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Werkvertrags-Verbot für Fleischindustrie trifft Nürnberger Unternehmen
Nürnberg
-
Schlechte Arbeitsbedingungen, Hygiene-Skandale, zuletzt ein Covid-19-Massenausbruch: Nach immer neuen Negativ-Meldungen will die Politik Werkverträge in der Fleischindustrie verbieten und Arbeitnehmern so bessere Arbeitsbedingungen sichern. Doch die neuen Regeln könnten für Unternehmen aus anderen Branchen existenzbedrohend sein.
Als Tönnies, Deutschlands größter Fleischbetrieb, im Juni dichtgemacht wurde, berichtete selbst die New York Times. Vier von fünf Getesteten, die in der Schweinezerlegung der Firma arbeiten, waren zu dem Zeitpunkt mit Sars-CoV-2 infiziert. Der Betrieb wurde eingestellt, bis August wurden im Gesundheitsamt Gütersloh 2100 positive Fälle im Fall Tönnies registriert.
Durch den Fall Tönnies gerieten die Zustände in der Fleischindustrie nicht nur in den Fokus der Medien. Der Deutsche Ethikrat kritisierte, wieder einmal, die Umstände der Massentierhaltung und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nutzte die Chance für sein schon länger geplantes Vorhaben, Werkverträge in der Fleischindustrie zu verbieten: Man dürfe nicht länger zusehen, wie Menschen aus Mittel- und Osteuropa ausgebeutet werden. Als Wurzel des Übels machte er die Subunternehmer in der Branche aus. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass Großbetriebe, die schlachten sowie Fleisch zerlegen und verarbeiten, ab 2021 nur eigene Mitarbeiter beschäftigen dürfen.
Mit Schlachtung und Zerlegung hat der Nürnberger Unternehmer Lars Stiefvater nichts zu tun. Seine Mitarbeiter verpacken die Wurst nur – doch für sie könnte künftig ein anderes Arbeitsrecht gelten als für jene Kollegen, die Käse einpacken.
Mit Schlachtung und Zerlegung hat Stiefvaters Firma nichts zu tun. Er tritt als Personaldienstleister unter anderem für die Nürnberger Wurstwarenbranche auf, nach eigenen Angaben beschäftigt er rund 300 Mitarbeiter aus 35 Nationen, er hat sie fest angestellt und sozialversichert, ihre Bezahlung liegt über dem Mindestlohn und über dem Tarif. Sie verpacken die Würstchen nur.
Trotzdem trifft ihn das geplante Arbeitsschutzkontrollgesetz mit voller Wucht. Denn auch Leiharbeit und Werkverträge soll es in der Fleischwirtschaft nicht mehr geben.
"Organisierte Verantwortungslosigkeit"
Das bisherige System, so sieht es Horst Arnold, Vorsitzender der bayerischen SPD-Fraktion, habe in der Vergangenheit zur "organisierten Verantwortungslosigkeit" geführt. Bei einem Werkvertrag vergeben Unternehmen Aufträge und Tätigkeiten an andere Firmen, die sich um die Ausführung kümmern. "Welcher Arbeitnehmer für welchen Arbeitgeber arbeitet, ist für die Behörden kaum nachvollziehbar, wenn mehrere Subunternehmer involviert sind." Man wolle die Fleischindustrie zwingen, soziale Standards einzuhalten. Um Handwerksbetriebe zu schützen, seien Firmen mit höchstens 49 Beschäftigten ausgenommen.
Viele Firmen haben Servicebereiche wie Reinigung, die Kantine oder den Werkschutz ausgelagert. Stiefvater hält deshalb das Verbot von Werkverträgen allein in einer Branche für verfassungswidrig. "Wenn meine Mitarbeiter Veggie-Aufschnitt verpacken würden, hätte ich kein Problem. Wieso aber soll in Zukunft für Wurst ein anderes Arbeitsrecht gelten, als wenn Käse verpackt wird?" Wird das Gesetz verabschiedet, will er Verfassungsklage erheben.
Damit kein Missverständnis entsteht: Schlechte Bedingungen für Arbeiter, Hygienemängel und Verstöße gegen den Tierschutz will er nicht kleinreden, er wehrt sich nur gegen eine Skandalisierung, die eine ganze Branche in Misskredit bringe. "Und schlechte Arbeitszustände, wie sie möglicherweise in Nordrhein-Westfalen herrschen, beseitigt man doch nicht, indem man hier Hunderte Menschen auf die Straße setzt."
Rückenwind erhält er von Nürnbergs OB Marcus König und Wirtschaftsreferent Michael Fraas, beide CSU. Sie appellieren in einem Schreiben an Arbeitsminister Hubertus Heil und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), "nicht die gesamte Branche in Haftung für einige schwarze Schafe zu nehmen, die es leider gibt. Ein Pauschalverbot von Werkverträgen halten wir nicht für gerechtfertigt. Ursache des Corona-Hotspots in dem Fleischbetrieb in Nordrhein-Westfalen sind nicht Werkverträge als solche, sondern die Nicht-Einhaltung von Hygiene- und Abstandsvorschriften."
Verlagerung nach Osteuropa
"Ein generelles Verbot von Werkverträgen führt nur dazu, dass die Arbeitsplätze in osteuropäische Länder verlagert werden", so Alexander Hold; er wurde als Fernsehrichter bekannt. Im echten Leben ist er Jurist und sitzt für die Freien Wähler im Landtag. Tatsächlich sinkt die Zahl der Arbeitsschutzkontrollen in Betrieben aller Branchen seit Jahren: 2018 besichtigten die zuständigen Länderbehörden 167.000 Betriebe, 2008 waren es noch 332.000. Die Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion (Drucksache 19/18811) im Mai 2020 hervor.
Die Linke kritisierte, Kontrollen würden kaputtgespart. Vielmehr bräuchten die Länder ausreichende Mittel, um die Einhaltung des Arbeitsschutzes in allen Branchen auch zu kontrollieren. Im Jahr 2018 verzeichnete das Statistische Bundesamt in Deutschland rund 3,28 Millionen steuerpflichtige Unternehmen. "Wer Arbeitsschutz will, muss doch nur die bestehenden Gesetze anwenden, häufiger kontrollieren und Verstöße auch ahnden", sagt Stiefvater. Und zur ganzen Geschichte gehört für ihn auch, dass sich kaum deutsche Mitarbeiter finden, die Tiere in monotonen Handgriffen schlachten, zerlegen und verpacken – all dies für den Mindestlohn.
Zur Erinnerung: Als zu Beginn der Pandemie Landwirte klagten, dass die Ernte mit deutschen Arbeitskräften nicht zu schaffen sei, wurde der Flughafen Nürnberg als einer von sieben Flughäfen in Deutschland zugelassen, Erntehelfer für Bayern und Süddeutschland zu empfangen. Die Flüge kamen aus Rumänien, bis zum 15. Juni landeten allein in Nürnberg 5300 Reisende.
Zurück nach Gütersloh: Für den überwiegenden Teil der Infizierten ging es glimpflich aus. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums mussten bis Anfang August im Fall Tönnies 43 Personen im Krankenhaus behandelt werden, Todesfälle gab es nicht. Gegen Tönnies wurden weit über 50 Strafanzeigen gestellt, noch ermittelt die Staatsanwaltschaft Bielefeld.
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