Klartext zum Weltfrauentag: Wo hapert es noch?

8.3.2021, 05:52 Uhr
Jedes Jahr am 8. März gehen weltweit Frauen für ihre Rechte auf die Straße. Die Ansichten, wo unsere Gesellschaft heute steht und was sich noch ändern muss, gehen dabei durchaus auseinander.

© Christian Mang, imago Jedes Jahr am 8. März gehen weltweit Frauen für ihre Rechte auf die Straße. Die Ansichten, wo unsere Gesellschaft heute steht und was sich noch ändern muss, gehen dabei durchaus auseinander.

Victoria Porcu, 23, Studentin: Für meine Oma war die Heirat die einzige Möglichkeit, aus ihrem Elternhaus herauszukommen und ein eigenes Leben zu führen. Ich schätze es daher sehr, dass ich die Freiheit habe, zu studieren, allein zu wohnen und mir zu überlegen, was ich später einmal machen will. Meine Oma ist mit 18 Mutter geworden, ich selbst bin jetzt 23 und weiß noch nicht mal, ob ich später eine Familie gründen möchte. Ich würde sagen, es ist gesellschaftlich wesentlich akzeptierter als früher, dass Frauen sich beruflich verwirklichen wollen. Doch wir müssen aufpassen, dass wir diese Vorstellung, dass Frauen früher oder später doch ihr Glück als Mutter finden, tatsächlich aufbrechen und sie nicht nur zehn Jahre nach hinten verschieben.

Victoria Porcu

Victoria Porcu © privat

Es ist zwar toll, dass ich mit 23 nicht gefragt werden, warum ich noch keine Kinder habe, aber wenn das Frauen mit Mitte 30 ständig zuhören bekommen, sind wir noch nicht am Ziel angekommen. Ich wünsche mir, dass das Wort und die Erfahrungen von Frauen ernst genommen werden. Dass, wenn eine Frau "Nein" sagt, es nicht heißt: "Bist du sicher?" Dass, wenn Frauen von Ungerechtigkeiten, von Sexismus und sexueller Gewalt berichten, es dann nicht heißt: "Da hast du bestimmt was missverstanden." Es ist viel passiert in den letzten Jahrzehnten, aber das Wort einer Frau wiegt immer noch weniger als das eines Mannes. Und solange das so ist, sind Frauen nicht gleichgestellt.


Weltfrauentag in Nürnberg: Diese Aktionen finden statt


Hicran Songur, 23, Studentin: Anders als meine Mutter konnte ich nach meinem Abitur studieren. Ich bin mit 18 Jahren ausgezogen und habe mich dazu entschieden, 350 Kilometer weit wegzuziehen. Für meine Mutter war das unvorstellbar. Selbst nach ihrer Hochzeit ist sie in das Haus gegenüber von ihren Eltern gezogen. Ich bin nicht auf den Schutz eines Mannes angewiesen, bin weder meinem Vater, meinem Bruder noch meinem Partner Rechenschaft schuldig. Ich besitze die Kontrolle über mein eigenes Leben.

Hicran Songur

Hicran Songur © privat

Aber auch 2022 müssen Frauen weiterhin für die Gleichstellung der Geschlechter kämpfen. Besonders gegen den Sexismus, der sich als altbewährte Tradition tarnt. Ich komme aus einer Kultur, in der Frauen auf ihre Kleidung achten, Beziehungen verheimlichen und ihre Jungfräulichkeit durch ein rotes Band symbolisieren. Traditionen dürfen Frauen nicht zur Last werden. Sie müssen das Recht erhalten, über ihr eigenes Leben entscheiden zu dürfen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass meine Antworten, hier vor allem ein ‚Nein‘, oft nicht akzeptiert werden. Es wird davon ausgegangen, dass Frauen leichter umgestimmt werden können. Dennoch bin ich froh darüber eine Frau zu sein. Im Alltag merke ich oft, dass Frauen freundlicher behandelt werden. Sei es das Aufhalten einer Tür oder der respektvollere Umgang innerhalb von Diskussion.


Für die Chauvis, für Frauen, für mich: Ein Plädoyer für den Frauentag


Maria Stro

Maria Stro © privat

Maria Stro, 15, Schülerin Mittelschule: Ich finde, ich bin jetzt nicht besser dran, wir haben heute die gleichen Rechte, meine Großmutter, Mutter und ich. Klar, früher war die Situation eine andere für meine Mutter oder meine Großmutter. Aber sie wurden auch nie von Männern unterdrückt. In unserer Familie werden alle gleich angesehen, egal ob Mann oder Frau. Ich bin in Deutschland geboren, komme aber ursprünglich aus Kasachstan. Ich bin ein selbstbewusster Mensch, ich mache, was ich möchte. Wenn mir jemand etwas verbietet, dann mache ich es trotzdem, denn ich mache es aus mir heraus. Ich wurde so erzogen, dass ich mich auf mich selbst verlasse. Ich boxe seit ein paar Jahren, das ist ein guter Ausdauersport. Doch viele Leute sind entsetzt, wenn ich erzähle, dass ich diesen Sport ausübe, sie sagen, dass sei ein Männersport. Das nervt mich sehr. Im Verein ist es total egal, ob Du ein Mädchen oder Junge bist, der boxt.


m/w/d: Stell Dir vor es ist Weltmeisterschaft und niemand geht


Was mich auch stört, ist, dass es handwerkliche Berufe gibt, die eher Jungs zugeschrieben werden. Meine Freundin ist Mechatronikerin, warum soll sie das nicht machen? Es muss sich ändern, dass es bestimmte Männer- und Frauenberufe gibt. Frauen sollten den Job ergreifen, der ihnen gefällt. Was mich noch stört: Kurzhaarige Frauen, werden oft als unweiblich bezeichnet. Viele Männer wollen an Frauen lange Haare als Symbol der Weiblichkeit. Ich sehe das nicht so. Wenn eine Frau sich mit kurzen Haaren wohlfühlt, ist das doch ihre Sache. Wir Frauen sollten in jedem Fall dafür kämpfen, dass Männer uns nicht vorschreiben, wie wir auszusehen haben. Viele Frauen lassen sich operieren oder ziehen sich an, wie es sich die Männer wünschen, und das finde ich falsch. Wir sollten tragen, was uns gefällt.


Kommentar zum Frauentag: Den braucht kein Mensch mehr


Ich fühle mich wohl in meinem Körper als Frau. Es hat viele Vorteile, eine Frau zu sein. Ich war mal mit meiner Freundin essen und da gab es selbstgebackene Kekse, die wir kaufen wollten. Wir haben zwei bezahlt, aber der Kellner hat uns sechs in die Tüte gelegt, wahrscheinlich nur, weil wir Mädchen waren. Ein weiterer Vorteil: Wir können zum Beispiel Kinder bekommen. Grundsätzlich fühle ich mich gleichberechtigt, weil mir noch nie wirklich jemand gesagt hat, dass ich etwas nicht kann. Das Selbstbewusstsein habe ich von meiner Mutter, die sagt immer, mach Dein Ding!

Eva Gallaun

Eva Gallaun © privat

Eva Gallaun, 25, Studentin: Als meine Großmutter so alt war wie ich heute, war sie Hausfrau. Ich bin Studentin, gestalte mein Leben und meinen Alltag unabhängig und selbstbestimmt. Zwischen meiner Großmutter und mir liegen 69 Jahre. 69 Jahre, in denen sich das Bild der Frau in unserer Gesellschaft weiterentwickelt hat. Die aktuelle Generation von Frauen kann so frei leben wie noch keine zuvor.

Saliha-Nur Altincelik

Saliha-Nur Altincelik © privat

Trotzdem gibt es auch heute noch Aspekte, die sich ändern sollten: Wenn sich eine Frau entscheidet, Kinder zu bekommen, ist das häufig mit Einbußen im Job verbunden. Erziehung ist auch heute noch "Frauensache". Der Wiedereinstieg in den Beruf gestaltet sich für viele Mütter schwierig – noch schwieriger, wenn sie alleinerziehend sind. Unter anderem dadurch sind Frauen in Deutschland häufiger von Altersarmut betroffen.
Ich persönlich fühle mich in meinem Alltag als Frau weder benachteiligt noch eingeschränkt. Jedoch weiß ich, dass meine männlichen Freunde keine Angst haben, im Job aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt zu werden. Sie haben auch keine Angst, nachts im Dunkeln nach Hause zu gehen. Frauen wird die Tür aufgehalten und sie bekommen häufiger Komplimente als Männer. Diese vermeintlichen Vorteile sind bedingt durch das gesellschaftliche Rollenbild von Geschlechtern. Eine Frau darf in der Öffentlichkeit weinen, ein Mann nicht. Wir leben in einer Gesellschaft, die noch immer durch Rollenbilder geprägt ist.

Saliha-Nur Altincelik, 20, Auszubildende: Gleichberechtigung hatte früher keinen Wert. Deshalb weiß ich, dass ich heute besser dran bin als Frauen früherer Generationen. Ich habe zum Beispiel eine viel größere Berufsauswahl als meine Mutter und vor allem meine Großmutter. Trotzdem ist es wichtig, weiter für Gleichberechtigung zu kämpfen. Wir sollten für dieselbe Arbeit zum Beispiel auch das gleiche Gehalt bekommen. Ich fühle mich auch benachteiligt, weil ich nachts mehr zu befürchten habe als Männer. Ich muss immer gewappnet sein und in der Lage, mich wehren zu können. Das kann ich aber gut.

Eine Frau sollte nicht dafür verurteilt werden, ob sie zum Beispiel ein Kopftuch trägt oder ob sie viel Haut zeigen möchte. Das sollte jede für sich entscheiden. Es ist auch immer noch so, dass ein Junge, der mehrere Freundinnen hatte, ein toller Kerl ist. Wenn ein Mädchen Kontakt zu mehreren Jungs hatte, wird sie noch immer abgestempelt. Ich finde, vor allem Frauen sollten stärker ihren eigenen Wert erkennen, lernen, mit sich selbst zufrieden zu sein und sich von niemandem was sagen lassen.

Verwandte Themen


8 Kommentare