Verschuldung explodiert

"Explodierende Verschuldung droht": Nürnbergs Kämmerer will Stadtrat auf Diät setzen

André Fischer

E-Mail zur Autorenseite

30.9.2021, 08:28 Uhr
Die Schulden der Stadt Nürnberg werden in den nächsten Jahren explodieren. Eigenbetriebe der Stadt sind die Stadtentwässerung, die Abfallwirtschaft, das Stadion, NürnbergBad, NürnbergStift und SÖR. ÖPP-Projekte sind Gemeinschaftsunternehmen von der Stadt und von Privatfirmen, etwa um eine Schule zu bauen - die Stadt zahlt dann in Raten die Vorfinanzierung ab.

© Stadt Nürnberg, Redaktionsservice VNP Die Schulden der Stadt Nürnberg werden in den nächsten Jahren explodieren. Eigenbetriebe der Stadt sind die Stadtentwässerung, die Abfallwirtschaft, das Stadion, NürnbergBad, NürnbergStift und SÖR. ÖPP-Projekte sind Gemeinschaftsunternehmen von der Stadt und von Privatfirmen, etwa um eine Schule zu bauen - die Stadt zahlt dann in Raten die Vorfinanzierung ab.

"Es drohen eine explodierende Verschuldung und der Verlust der Handlungsfähigkeit", sagte Kämmerer Harald Riedel bei der Einbringung des städtischen Haushalts in den Stadtrat. Er befürchtet Auflagen der Regierung von Mittelfranken. Zwischen 2003 und 2010 hatten solche Auflagen die Handlungsfähigkeit der Stadt stark eingeschränkt. Riedel forderte eine "Beschlussdiät" für neue Vorhaben: "Wir haben kaum mehr Spielraum für weitere teure Projekte."


Kommentar: Investieren und sanieren - nicht alles geht gleichzeitig


Die geplante Gartenschau könne sich Nürnberg nicht leisten. Er forderte vom Stadtrat, angesichts des Schuldenbergs von derzeit 1,7 Milliarden Euro den Neubau des Stadions innerhalb der nächsten zehn Jahre Privaten zu überlassen. Vom Freistaat will Riedel die komplette Übernahme der Kosten für die Sanierung und Erweiterung des Opernhauses. Nürnberg habe den Konzertsaal gestrichen und in München plant der Freistaat, ein Konzerthaus für 700 Millionen Euro zu finanzieren. "Es ist nicht mehr als recht und billig, auch in Nürnberg einen Ort der Hochkultur in dieser Größenordnung zu 100 Prozent zu finanzieren."

Nürnberg hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller kreisfreien Städte in Bayern.

Nürnberg hat die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller kreisfreien Städte in Bayern. © Stadt Nürnberg, Redaktionsservice VNP

Von Bund und Land verlangt Riedel, dass Nürnberg pro Jahr 50 Millionen Euro erhält, damit Nürnberg den "gigantischen Stadtumbau" zum Erreichen der Klimaneutralität schultern kann. Schließlich forderte er den Stadtrat auf, darüber nachzudenken, ob die Einführung des 365-Euro-Tickets, das für 2023 vorgesehen ist, nicht noch einmal verschoben werden kann, bis Bund und Land bereit sind, Zuschüsse dafür zu geben. Sonst müsste die Stadt jedes Jahr 28 Millionen Euro zusätzlich aufbringen. Selbst das finanzstarke München werde mit der Einführung abwarten. Beim Frankenschnellweg gebe es die Möglichkeit, im Bestand zu sanieren.

Nürnberg gibt sehr viel Geld für Schulbauten aus. Die neue Bertolt-Brecht-Schule ist auf der Zielgeraden, doch es stehen schon neue Schulprojekte an.

Nürnberg gibt sehr viel Geld für Schulbauten aus. Die neue Bertolt-Brecht-Schule ist auf der Zielgeraden, doch es stehen schon neue Schulprojekte an. © Günter Distler

Riedel nutzte die Stadtratssitzung zu einer umfangreichen Positionsbestimmung der finanziellen Situation. Diskutiert und abgestimmt wird über den Haushalt 2022 und die Finanzplanung für die kommenden vier Jahre erst im November.

Wie entwickelt sich die Verschuldung?

2021 muss die Stadt 199,8 Millionen Euro neue Schulden machen, 2022, 2023 und 2024 werden es ebenfalls jeweils rund 200 Millionen Euro sein, wenn es nicht mehr Zuschüsse von Bund und Land gibt oder Vorhaben gestrichen werden. Durch Verschiebungen und Kürzungen wird der Haushalt 2022 um 76 Millionen Euro entlastet.

Warum steigen die Schulden so rasant?

Seit 2008 hat sich das Investitionsvolumen der Stadt vervierfacht. Vor 14 Jahren standen im auf vier Jahre angelegten mittelfristigen Investitionsplan Projekte für 344 Millionen Euro, 2022 sind 1,337 Milliarden Euro. Doch es gibt noch weitere Gründe. Seit 2008 hat die Stadt mit ihren Töchtern 2929 neue Stellen geschaffen. Auch 2022 soll es 273 neue Stellen geben. Während die Steuereinnahmen seit 2008 um 13,5 Prozent gestiegen sind, wuchsen die Personalausgaben um 35,2 Prozent, die Ausgaben im Sozialbereich um 40,7 Prozent und die Kosten für Sach- und Dienstleistungen um 56,7 Prozent.

Was sind die Schwerpunkte, die der neue Stadtrat seit Mai 2020 beschlossen hat?

Klimaschutz, Verkehrswende, Digitalisierung und die Folgen von Corona bedeuten Mehrausgaben, ohne dass im Gegenzug Ausgaben wegfallen. Derzeit sind es bei Corona fast 30 Millionen Euro an Kosten, auf denen die Stadt pro Jahr sitzen bleibt. Hinzu kommt die Sanierung des Volksbads, das die Stadt mit 30,7 Millionen Euro unterstützt. Die Kosten für den Masterplan Freiraum liegen bei 39,5 Millionen Euro. Riedel geht von rund einer Milliarde Euro aus, die von der Stadt bis 2031 in Klimamaßnahmen gesteckt werden.

Warum ist die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Stadt in Gefahr?

Nürnberg hat seit 2019 seine Rücklagen in Höhe von etwas über 200 Millionen Euro aufgebraucht. Die Tilgung der Schulden wird immer weniger von der Stadt selber erwirtschaftet. Das gleiche Bild bei den Investitionen, die zunehmend über Kredite finanziert werden.

Gibt es eine Lösung?

Neben einer besseren finanziellen Ausstattung der Städte appellierte Riedel an die Stadträte, alles dafür zu tun, dass die Wirtschaft und damit die Zahl der Arbeitsplätze wächst. Ab 2016 sanken deshalb die Sozialausgaben für zwei Jahre, weil es der Wirtschaft gut ging. "Eine gute Entwicklung wirkt sich nicht nur positiv auf die Steuereinnahmen aus, sondern auch dämpfend auf die Sozialausgaben und gibt uns wiederum mehr Spielraum für Investitionen."

Was bleibt von der Kulturhauptstadtbewerbung?

Trotz der Sparzwänge im Haushalt will die Stadt im Kulturbereich in den nächsten vier Jahren Schwerpunkte setzen. Der Ausbau des Doku-Zentrums und die Neugestaltung der Dauerausstellung werden 25,2 Millionen Euro kosten. Für den dritten Bauabschnitt des Künstlerhauses werden 27,6 Millionen Euro bereitgestellt, für die Umgestaltung des Fembohauses 1,7 Millionen Euro, für den Bürgertreff Eibach 0,5 Millionen Euro. Das Museum Industriekultur wurde vor 35 Jahren eröffnet. Brandschutz, Außenwände und Südfassade müssen saniert werden. Auch die Dauerausstellung soll modernen Ansprüchen angepasst und neu konzipiert werden. Dafür stehen 20.000 Euro an Planungsmitteln bereit.


Architekten plädieren für Neubau: Bekommt der Nürnberger Konzertsaal eine zweite Chance?


Sollte der Stadtrat doch noch das Haus des Spiels beschließen, dann wird es bei den Haushaltsberatungen im Herbst noch berücksichtigt. Der Umbau der Feuerwache 1 kommt erst 2023 in den Haushalt: Sie wird umgebaut, um Platz für das Nachbarschaftshaus Gostenhof während dessen Sanierung zu haben. Nachdem es mit dem Konzertsaal nichts wird, muss die Meistersingerhalle über zehn Jahre hinweg in Abschnitten saniert werden. Im Haushalt ist dafür aber kein Geld eingestellt.

6 Kommentare