Budapest-Komplex

Nürnberger Juristin: Die Härte der Behörden im Fall Hanna ist „erstaunlich“

Azeglio Elia Hupfer

nordbayern-Redaktion

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9.8.2024, 08:46 Uhr
Maede Soltani (links) und Ute Baumann-Stadler von der Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty International auf der vierten "Free Hanna"-Kundgebung vor der JVA Nürnberg am 18. Juli.

© Elia Hupfer Maede Soltani (links) und Ute Baumann-Stadler von der Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty International auf der vierten "Free Hanna"-Kundgebung vor der JVA Nürnberg am 18. Juli.

In den Fällen Hanna und Maja hat sich die Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty International zu Wort gemeldet. Den beiden wird vorgeworfen, im Februar 2023 vermutete Rechtsextremisten in Budapest angegriffen und verletzt zu haben sowie Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein. Maja wurde am 28. Juni an Ungarn ausgeliefert - eine Untersagung des Bundesverfassungsgerichts kam zu spät, da die Auslieferung nach der Entscheidung am späten Donnerstagnachmittag noch in der Nacht auf Freitag ungewöhnlich schnell und trotz erwartbarem Rechtsschutzbegehren vollzogen wurde. Bei Hanna wird eine Auslieferung befürchtet. Die Aktivistinnen Maede Soltani und Ute Baumann-Stadler zeigten sich bei der vierten "Free Hanna"-Kundgebung Mitte Juli vor der JVA Nürnberg, wo diese einsitzt, darüber erschüttert. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt die Juristin Baumann-Stadler das Engagement der Nürnberger Gruppe im Fall Hanna und warum Entsetzen herrscht.

Wie haben Sie vom Fall Hanna erfahren und was waren Ihre Beweggründe, eine Rede bei der Kundgebung vor der JVA Nürnberg zu halten?

Ute Baumann-Stadler: Auf den Fall Hanna und ihre Haft bin ich erst Ende Juni durch die Presseberichte über die Auslieferung von Maja aufmerksam geworden. Hanna wurde ja schon am 6. Mai in Nürnberg festgenommen. Zu dieser Zeit war ich noch weit weg von den heimischen Nachrichten im Urlaub. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass das Thema "Auslieferung von deutschen Staatsangehörigen" jemals im Zusammenhang mit Protesten junger Menschen gegen Neonazi-Aufmärsche - egal wo in Europa - stehen würde. Ausschlaggebend für mich war der Ablauf der Auslieferung von Maja und die Sorge um rechtsstaatliche Verfahren bei uns, auch im Fall von Hanna. Genau das hat auch die Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty International umgetrieben und so haben wir uns kurzfristig zu den Redebeiträgen von Maede Soltani und mir bei der Kundgebung vor der JVA Nürnberg entschlossen.

Baumann-Stadler unterstützte nach der Wiedervereinigung als Rechtssekretärin den Aufbau der Verwaltungsstelle der IG Metall in Zwickau und war von 1993 bis Januar 2020 Partnerin in der Nürnberger Kanzlei Manske & Partner, die ausschließlich im Arbeitsrecht und auf der Arbeitnehmerseite tätig ist. Im beruflichen Ruhestand engagiert sie sich jetzt ehrenamtlich bei der Betreuung von Geflüchteten und schloss sich vor vier Jahren der Nürnberger Juristengruppe an.

Baumann-Stadler unterstützte nach der Wiedervereinigung als Rechtssekretärin den Aufbau der Verwaltungsstelle der IG Metall in Zwickau und war von 1993 bis Januar 2020 Partnerin in der Nürnberger Kanzlei Manske & Partner, die ausschließlich im Arbeitsrecht und auf der Arbeitnehmerseite tätig ist. Im beruflichen Ruhestand engagiert sie sich jetzt ehrenamtlich bei der Betreuung von Geflüchteten und schloss sich vor vier Jahren der Nürnberger Juristengruppe an. © Elia Hupfer

Was hat es mit der Nürnberger Juristengruppe auf sich?

Baumann-Stadler: Die Gruppe wurde vor mehr als zehn Jahren gegründet und besteht heute aus fast 20 Mitgliedern. "Motor" war und ist Rechtsanwältin Christine Roth, die damals das sagte, was noch heute gilt: "Die Stadt der Menschenrechte ist ein guter Ort für bürgerschaftliches Engagement". Zu den Gründungsmitgliedern zählt auch Maede Soltani, die Tochter des iranischen Anwalts Abdolfattah Soltani, dem 2009 der Nürnberger Menschenrechtspreis verliehen wurde. Unser Engagement gilt vor allem international verfolgten Anwältinnen und Anwälten und der Vorbereitung des "Tags des verfolgten Anwalts" am 24. Januar eines jeden Jahres. Wir schauen auch auf sonstige Bedrohungen des Rechtsstaates im Ausland und im Inland - und melden uns bei Bedarf zu Wort. So geschehen auch bei der Kundgebung "Free Hanna" am 18. Juli hier in Nürnberg.

Warum setzen Sie sich für Hanna ein?

Baumann-Stadler: Maja, Hanna und viele andere hatten 2023 in Budapest gegen den sogenannten "Tag der Ehre" protestiert. An diesem Tag marschieren in Budapest jährlich Neonazis und Rechtsradikale aus ganz Europa auf, um ihren Vorbildern, der Waffen-SS, der Wehrmacht und den ungarischen Kollaborateuren am Ende des Zweiten Weltkrieges zu gedenken. Dass ein solcher Aufmarsch von "Ewiggestrigen" und NS-Verherrlichung Protest auf den Plan ruft, liegt nicht nur nahe, sondern halte ich auch für geboten.

Neonazis in Wehrmacht- und SS-Uniformen am "Tag der Ehre" 2023 in Budapest.

Neonazis in Wehrmacht- und SS-Uniformen am "Tag der Ehre" 2023 in Budapest. © IMAGO/Martin Fejer/estost.net

Im Hinblick auf die Proteste im vergangenen Jahr erheben die ungarischen und deutschen Ermittlungsbehörden heftige Vorwürfe gegenüber einzelnen Demonstrierenden: von Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung ist die Rede.

Doch was ist aus Ihrer Sicht problematisch an einer Auslieferung von Hanna nach Ungarn und an einem Prozess dort?

Baumann-Stadler: Ungarn will die Strafverfahren im eigenen Land durchführen und verlangt deshalb die Auslieferung auch deutscher Staatsangehöriger. Wir alle dürfen in einer solchen Situation erwarten, dass der Staat uns schützt. Dieser Schutz besteht zuallererst darin, dass ein rechtsstaatliches Verfahren und effektiver Rechtsschutz gesichert sein müssen. Das gilt nicht nur bei Strafverfolgung im eigenen Land, sondern auch, wenn andere Staaten eine Auslieferung von Deutschen verlangen; erst recht, wenn diese wie Ungarn wegen Demokratieabbaus in der Kritik stehen. Und genau daran sind im Fall der Auslieferung von Maja größte Zweifel angebracht, die natürlich auch Hanna betreffen könnten.

Kaum ein europäischer Staat wird wegen seines Demokratieabbaus und seiner sogenannten Justizreform so scharf kritisiert wie Ungarn. Und dies nicht nur von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sondern auch vom Europäischen Parlament. Wie bitte kann ein Staat mit mangelhaften rechtsstaatlichen Verfahren faire Prozesse und menschenwürdige Haftbedingungen garantieren? Aus meiner Sicht gar nicht.

Finden Sie die Inhaftierung von Hanna angebracht und verhältnismäßig?

Baumann-Stadler: Als Arbeitsrechtlerin kann ich Ihnen darauf keine wirklich professionelle Antwort geben. Aber auch ich weiß, dass für eine Untersuchungshaft ein Haftgrund erforderlich ist. Schließlich ist da ein Mensch ohne Verurteilung - und zwar für Monate - inhaftiert. Das ist sowohl für die Betroffenen als auch ihre Familie sowie Freundinnen und Freunde eine extreme Belastung. Im Falle von Hanna geht die Staatsanwaltschaft von Fluchtgefahr aus.

Hanna gilt als herausragende Studentin an der Akademie der Bildenden Künste. Sie hat mit ihrem Verlobten, mit ihrer Familie, mit ihren Freundinnen und Freunden ein stabiles soziales Umfeld. Das alles sind Umstände, die meines Erachtens dagegensprechen, dass sie sich einem ordentlichen Strafverfahren entziehen würde. Genau das hat sie ja auch nicht getan. Die Härte, die die Strafverfolgungsbehörden hier zeigen, ist gerade in Zeiten, in denen Rechtsextreme unsere Demokratie bedrohen, erstaunlich.

Rechnen Sie mit einem Auslieferungsantrag von Ungarn?

Baumann-Stadler: Was die ungarischen Behörden planen, kann ich beim besten Willen nicht sagen und möchte dazu auch nicht spekulieren. Was derzeit bleibt, ist die Sorge über einen solchen Auslieferungsantrag und den Umgang unserer staatlichen Instanzen damit. Mit Majas Auslieferung nach Ungarn hat mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat einen Riss bekommen.

Ich bin sehr froh, dass die Kritik an der Auslieferung laut ist und unter anderem vom Republikanischen Anwaltsverein und der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) formuliert wird. Die BRAK ist die Dachorganisation aller Anwaltskammern und steht damit für alle in Deutschland zugelassenen Anwältinnen und Anwälte. Die BRAK hat nach Majas Auslieferung noch einmal darauf hingewiesen, wie dringend ein effektiver Rechtsschutz im Auslieferungsverfahren ist.

Glauben Sie, dass es nach Majas Auslieferung auch zu einer Auslieferung Hannas kommen könnte?

Baumann-Stadler: Es gibt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, an der auch Vertreter der Anwaltschaft mitgewirkt haben, die seit Frühjahr 2021 unter Führung des Bundesministeriums für Justiz intensiv an einer möglichen Reform gearbeitet hat. Eine Reform muss unter anderem sicherstellen, dass es gegen belastende Entscheidungen effektive Rechtsbehelfe gibt, dass solche Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung haben, also eine Auslieferung zunächst nicht durchgeführt wird und - anders als in Majas Fall - eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet wird.

Wie die BRAK schreibt, liegt der für Sommer 2024 angekündigte Gesetzesentwurf noch nicht vor. Die aktuellen Fälle zeigen: es wird Zeit, die Reform abzuschließen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Kritik an Majas Auslieferung und die Reformbemühungen beim Nürnberger Oberlandesgericht keinen Eindruck hinterlassen.

Engagiert sich die Juristengruppe weiter im Fall Hanna und was können Sie überhaupt tun?

Baumann-Stadler: Sicher werden wir die weiteren Entwicklungen genau beobachten und mit unseren Mitteln Hanna unterstützen. Wie zum Beispiel mit Reden auf Kundgebungen oder diesem Gespräch mit Ihnen. So können wir mit dafür sorgen, dass die Nürnberger Stadtgesellschaft Hannas Fall zur Kenntnis nimmt und ihre Haft nicht vergisst. Und wir wenden uns als Bürgerinnen und Bürger der Stadt der Menschenrechte an die Verantwortlichen in Justiz und Politik mit der Aufforderung, sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass Hanna nicht nach Ungarn ausgeliefert wird und die Tatvorwürfe in Deutschland in einem rechtsstaatlichen Verfahren geklärt werden. Diese Forderung gilt natürlich auch für die anderen Beschuldigten.