Kultur in der Corona-Krise:
Musikclown Geraldino: "Kultur lässt sich nicht an- und ausknipsen"
31.5.2021, 09:52 UhrHerr Grashaußer, wie haben Sie das letzte Jahr erlebt? Hat es Sie verändert?
Das Jahr war für mich sehr erkenntnisreich. Privat habe ich, wie ganz viele, richtig Kilometer auf dem Rad gemacht, war oft in der Natur – mein Energiespender Nummer eins – und hatte viel Zeit zum Kochen und zum Aufräumen: Keller, Atelier und Büro. Als Künstler habe ich, je länger die Corona-Krise dauerte, am eigenen Leib gespürt, wie schwer es die Kultur letztlich immer noch hat. Wie schnell unser Berufsfeld einfach vergessen wird, wenn es um konkrete Maßnahmen, unkomplizierte Hilfen und klare Perspektiven geht. Der Fußball rollt, die Baubranche boomt, und Kultur und Soziales haben überhaupt keine Lobby.
Untätig waren Sie aber nicht.
Ich war eigentlich sehr fleißig, habe alle meine Möglichkeiten ausgeschöpft: zwei Mini-CDs, ein Orchesterprojekt mit den Nürnberger Symphonikern vorbereitet, Online- und Werbeclips gedreht, Sprechrollen übernommen, Streaming-Konzerte gegeben, ein Best-of-Liederbuch zusammengestellt. Mein Leben konnte ich damit trotzdem nicht bestreiten. Wenn mal knapp 100 Auftritte absagt werden, dann geht’s einfach um die Existenz. Da bin ich froh, in Deutschland zu leben, mit einem funktionierendem Gesundheitssystem, wenn ich Bilder aus Indien oder Brasilien sehe. Und ich bin froh, dass ich die Zeit nicht alleine überstehen musste. Ich glaube, ich wäre sonst verrückt geworden.
Was hat Ihnen geholfen, um durch diese Zeit zu kommen? Gab es Hilfen?
Am Anfang der Krise war ich verzweifelt, dass man mir von einem Tag auf den anderen die Existenzgrundlage entzogen hat, aber mir im Gegenzug keine angemessene Hilfe zum Lebensunterhalt geboten hat.
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Ich habe lange versucht, auf politischer Ebene um Gerechtigkeit zu kämpfen, bin aber zu der Erkenntnis gekommen, dass viele Betroffene wahrscheinlich ohne richtige Entschädigung bleiben werden, wenn nicht irgendwann gerichtliche Präzedenzfälle geschaffen werden, dass durch staatliche Corona-Maßnahmen geschlossene Betriebe genauso behandelt werden wie zum Beispiel Kohleunternehmen, die zum Schutz der Allgemeinheit die Arbeit einstellen müssen und für entgangene Gewinne entschädigt werden.
Wie gehen Sie damit um?
In der Zwischenzeit habe ich mich abgefunden mit dem Zustand wie er ist, auch wenn ich es immer noch entwürdigend finde, dass ich Hartz IV beantragen musste. Klar, keine andere Branche ist so facettenreich wie die Kulturlandschaft, auch in ihrer Arbeitsstruktur, das macht sie ja auch aus. Wenn aber an den entscheidenden Stellen immer noch keiner weiß, wie das Berufsleben eines Künstlers funktioniert, und die Konsequenz dann ist, uns mit Hartz IV abzuspeisen oder Finanzhilfen zu entwickeln, deren Beantragung ohne Steuerberater gar nicht zu bewältigen ist, das fand ich einfach unmöglich. Auf jeden Fall habe ich jetzt viel Erfahrung mit den Kulturhilfsprogrammen gesammelt.
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Was wäre angemessen gewesen?
Ich hätte mir von Anfang an Hilfe gewünscht, die sich am Verdienst der Vorjahre orientiert. Ich kennen einen Betroffenen, der bis heute nur Betriebskostenhilfe, aber keinen ,Unternehmerlohn‘ erhält. Ich habe im Mai 2021 endlich die November- und Dezemberhilfe bekommen – die einzige Hilfe, die in zwei Monaten meines über einjährigen Auftrittsverbots einen wirklichen Ausgleich zu meinen Umsatzausfällen geschaffen hat und mit der ich nun meine offenen Rechnungen bezahlen kann.
Gab es sonst noch Hilfen?
Es gab einige kleine Unterstützungen, zum Beispiel vom Rother Landrat Herbert Eckstein, der einen "Kultur-Vorausscheck" ausgestellt hat. Außerdem kamen Spenden von der Orchesterstiftung oder der Bürgerstiftung Nürnberg, und viele haben meine neue CD gekauft. Auch die Initiative von Marc Vogel, der die Reihe "Kultur vor dem Fenster" ins Leben gerufen hat, war wichtig, und das Kulturamt Nürnberg hat einiges möglich gemacht. Letztlich möchte ich aber einfach wieder auftreten, mein Geld wieder mit meiner Arbeit verdienen und meinen Beruf ausüben, der mir Spaß macht!
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Denken Sie, dass es nach über einem Jahr, in dem die Kulturbranche stillgelegt war, einfach so weitergehen kann?
In Sachen "Perspektiven für die Kultur" bin ich in der Zwischenzeit ziemlich desillusioniert. Viele Veranstalter sind im letzten Jahr mürbe geworden, einige wenige haben ganz aufgegeben. Dazu kommt, dass künftig sicher überall Kürzungen im Kulturetat verkraftet werden müssen. Der finanzielle Druck auf alle Veranstalter wird noch größer, das wirkt sich auf die Ticketpreise aus. Das ist für meinen Bereich, die Kinderkultur, besorgniserregend, da man die Preise ja weiterhin familienfreundlich gestalten will.
Wie schnell kann Kultur überhaupt wieder hochfahren?
Ich glaube nicht, dass man das Kulturleben bei Lockerungen so kurzfristig einfach wieder anknipsen kann. Veranstaltungen brauchen Vorlauf, es sind viele Akteure beteiligt, die mittlerweile auch wirklich zermürbt sind, ob des stetigen Hin und Her. Für den Sommer habe ich einige Open-Air-Konzerte in meinem Kalender, und dazu auch gleich noch Schlecht-Wetter-Ausweichtermine blockiert. Das heißt, ein Auftritt, aber zwei Termine blockiert. Und am Ende kann es passieren, dass beide Termine kurzfristig den Inzidenzwerten in der Region zum Opfer fallen und ein anderer Auftritt in einer anderen Region möglich gewesen wäre, den ich aber aufgrund der Reservierungen nicht annehmen konnte. Normalerweise habe ich 100 bis 120 Auftritte im Jahr, jetzt habe ich wenige Anfragen für den Sommer, immer unter Vorbehalt der Durchführbarkeit und ohne Ausfallgage bei coronabedingten Absagen. Herbst und Winter sind noch weitgehend unbelegt.
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Hoffen Sie auch auf Kitas und Schulen?
Ein Teil meiner Auftritte ist in Kindergärten und Schulen, da sind die Planungsmöglichkeit aktuell noch eingeschränkter: Lehrer sind überlastet, Veranstaltungen für die ganze Schule noch undenkbar. Und in Kindergärten ist es nicht viel besser, es gibt dort nicht einmal Veranstaltungen im Freien, vermutlich, um sich im ganzen Wahnsinn der sich ständig verändernden Verordnungen nicht auch noch mit besorgten Eltern auseinandersetzen zu müssen. Die Folgen der Corona-Politik sind für die Gesellschaft sind noch gar nicht alle absehbar. Eine Erzieherin in einer Kinderkrippe hat mir erzählt, dass sich ein Kind sehr vor ihr erschrocken habe, als sie ihre Maske kurz zum Trinken abnahm.
Es gibt ja auch die Sorge, dass das Publikum nicht mehr so zahlreich kommt.
Manchmal befürchte auch ich, dass sich einige an Netflix, Spielekonsolen und Sofa gewöhnt haben und es vielleicht nie mehr so wird wie früher. Aber vielleicht sind auch viele kulturell ausgehungert und freuen sich auf Live-Konzerte, Theater, Festivals und jedes Angebot ist dann im Nu ausverkauft – das wäre schön!
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Meinen Sie, dass der Kultur jetzt mehr Wertschätzung entgegengebracht wird?
Hoffentlich, denn ein Leben ohne Kultur ist nicht schön. Mir fehlt die Kultur sehr, denn ich gehe gern ins Theater, auf Konzerte, in Ausstellungen. Kultur ist Nahrung fürs Gehirn, inspiriert, verführt zum Lachen, macht das Leben bunt, bringt einen auf andere Gedanken, regt an, irritiert, erweitert den Horizont.
Auf was freuen Sie sich am meisten, wenn Sie wieder auf der Bühne stehen werden? Und wann wird das sein?
Ich freue mich auf lachende Gesichter, Applaus, darauf, dass ich meine neuen Lieder vorstellen kann, dass ich endlich wieder zeigen kann, was ich gern mache: Musik! Mein erster Auftritt soll am Sonntag, 13. Juni, in Schwabach sein – das Kulturamt hat ein kleines Open Air geplant. Und am Wochenende vom 26. bis 27. Juni soll es in Nürnberg auf AEG und in Roth beim Open Air im Stadtgarten von Kulturfabrik und Stadtorchester weitergehen. Ich drücke die Daumen, dass alles stattfinden kann!
Zur Person:
Geraldino: Unter diesem Künstlernamen ist Gerd Grashaußer als Musikclown bekannt. Er stammt aus dem Schwabacher Ortsteil Dietersdorf und ist seit langen Jahren ein fester Bestandteil der regionalen Kulturszene. Besonders beliebt bei Kindern und Eltern sind seine mitreißenden Live-Auftritte. Geraldino ist mehrfach geehrt, unter anderem mit dem Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks Mittelfranken.
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