Umstrittener Trend: Darum boomt das Hanfprodukt CBD
19.2.2021, 06:05 UhrWird das Hanfprodukt Cannabidiol (CBD) nur für harmloses Wellness genutzt oder gehen die Konsumenten ein unbekanntes Risiko ein? Anders als der psychoaktive Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) löst das im Cannabis enthaltene CBD keinen Rausch aus. Dennoch wird über die gesundheitlichen Folgen ebenso erbittert gestritten wie über die unklare Rechtslage. Vor zwei Wochen ließ die Polizei sogar einen CBD-Automaten am Nürnberger Hallplatz räumen.
Es ist ein Trendprodukt: Seit rund zwei Jahren steigt die Nachfrage nach Ölen, Keksen und Mundsprays mit CBD, einen regelrechten Boom erlebt es seit Beginn der Corona-Pandemie. Wahre Wunder werden der Substanz nachgesagt. Sie soll nicht nur entspannen, sondern auch Ängste lindern, ebenso Schmerzen, Entzündungen und weitere Beschwerden. Locker durch den Lockdown?
Auch Götze und Klaas investieren
Lang ist die Liste der kleinen und großen Probleme, die CBD den Nutzern zufolge lösen kann – und deshalb verkauft es sich prächtig. Vom CBD-Kaugummi über das Spray bis hin zum Öl, das auf die Mundschleimhaut geträufelt wird: Das Produkt lässt sich für jede Zielgruppe passgenau vermarkten. Beim 2018 gegründeten Berliner Start-up Sanity Group, das Europas führendes Unternehmen für medizinisches Cannabis und CBD werden will, sind gerade zahlreiche Prominente als Investoren eingestiegen.
Darunter Fußball-Weltmeister Mario Götze, Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf, der US-Rapper Will.i.am und das Model Stefanie Giesinger. Im Rahmen zweier Finanzierungsrunden hat die Sanity Group 2020 rund 25 Millionen Euro eingesammelt. Auf 1,8 Milliarden Euro pro Jahr schätzte der Cannabis-Verband im Dezember 2020 den gesamten Umsatz mit CBD-Produkten in Deutschland.
"Es gibt einen Hype um Cannabis, seit 2017 das Gesetz zur Verwendung in der Medizin kam. Findige Menschen kamen dann auf die Idee, auch den Cannabis-Bestandteil Cannabidiol zu vermarkten", sagt Oberarzt Dirk Risack vom Klinikum Nürnberg. "Da ging es nicht darum, dass dieses CBD eine großartige Wirkung hätte, sondern dass man in einem Markt Fuß fassen wollte. Und isoliertes CBD erschien als leicht vermarktbar, weil es zunächst nicht als genehmigungspflichtiges Medikament, sondern als Nahrungsergänzungsmittel galt" erklärt der Anästhesist. "Aber die rechtliche Situation ist inzwischen unklar."
Razzien in fränkischen Hanfläden
Nach einer Reihe unterschiedlicher Gerichtsurteile befindet sich CBD in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone. Drogerien wie Rossmann und dm hatten die entsprechenden Produkte daher zeitweise aus ihren Regalen verbannt, ein Teil davon ist derzeit wieder erhältlich. Sehr restriktiv wird die Rechtslage in Bayern interpretiert, wie etliche Razzien in Hanf-Shops in München, Würzburg und auch Nürnberg zeigen.
Produkte beschlagnahmt
Nahe der Kaiserburg hat Max Ezel im Juni 2019 seinen Laden "Greenz" eröffnet, nach drei Wochen kam die Polizei und beschlagnahmte alle Produkte und Geschäftsunterlagen. Es war nicht die letzte Razzia, obwohl er seitdem gar kein CBD mehr anbietet, sondern nur noch Hanfprodukte, die mit einem THC-Gehalt von maximal 0,2 Prozent legal sind. "Aber die Kunden waren eben vor allem an CDB interessiert", ärgert sich Ezel und schätzt seinen Verlust auf rund eine halbe Million Euro pro Jahr.
Was er nicht verstehen kann: "500 Meter von hier kann man CBD in einer Drogerie kaufen, ein Öl wie in meinem Laden. Und ähnlich weit entfernt gibt es das auch in einem Reformhaus. Ich fordere gleiches Recht für alle." Sogar in der Parfümerie Douglas wird CBD verkauft, ohne dass die Staatsanwaltschaft die Nase rümpft. Was Ezel erst recht nicht nachvollziehen kann: "Das ist doch kein Parfum!"
Tricks und Versteckspiele
Ein Blick in die Regale von Drogerien und Parfümerien zeigt aber, dass eine kreative Vermarktung vor juristischem Ärger schützen kann. Wenn eine Substanz nicht geschluckt, sondern nur daran geschnuppert oder als Creme aufgetragen wird, greifen die strengen lebensmittelrechtlichen Vorgaben nicht. Und so verkauft etwa eine Drogerie ihr CBD-Öl unter der Bezeichnung "Aromaöl" und empfiehlt, abends ein paar Tropfen aufs Kopfkissen zu geben. Dabei ist es unter Nutzern üblich, ein Öl auf die Mundschleimhaut zu träufeln. Die Kategorie "Geruch" existiert gar nicht in einem einschlägigen Internetportal, das CBD-Produkte testet. Dort wurde dieses angebliche "Aromaöl" positiv in der Kategorie "Geschmack" bewertet.
Solche Versteckspiele sind womöglich bald nicht mehr nötig: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) könnte für mehr Klarheit sorgen. Im November 2020 hatte der EuGH entschieden, dass CBD "offenbar keine psychotropen Wirkungen oder schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit" hat. Es könne auch nicht als "Suchtstoff" oder "Droge" eingestuft werden. Infolge dieser Entscheidung prüft die EU-Kommission jetzt wieder die zuvor auf Eis gelegten Zulassungsanträge für CBD-Produkte als "neuartige Lebensmittel". Die Branche hofft auf eine baldige und eindeutige Entscheidung. "Das lässt uns durchhalten", sagt der Hanfladenbetreiber Ezel. "Ein geregelter CBD-Markt wird nun greifbarer", freut sich Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer des Verbands der Cannabiswirtschaft e.V., der sich auch ein offizielles Gütesiegel für Qualität wünscht. Denn, das gibt Neumeyer offen zu: "Es gibt auch Mist auf dem Markt."
Höchst unterschiedlich wird die Wirkung von CBD interpretiert. Viele Nutzer spüren gar nichts. Und die, die von einer Wirkung berichten, schildern sie ganz unterschiedlich. Alles nur Einbildung? Während manche Mediziner vor CBD warnen, sprechen andere von einem Placebo. "Cannabis ist ein extrem komplexes Thema", betont der Mediziner Risack. "Bei der Einnahme einer normalen Schmerztablette wird über einen Rezeptor im Körper eine Wirkung erzeugt, die bei den meisten Anwendern ähnlich ist. Bei CBD ist das anders, hier ist auch der Grundzustand des Rezeptors entscheidend für das Empfinden."
Die Wirkung: höchst unterschiedlich
Bekannt ist die individuell sehr unterschiedliche Wirkung von Cannabis bereits beim Konsum des Wirkstoffs THC als Droge, etwa in Form eines Joints: "Manche werden entspannt, andere sind aufgedreht, die einen fühlen sich sehr wohl und andere empfinden den Zustand als unangenehm oder werden ängstlich", schildert Risack. "Hier ist auch das Nervensystem des Nutzers relevant, Faktoren wie innere Unruhe oder Anspannung beeinflussen die Wirkung."
Cannabis erfolgreich in der Corona-Therapie angewandt
Anders als der Cannabis-Bestandteil THC löst CBD aber kein "High" aus. "Es kann aber angsthemmend und krampflösend wirken, möglicherweise ist es auch entzündungshemmend und antipsychotisch", sagt der Mediziner. "Diese Begriffe klingen krass, der Effekt ist es aber nicht: CBD wirkt ganz mild, es ist modulierend. Manche Ärzte sprechen von einem Placebo, wir wissen es nicht genau." Seine Einschätzung: "Im Großen und Ganzen ist CBD wohl eher harmlos." Risack nennt aber zwei problematische Punkte. Bedenklich sei die Anwendung, wenn jemand gleichzeitig Medikamente einnehmen muss: "Da sind Wechselwirkungen denkbar, die die Wirkung der Medizin verstärken oder abschwächen können."
Und dann gibt es noch das Problem, dass bei vielen Produkten die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe nicht klar ist. Daher warnt auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eindringlich vor dem Konsum von CBD-Produkten. Das gilt insbesondere für Bestellungen aus dem Internet, aber auch vom Kauf von Produkten aus Drogerien und Apotheken wird abgeraten. Sowohl der gewünschte Inhaltsstoff CBD wie auch der juristisch auf maximal 0,2 Prozent begrenzte THC-Gehalt können stärker oder schwächer sein als angegeben. Den Verbraucherzentralen zufolge hatten 2019 mehr als die Hälfte der kontrollierten Produkte einen zu hohen THC-Anteil und fallen daher unter das Betäubungsmittelgesetz.
Fränkische Textilfirma HempAge setzt auf Hanf
Der Nürnberger Mediziner kennt insgesamt etwa zehn bis zwanzig CBD-Nutzer. "Wenn jemand meint, dass er mit CBD ruhiger werden und besser schlafen kann, und er das mit einer gleichbleibend niedrigen Dosierung schafft, dann spricht grundsätzlich nichts dagegen", sagt Risack. "Wichtig ist es aber, Kontakt zu einem Arzt zu halten. Wenn ich die Anwendung bei einem Patienten für sinnvoll halte, dann schreibe ich ihm ein Rezept für eine Mischung in der Apotheke – dann ist auch klar, was drin ist."
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