DGB-Chef: "Homeoffice darf nicht zur allgemeinen Pflicht werden"

Alexander Jungkunz

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28.1.2021, 10:07 Uhr
Fordert klare Regelungen fürs Homeoffice: DGB-Chef Reiner Hoffmann.

© Florian Gaertner/photothek.net/imago images Fordert klare Regelungen fürs Homeoffice: DGB-Chef Reiner Hoffmann.

Herr Hoffmann, glauben Sie, dass der 1. Mai in diesem Jahr wieder mit echten Kundgebungen gefeiert werden kann und gibt es schon ein Motto?

Reiner Hoffmann: "Solidarität ist Zukunft" heißt das Motto. Veranstaltungen gibt es dann vermutlich immer noch nur unter den Hygiene-Bedingungen, die die Pandemie uns auferlegt. Aber wir werden vor Ort präsent sein. Und wir sind darauf vorbereitet, auch ein digitales Format anzubieten – damit haben wir am 1. Mai 2020 bereits sehr gute Erfahrungen gemacht.

Die Infektionszahlen sinken, viele hoffen auf ein rasches Ende des Lockdown – wie soll die Politik reagieren? Vorsichtig bleiben oder lieber doch öffnen, damit die Wirtschaft in Gang kommt – was ja auch den Beschäftigten hilft?

Hoffmann: Wir fahren zurzeit noch auf Sicht. Es ist erfreulich, dass die Zahlen deutlich zurückgegangen sind. Wir wissen aber auch aus unseren Nachbarländern, dass es angesichts der Mutation des Virus zu früh ist für Entwarnung. Deshalb bleiben Sorgfalt und Verantwortung von allen gefordert, damit wir keine dritte Welle erleben, die uns wirtschaftlich und sozial vor noch größere Herausforderungen stellen würde.


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Momentan setzen fast alle auf Homeoffice. Sie sehen viel Klärungsbedarf. Wo vor allem?

Hoffmann: Unter den Corona-Bedingungen ist es erst mal richtig, dass möglichst vielen Menschen Homeoffice angeboten wird. Aber wir sehen neben den Chancen auch Risiken. Homeoffice darf nicht zur allgemeinen Pflicht werden. Es darf auch nicht sein, dass Beschäftigte an ihren angestammten Arbeitsplatz zurückkommen – und dann beginnt die Reise nach Jerusalem, wo keiner mehr weiß: Wo ist eigentlich mein Arbeitsplatz?

Weil Firmen die Chance sehen, ihre Büroflächen zu reduzieren?

Hoffmann: Genau. Einige Unternehmen glauben, dass sie ein Kostensenkungsprogramm fahren können, indem sie die Hälfte der Mietkosten wegrationalisieren. Das ist keine Perspektive. Wir brauchen eine gesunde Mischform. Aus der Perspektive der Beschäftigten kommt es darauf an, die Chancen zu nutzen für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. Die Arbeitszeit muss zum Leben der Menschen passen.


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Homeoffice auf Dauer ist auch keine Lösung, die für alle passt...

Hoffmann: Viele können ja gar nicht mobil arbeiten, weil sie an ihre Produktionsstätte müssen oder in ihre Klinik. Und: Arbeit ist immer auch ein Stück Identität, Identifikation – und Kommunikation unter Menschen, in der Kaffeepause, beim Mittagessen. Das fällt beim Homeoffice weg. Das geht zu Lasten von Kreativität und Innovationspotenzialen.


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Welche Risiken sehen sie beim Homeoffice noch?

Hoffmann: Wir erleben die Gefahr der Rückkehr zu klassischen Rollenverhältnissen zwischen den Geschlechtern. Es besteht das Risiko, dass die Doppelbelastung Arbeit und Familie wieder bei den Frauen hängen bleibt. Das wäre ein Anachronismus, den wir verhindern müssen. Homeoffice kann auch zu Arbeitsverdichtung führen, zu Überlastung und nicht bezahlter Mehrarbeit. Deshalb brauchen wir klare Spielregeln.

Wie soll die Arbeitszeit erfasst werden? Mit der Stechuhr daheim?

Hoffmann: In Zeiten der Digitalisierung ist das mit moderner Technik doch machbar, mit einer App zum Beispiel. Ich verstehe nicht, warum die Arbeitgeber ein bürokratisches Hemmnis darin sehen, Arbeitszeiten zu erfassen. Und weil auch im Homeoffice jede Menge Überstunden anfallen, brauchen wir moderne Zeiterfassungssysteme – sonst erleben wir Lohn-Diebstahl.

Viele klagen zum Beispiel über Rückenschmerzen im Homeoffice. Muss der Arbeitgeber da für die passende Ausstattung sorgen?

Hoffmann: Wenn es auf Dauer Mischarbeitsplätze gibt, dann muss der Arbeitsplatz im Homeoffice genauso gut sein wie der im Betrieb. Das ist mit geringen Mehrkosten, aber auch mit erheblichen Effizienzgewinnen verbunden. Deshalb brauchen wir da klare Spielregeln für eine moderne, digitale Arbeitswelt.


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Sie sind für ein Recht auf Unerreichbarkeit. Wie soll das konkret aussehen? Viele nützen die Flexibilität ja gern... Und was tun, wenn der Chef nachts oder am frühen Morgen eine Mail schickt?

Hoffmann: Wir haben klare Arbeitszeitregelungen in den Tarifverträgen, die sind einzuhalten. Erreichbarkeit rund um die Uhr – das kann nicht sein. Das sagt selbst Arbeitgeberpräsident Dulger, da nehme ich ihn beim Wort. Wir müssen Zeiten der Nichterreichbarkeit festlegen, flexibel und auf Augenhöhe, am besten in Betriebsvereinbarungen.

Sie fordern ein dauerhaftes Recht auf Homeoffice. Wie viele Tage im Jahr sollen's denn sein?

Hoffmann: Arbeitsminister Heil schlägt 20 Tage vor. Das war ein erster Schritt. Ich finde es gut, wenn sich die Beschäftigten mit ihren Betriebs- und Personalräten und den Arbeitgebern auf kluge Regelungen einigen?


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Wir erinnern uns noch ans Beifallklatschen für systemrelevante Berufe. Vom Beifall aber können sich Verkäuferinnen, Müllwerker oder Pflegekräfte nichts kaufen. Wann kommen Tarifforderungen und -verträge, die genau diese Berufe stärken?

Hoffmann: Da, wo wir Tarifverträge haben, sind wir ganz gut aufgestellt. In der Krankenpflege gibt es weitgehend tarifgebundene Beschäftigungsverhältnisse. Anders sieht es in der Altenpflege aus mit vielen privaten oder kirchlichen Anbietern, da haben wir deutlich schlechtere Bedingungen. Daher muss das Ziel sein, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Da müssen die Arbeitgeber und auch die Koalition ihre Blockadehaltung aufgeben. Mehr Tarifbindung ist die beste Medizin für mehr Sicherheit der Beschäftigten.

Dürfen Geimpfte früher zurück ins Büro oder früher ihre Geschäfte öffnen?

Hoffmann: Da betreten wir Neuland. Ich bin für ein behutsames Vorgehen mit einer diskriminierungsfreien Strategie. Wir müssen jetzt erst mal erreichen, dass möglichst viele Menschen geimpft werden, und so lange jedes weitere Risiko vermeiden. Das bleibt anstrengend. Auch ich finde es schade, nicht in die Kneipe zu gehen und die KollegInnen nur am Bildschirm zu sehen, aber da müssen wir noch eine Weile durch. Der Schutz der Menschen muss im Zentrum stehen.

Wie kommt das Land heraus aus der Krise?

Hoffmann: Wir dürfen nicht wieder in die Schuldenfalle gehen, wir müssen klug und massiv in die Infrastruktur investieren. Da finde ich den Vorstoß von Kanzleramtsminister Braun sehr wichtig, die Schuldenbremse auszusetzen. Die reflexhafte Antwort des Vorsitzenden des Sachverständigenrates lautete, wir bräuchten die Rückkehr zu solider Finanzpolitik – das aber würde eine Investitionsblockade bedeuten. Solche Sachverständigen brauchen wir nicht. Wir dürfen der Politik nicht die Luft zum Investieren nehmen. Es gibt einen gigantischen Investitionsbedarf von zusätzlichen 450 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren. Gürtel enger schnallen ist da die falsche Antwort.

Wer den Jahresauftakt in der Reihe "Zeitenwechsel" am Donnerstag, 28. Januar (18 Uhr) digital verfolgen will - hier der Link: www.mittelfranken.dgb.de

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