Sehr viel ausführlicher äußerte er sich am 29. Januar 2019: Er sagte bei der Nürnberger Kriminalpolizei aus, die Vernehmung wurde mit der Videokamera festgehalten – und wird nun zu Prozessbeginn gezeigt. G. ist im Großformat auf der eigenes aufgebauten Leinwand zu sehen. Im echten Leben sieht Daniel G. nicht hin, während die Dokumentation mit seinem Geständnis läuft.
Um es vorwegzunehmen: Gut zwei Stunden dauert die Aufnahme – doch am Ende haben die Prozessbeteiligten und das Publikum, das sich im Saal drängt, auch nicht viel mehr gehört als gestammelte Entschuldigungen und die Erklärung, dass er die Messerangriffe eben nicht erklären kann.
Seit 15. Dezember sitzt er in U-Haft, in der Vernehmung trägt er den blauen Drillich der Gefangenen, zwei Beamte befragen ihn, man befinde sich in den Räumen des Kommissariats 11. Daniel G., Familienstand ledig, gelernter Lagerist, geboren in Eisleben, bat selbst um die Vernehmung.
Seinen Anwalt braucht er nicht, sagt er. Ein Verhörzimmer, so trostlos wie im TV-"Tatort". Auf dem Fußboden graue Auslegeware, die Büromöbel weiß und grau, selbst die Kommissare tragen graue Kleidung.
So fasste die Polizei den mutmaßlichen Messerstecher
"Wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich in der Lage, mit uns zu reden?" Damit die Vernehmung vor Gericht verwertbar ist, sind eine Reihe von Formalien einzuhalten. Die Polizisten, schließlich werden sie selbst gefilmt, geben sich Mühe. Sie bieten Wasser an und Toilettenpausen, und als G. jammert und schluchzt, halten sie Taschentücher bereit. Es gilt, Vertrauen herzustellen – freilich in der Hoffnung, dass der Beschuldigte plaudert. Nicht jedem Zuschauer im Publikum leuchtet so viel (vermeintliches) Verständnis ein, mancher schnauft laut durch.
Daniel G. ist ein Wohnungsloser, der aus Sachsen-Anhalt stammt – er hat 18 Vorstrafen. Er saß wegen Drogendelikten, Betrug, Beleidigung und Diebstahl im Gefängnis. Vor 17 Jahren verurteilte ihn das Amtsgericht Gotha wegen Vergewaltigung.
Er habe an jenem Tag eine Flasche Schnaps gestohlen. "Saurer Apfel", sagt er. Als die Flasche leer war, sei ihm die Idee gekommen, einen Überfall zu begehen.
Er stahl, um sich Mut anzutrinken, eine weitere Flasche Schnaps und ein Messer und wurde um 17.40 Uhr im Marktkauf am Plärrer erwischt. Die Polizei nahm ihm die Beute ab, und ließ ihn laufen.
"Ich weiß nicht, wie das passiert ist"
Später sorgte dies für Kopfschütteln. Doch das Vorstrafenregister des G. ist erst heute bekannt, damals ahnten die Beamten nichts von seiner kriminellen Karriere. Denn dazu ist ein Ausdruck aus dem Bundeszentralregister nötig und dieser kann nicht auf Knopfdruck eingeholt werden, dies dauert Stunden.
G. besorgte sich damals noch zwei Flaschen Bier und ein Messer in einem "Ein-Euro-Shop". "Das Tatmesser", stammelt er. "Ich weiß nicht, wie das passiert ist, ich verstehe es selbst nicht. Ich habe sonst immer Frauen beschützt." Er atmet schwer.
"Man könnte vermuten, dass Sie Frauen hassen", sagt einer der Polizisten – G. antwortet nicht direkt. Dann sagt er "Nein" und erzählt, dass er eine kleine Tochter habe, doch darüber wolle er nicht reden. Über seine Familie wolle er auch nicht reden.
"Ich habe ein Mädchen gesehen, der habe ich in den Rücken gestochen. Ich bin weitergelaufen. Tut unheimlich weh, so was." Unklar bleibt, ob er sich meint oder die geschädigte Frau. "Ich würde das gerne rückgängig machen, das bin ich den drei Frauen schuldig. Lebenslang muss ich ins Gefängnis." Er weint.
Plagt ihn wirklich sein Gewissen? Oder sitzt hier ein Berufskrimineller, der aus taktischen Gründen Reue bekundet?
Es fällt auf, dass er sich nicht direkt entschuldigt. Als die drei Frauen in den Zeugenstand treten, guckt er zu Boden. Der kräftig gebaute Mann, der bis zum Hals tätowiert ist, bringt den Mut für persönliche Worte nicht auf.
Um 19.20 Uhr wurde eine Zahnarzt-Angestellte (56) zum ersten Opfer. G. kannte sie nicht – ein Zufallsopfer, wie die anderen beiden Frauen auch. G. verbarg sein Messer, seine Angriffe waren heimtückisch, die Frauen arg- und wehrlos. "Hätten die Frauen es vorher merken können?", hakt ein Polizist in der Vernehmung nach. "Nein", sagte G.
Die Zahnarzthelferin wartete damals auf den Bus. Ganz sachlich, flankiert von Opferanwältin Andrea Kühne, schildert sie, wie kalt jener Abend war und dass sich der Bus verspätet hatte. Um "etwas für die Gesundheit zu tun", sei sie eine Haltestelle vorausgelaufen, als ihr ein Mann entgegenkam. "Blitzschnell führte er die rechte Hand an meinen Oberkörper, ein entsetzlicher Schlag, ich vermutete einen Elektroschocker. Ich habe noch gedacht, das ist ein Witz."
Erst als sie ihren Mantel öffnete, sah sie, dass sich ihre weiße Arbeitskleidung rot verfärbte. "Ich bekam Todesangst. Ich habe fest gedrückt, damit die Blutung gleich gestillt wird." Ein Passant wählte den Notruf. Fünf Tage lag sie im Krankenhaus, eine Notoperation war nötig.
Zum Glück, so sagt die Frau, wollte ihr Chef die Arztpraxis damals über Weihnachten ohnehin 14 Tage zusperren, so musste sie nicht zu lange in den Krankenstand gehen.
Und heute? "Na ja, der Ort des Geschehens ist eben nur ein paar Meter von meiner Arbeitsstelle weg. Wenn es geht, wechsle ich die Straßenseite."
Laut Anklage stach Daniel G. um 22.40 Uhr sein zweites Opfer in der Arndtstraße nieder: Auch diese Frau, eine 26-jährige Apothekerin, schildert ganz sachlich, was ihr angetan wurde: Sie kam von einer Weihnachtsfeier aus dem Lokal "Zum Spießgesellen", gegen 22.40 Uhr wurde sie in der Arndtstraße, nicht weit von ihrer Haustür entfernt, in den Rücken gestochen. Sie habe schon gemerkt, dass ihr ein Mann folgte, sagt sie. Deshalb kramte sie aus ihrer Handtasche schon mal den Schlüssel raus. Sekunden später der Schlag.
Auch sie musste eine Woche ins Krankenhaus, konnte wochenlang nicht arbeiten. Heute wage sie sich im Dunklen nicht mehr unbedingt allein auf die Straße, doch von dem Übergriff wolle sie sich in ihrem Leben nicht einschränken lassen, sagt sie. Auch ihre Aussage, ganz ruhig – und ganz im Gegensatz zum Auftritt des Angeklagten.
Maria M., die Frau, die der mutmaßliche Messerstecher von St. Johannis am schwersten verletzt hat, spricht von "Lebensmut" – sie wolle ihn nicht verlieren. Und: Sie habe "Gottvertrauen". Gerade ist sie mit ihrem zweiten Kind schwanger. Der Prozess wird fortgesetzt.