Mann mit Regenschirm durchbohrt: Nürnbergerin muss lange in Haft
20.7.2020, 16:59 UhrEs ist ein emotionaler Abschluss nach einer langen Verhandlung. Anja E., angeklagt wegen Totschlags und bisher nicht bereit, vor Gericht zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, ergreift nach den Plädoyers der Verteidigung das Wort und spricht unter Tränen zu den Angehörigen des Mannes, dessen Tod ihr zur Last gelegt wird. "Er wird immer einen Platz in meinem Herzen haben", sagt sie schluchzend zur Tochter des Getöteten. "Er hat mich immer beschützt." Nun hat das Gericht E. zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.
Pfählungsverletzungen durch Regenschirm
Die Leiche des Mannes, dem Anja E. ihre letzten Worte vor dem Urteilsspruch widmet, war im Februar von einer Spaziergängerin im Rother Wiesengrund nahe des Westrings entdeckt worden. Schnell war klar, dass der Mann Opfer eines Verbrechens geworden war. Sein Körper wies Spuren stumpfer Gewalteinwirkung auf, mehrere Rippen waren gebrochen, Gerichtsmediziner diagnostizierten später ein schweres Schädel-Hirntrauma sowie innere Verletzungen. An ihnen starb der Mann wohl auch - als Ursache für den Tod gilt die Misshandlung mit einem Regenschirm, den die Angeklagte Manfred L. in den After gerammt haben soll. Dabei durchbohrte sie die Harnblase des Mannes, auch der Dünndarm wurde verletzt.
Die Ermittler hatten zunächst mehrere Tage gebraucht, um die Identität des Toten zu bestimmen. Bei der nackten Leiche des 56-Jährigen fanden die Beamten keine Ausweisdokumente, Manfred L. war auch nicht als vermisst gemeldet worden. Dann führten Hinweise die Polizei in den Nürnberger Stadtteil Schoppershof, wo der wohnungslose L. zuletzt bei einer Freundin untergekommen war - Anja E.. Sie und ihr damaliger Freund Aleksandar J. gerieten schnell in den Fokus der Ermittlungen.
Alkohol und Leidensbereitschaft
Was am 16. Februar, dem Tag der Tat, tatsächlich geschah, ist auch nach 20 Verhandlungstagen nicht ganz klar. Denn sowohl Anja E., die den Getöteten als ihren besten Freund beschreibt, als auch der Mitangeklagte Aleksandar J. haben ihre eigene Version von den Vorgängen. Doch das Gericht folgte der Darstellung des 35-jährigen J.. Der mehrmals vorbestrafte Familienvater hatte mit der Angeklagten zum Tatzeitpunkt eine Affäre. Er will die immer wieder gewalttätig gewordene E. von weiteren Misshandlungen abgehalten haben, nachdem diese dem auf dem Boden liegenden Manfred L. mit voller Wucht auf den Brustkorb gesprungen war, ihn mit Alkohol überschüttet und ihm schließlich einen Regenschirm in den Hintern gerammt hatte.
"Ich habe deinen Vater nicht umgebracht", sagt Anja E. mit brechender Stimme in Richtung der Nebenklägerin, der Tochter des Getöteten. In der Haft sei ihr allerdings klar geworden, dass sie "nie wieder Alkohol trinken darf" und ihr Leben verändern möchte. Alkohol, das war eine der Konstanten im Leben der 34-Jährigen, das sonst von wechselnden Partnerschaften, Anschuldigungen gegenüber Freunden und Gewalt geprägt war. Getrunken hatte sie auch an dem Tag, an dem Manfred L. starb. Das Opfer hatte seit längerem bei E. gewohnt, war mehrfach von ihr beleidigt und geschlagen und sogar mit einem Messer verletzt worden. Er habe das aber immer hingenommen, sagen mehrere Prozessbeteiligte - auch die letztlich tödlich endenden Tritte und Schläge.
Unterlassene Hilfeleistung
Die Schwurgerichtskammer sah sowohl den Messerstich gegen Manfred L. aus dem Jahr 2017 als auch die tödlichen Misshandlungen im Februar 2019 als erwiesen an. Anja E. muss wegen gefährlicher Körperverletzung und Totschlag elf Jahre in Haft und eine Entziehungskur absolvieren, die Staatsanwaltschaft hatte 14 Jahre gefordert. Aleksandar J. erhielt eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und einem Monat - wegen unterlassener Hilfeleistung (er hatte dem Verletzten L. zwar zunächst geholfen, aber keinen Notarzt gerufen), und aufgrund eines Vorfalls in der Silvesternacht, bei der der J. sich nach einer Verletzung rabiat gegen eintreffende Einsatzkräfte gewehrt hatte. Beide gelten wegen starker Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt als vermindert schuldfähig.
Für Manfred L. muss Anja E. aus Sicht des Gerichts während der gesamten Beziehung wie Gift gewesen sein. Er begann mehr zu trinken, während sie "ihre Stimmungen an ihm auslebte", wie die vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeininger es nennt. Dann verlor er seinen Job, seine Wohnung und schließlich sein Leben.