Niemand will Reiseführer: Fränkischer Verlag in der Corona-Krise
6.4.2020, 05:45 UhrEigentlich war der Michael Müller Verlag noch bestens ins neue Jahr gestartet. "Wir haben viele wichtige Titel auf den Markt gebracht, alles lief gut an - und dann wurden wir kalt erwischt", sagt Programmleiter Karsten Luzay.
Corona und Tourismus: Branche schlittert in die Krise
Kein Mensch kauft mehr Reiseführer. In den geschlossenen Buchläden sowieso nicht, aber auch nicht online. Sogar Amazon hat nun alle Bücher in der Prioritätenliste herabgestuft. Der Online-Versandhändler setzt momentan vor allem auf Waren des täglichen Bedarfs.
Michael Müller Verlag: "Extrem hart getroffen"
"Unser Verlag wird durch die Corona-Krise extrem hart getroffen. Wir werden jetzt keine weiteren Auslieferungen von Neuauflagen durchführen, und auch alle Druckaufträge wurden gestoppt", sagt Verleger Michael Müller, der den Erlanger Michael Müller Verlag zu einem von Individualreisenden hoch geschätzten Vertreter der Zunft aufgebaut hat.
"Wir haben 85 Titel lieferbar. Aber natürlich bestellt sie momentan niemand. Um Kosten zu sparen, haben wir jetzt die Neuproduktion für dieses Jahr zunächst auf Null gestellt", sagt Luzay. Die rund 20 festangestellten Mitarbeiter des Verlags sind seit 1. April komplett in Kurzarbeit, um die Ausgaben auf ein Minimum zu reduzieren.
Reiseführer: Recherche ist derzeit unmöglich
Vor Ort recherchieren kann momentan keiner der Autoren. "Und auch die Online-Recherche bringt momentan nicht viel. Man weiß ja gar nicht, welche Restaurants und Hotels nach der Krise überhaupt noch existieren", verdeutlicht Vertriebsleiterin Katharina Hokema.
Corona und Reisen: Verbrauchern drohen hohe Stornokosten
Für die Autoren ist die Krise ein harter Schlag. Sie müssen ihre Recherchepläne komplett umschmeißen, geplante Neuauflagen (und die damit verbundenen Einnahmen) können sich um Jahre verschieben. Viele plagen Existenzsorgen.
"Ein Reiseführer wird immer anlassbezogen gekauft, nicht auf Vorrat. Den Anlass, also die Reise, gibt es jetzt nicht. Also wird auch kein Reiseführer gekauft", erklärt Hokema. Sie ist allerdings überzeugt, dass die Krise die Reiseführerverlage langfristig unterschiedlich hart treffen wird. "Momentan trifft es natürlich alle gleich stark. Aber wenn es langsam wieder Lockerungen gibt, wird der Massentourismus noch sehr viel stärker in der Krise sein als der Individualtourismus", glaubt sie.
Mittlerweile hat der Verlag auch eine Strategie für den Wiedereinstieg ins Geschäft. "Die Leute werden am Anfang vor allem in den Nahbereich reisen. Wir werden uns deshalb vor allem auf diese Titel konzentrieren. Zum Glück haben wir viele Nahreiseziele im Programm und auch ein starkes Europa-Programm. Wir haben auch etliche Reiseführer, die wir relativ schnell auf den Markt bringen könnten, zum Beispiel zur Ostseeküste", sagt Luzay.
Nicht mehr alle Infos stimmen nach der Krise
Bei den vielen jüngst erschienen Reiseführer, die noch auf Lager liegen, werden natürlich nicht mehr alle Infos stimmen. So manches schnuckelige Hotel, so manches lauschige Café wird die Krise nicht überleben. "Aber unsere Leser werden in dieser Situation Verständnis dafür haben", ist Luzay überzeugt.
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Beim Verlag rechnet man nicht damit, schon im Sommer wieder große Umsätze zu erzielen. "Natürlich ist das existenzbedrohend, wie für sehr viele Unternehmen. Aber wird sind überzeugt, dass wir eine starke Marke haben und damit auch punkten werden", glaubt Hokema.
"Der Mensch lebt nicht von Brot und Klopapier allein"
Der Nürnberg Ralf Nestmeyer, für den Michael Müller Verlag in so populären Reisegebieten wie Südfrankreich, Paris, London und natürlich Franken unterwegs, hat immerhin auch Krimis und Sachbücher geschrieben, mit denen er jetzt noch ein paar Euro verdienen kann. Trotzdem fordert er als Vizepräsident der Schriftstellervereinigung PEN die baldige Wiedereröffnung der Buchhandlungen.
"Wenn der größte Online-Buchhändler vorrangig Windeln und Hundefutter ausliefert, stellt dies auch einen Einschnitt in die Meinungsfreiheit dar. Weinhandlungen werden als systemrelevant erachtet, während es vertretbar scheint, Buchhandlungen und Bibliotheken zu schließen. Der Mensch lebt nicht von Brot und Klopapier allein, er braucht auch geistige Nahrung!", betont Nestmeyer.
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