihre Pfade durch den Wald bahnen. "Durch den Druck und das Rütteln der Räder wird der Boden immer dichter. Dadurch kommen weniger Wasser und Luft in die Böden", erklärt Fischer. In der Erde bilden sich dann weniger der für das Pflanzenwachstum wichtigen Nährstoffe. Solange man nicht wild durchs Unterholz jagt, spricht aber nichts gegen eine Ausfahrt mit dem Mountainbike im Wald.
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Ganz im Gegenteil. Schließlich haben Aufenthalte im Wald nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf den Körper positive Auswirkungen. Sport und Bewegung sind generell gesund, im Wald jedoch ganz besonders. "Waldluft enthält extrem wenig Staub, die Werte sind ähnlich niedrig wie am Meer oder auf höheren Bergen. Bis zu 50 Tonnen Ruß und Staub kann ein einziger Hektar Wald pro Jahr aus der Atmosphäre filtern", weiß Jan-Paul Schmidt von den bayerischen Staatsforsten. "Bäume geben sogenannte Terpene und ätherische Öle ab, die nicht nur frisch, würzig und angenehm riechen, sondern auch heilsam für die Bronchien sind."
Killerzellen vermehren sich
Diese Terpene – Stoffe, die Bäume ausstoßen, um miteinander zu kommunizieren – sorgen auch für den charakteristischen Geruch des Waldes, den wir oft als eine Mischung aus Holz, Moos und feuchter Luft wahrnehmen. Anthropologe Fischer erklärt, dass die Waldluft unsere Atemwege befeuchtet und so das Lungenvolumen leicht erweitert. Außerdem sinke der Spiegel des Stresshormons Cortisol im Blut. Die Muskulatur entspannt sich, der Pulsschlag wird langsamer.
"Wir wissen auch, dass der Wald das Immunsystem stärkt. Nach längeren Waldaufenthalten steigt die Zahl der Killerzellen gegen Krebs im Blut deutlich an", sagt Fischer. Ein guter Grund, mal wieder einzutauchen in den Wald. Und ihn mit allen Sinnen zu spüren.
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