Stadt- und Gemeinderäte dürfen immer noch nicht per Video entscheiden

Elke Graßer-Reitzner

Lokalredaktion Nürnberg und Rechercheteam

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10.2.2021, 20:05 Uhr
Die 70 Nürnberger Stadträtinnen und Stadträte haben sich zu ihren Haushaltsberatungen im November in der Nürnberger Meistersingerhalle getroffen. Dort standen die Tische auf Abstand. Einzelne Stadträte oder Stadträtinnen online zu den Debattenzuzuschalten, ist bislang nicht erlaubt gewesen.  

© Stefan Hippel Die 70 Nürnberger Stadträtinnen und Stadträte haben sich zu ihren Haushaltsberatungen im November in der Nürnberger Meistersingerhalle getroffen. Dort standen die Tische auf Abstand. Einzelne Stadträte oder Stadträtinnen online zu den Debattenzuzuschalten, ist bislang nicht erlaubt gewesen.  

In so mancher Ratssitzung rauchen schon mal die Köpfe, da wird gestritten und diskutiert, man ringt um Mehrheiten, sucht den Konsens. All das erfordert von den Kommunalpolitikern und -politikerinnen Gesprächsbereitschaft, gelegentlich Nähe und Verhandlungsgeschick hinter den Kulissen, und ab und an auch mal ein gemeinsames Bier. In Zeiten von Corona natürlich undenkbar.

Abstand halten und möglichst wenig Kontakte pflegen, wie soll das auf kommunaler Ebene gehen, wenn über Bauvorhaben, Wirtschaftsförderung, die neue Kindergartenleiterin oder den Haushalt entschieden werden muss? Viele Kommunen und Kreise in der Region sind deshalb der Empfehlung des Innenministeriums gefolgt und behelfen sich mit sogenannten Ferienausschüssen.

Verantwortungsvolles Ehrenamt

Diese verkleinerten Gremien, die die Zusammensetzung des Stadt- oder Gemeinderates abbilden sollen, fassen stellvertretend für das Gesamtplenum die gerade anstehenden Beschlüsse. Denn Konferenzen ausschließlich per Video, wie es die meisten Mandatsträgerinnen und - träger aus ihrem Berufsleben kennen, ist in ihrem verantwortungsvollen Ehrenamt nicht gestattet.


Bald Online-Teilnahme an Gemeinde- und Stadtratssitzungen in Bayern möglich?


Das bayerische Innenministerium verweist darauf, dass für Sitzungen kommunaler Gremien und Ausschüsse "nach wie vor Grundsatz der Öffentlichkeit" gelten müsse. Nicht nur Pressevertreter, auch Bürgerinnen und Bürger sollen den Debatten folgen können, der Besuch von Stadt- oder Gemeinderat gilt deshalb als triftiger Grund, trotz der nächtlichen Ausgangssperre spät abends noch unterwegs zu sein.

Hans-Günter Brünker sitzt in Bamberg für die erst drei Jahre alte gesamteuropäische Partei VOLT im Stadtrat. In einem Brief hat er sich nun an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewandt und ihn darum gebeten, auf Bayern einzuwirken, auch die Teilnahme an einer Sitzung per Online-Schalte zu gestatten.

Hans-Günter Brünker sitzt in Bamberg für die erst drei Jahre alte gesamteuropäische Partei VOLT im Stadtrat. In einem Brief hat er sich nun an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewandt und ihn darum gebeten, auf Bayern einzuwirken, auch die Teilnahme an einer Sitzung per Online-Schalte zu gestatten. © privat

Zudem müssen die Politikerinnen und Politiker bisher persönlich anwesend sein, um an einer Abstimmung teilnehmen zu können. Ein Punkt, der dem Bamberger Stadtrat der neuen gesamteuropäischen Partei VOLT , Hans-Günter Brünker, ein besonderer Dorn im Auge ist. "Aufgrund dieses Verbots werden in Bamberg in den nächsten Wochen nun wieder zahlreiche Senats- und Stadtratssitzungen als Präsenzsitzungen abgehalten. Und dies vor dem Hintergrund, dass der Präsident des Weltärztesbundes, Frank Ulrich Montgomery, sogar Strafen für Unternehmen fordert, die Homeoffice verweigern", zürnt Brünker.

Brief an den Bundespräsidenten

Und so hat er seinem Parteinamen alle Ehre gemacht und etwas Spannung in die vermaledeite Corona-Problematik gebracht, indem er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) angeschrieben und ihn gebeten hat, auf die Staatsregierung einzuwirken und Onlinesitzungen zu erlauben. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erhielt Post aus Bamberg.

Debatten im Stadtrat müssen immer auf Abstand gehalten werden. 

Debatten im Stadtrat müssen immer auf Abstand gehalten werden.  © Hans-Joachim Winckler, NN

"Wir wollen doch auch pflegende Väter, alleinerziehende Mütter und Geschäftsreisende als Stadträte", sagt Brünker, dafür müsse man endlich hybride Sitzungen zulassen, die neben der Präsenzpflicht auch die Möglichkeit einer Online-Zuschaltung erlauben. Beide Spitzenpolitiker haben bislang nicht geantwortet. Doch es ist Bewegung in die Sache gekommen.

Stimmrecht wird online erteilt

Die bayerische CSU-Freie Wähler Regierungskoalition hat plötzlich einen Gesetzentwurf aus dem Hut gezaubert, der vorsieht, dass Mitglieder kommunaler Gremien an den Sitzungen audiovisuell, etwa vom heimischen Wohnzimmer aus, teilnehmen und dabei auch Stimmrecht erhalten. Bis Anfang April soll das Gesetz in Kraft treten. "Wenn es so kommt, finde ich das gut", lobt Hans-Günter Brünker.

Auch damit, dass Innenminister Herrmann rein virtuelle Sitzungen weiter ausschließt, kann er leben. Mindestens der Vorsitzende, also meist die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister oder deren Stellvertreter, müssen im Sitzungsraum körperlich anwesend sein. Die übrigen Ratsmitglieder sollen wählen können, ob sie persönlich kommen oder via Laptop abstimmen wollen.

Umbauten im Landratsamt

Der Gesetzentwurf will die Ferienausschüsse auch für Landkreise, Bezirke und Zweckverbände für die Dauer von bis zu sechs Wochen zulassen. Denn bisher müssen vor allem die Kreistage einiges in Kauf nehmen, um Corona-Konform arbeiten zu können. Am Landratsamt Ansbach etwa hat man den kleinen und großen Sitzungssaal baulich zueinander geöffnet, damit wenigstens die Ausschuss-Mitglieder dort räumlichen genügend Abstand haben.

Die Fürther Stadträte sind für ihre Haushaltsberatungen in ihre Stadthalle ausgewichen.

Die Fürther Stadträte sind für ihre Haushaltsberatungen in ihre Stadthalle ausgewichen. © Hans-Joachim Winckler, NN

Und der große Kreistag muss gleich in die riesige Hesselberg-Halle in Wassertrüdigen ausweichen. Regelmäßiges Lüften während der Sitzungen ist auch in diesen Tagen vorgesehen. "Das kann dazu führen, dass es kälter ist als bisher gewohnt", sagt die Landkreis-Sprecherin. Corona setzt die Kommunalpolitiker einem Härtetest aus.

SPD will nicht-öffentlichen Livestream

Ferienausschuss. Das ist das Zauberwort, das viele Städte und Gemeinden derzeit handlungsfähig hält. Die Stadt Nürnberg, die während des harten Lockdowns alle Ausschüsse entfallen lässt, beruft monatlich diesen Ferienausschuss (Ältestenrat und Finanzauschuss) ein, der alle Angelegenheiten erledigt, für die der Stadtrat oder ein beschließender Ausschuss zuständig wäre.

Im Sitzungssaal, hier im Nürnberger Rathaus,  würde das Plenum viel zu dicht sitzen. Nur die Ausschüsse mit geringer Teilnehmerzahl dürfen hier tagen. 

Im Sitzungssaal, hier im Nürnberger Rathaus,  würde das Plenum viel zu dicht sitzen. Nur die Ausschüsse mit geringer Teilnehmerzahl dürfen hier tagen.  © Günter Distler

FDP-Stadtrat Ümit Sormaz fordert, entgegen den Vorschriften aus München, alle Sitzungen wieder stattfinden zu lassen, aber nur digital. Die SPD-Fraktion beantragt, einen nicht-öffentlichen Livestream für Ratsmitglieder einzurichten, die nicht dem Ferienausschuss angehören.


Mit Corona-Symptomen in Sitzung? Gemeinderat muss in Quarantäne


Erlangen und Fürth specken ab

Die Debatten um die corona-gemäße Sitzungskultur sind in vollem Gang. Die Nachbarn in Erlangen und Fürth haben ihre Gremien auf freiwilliger Basis verkleinert. In Erlangen tagen jetzt statt der 50 Stadträtinnen und Stadträte nur 27 gemeinsam mit Oberbürgermeister Florian Janik. Diese gute Hälfte der gewählten Mandatsträger bilde die Mehrheitsverhältnisse ziemlich genau ab, sagt Stadtsprecher Christofer Zwanzig. Man sei seit Beginn der Pandemie vom Ratssaal in die Heinrich-Lades-Halle ausgewichen, die Sitzungen werden zudem im Livestream übertragen, um möglichst vielen Interessierten den Gang in die Halle zu ersparen.

In Fürth treffen sich statt der ebenfalls 50 Frauen und Männer jetzt noch 32 mit Oberbürgermeister Thomas Jung. Für das leichte Übergewicht sorgen die drei AfD-Räte und die beiden Freie Wähler-Mitglieder im Rat, die es abgelehnt hatten, nur jeweils einen Vertreter zu schicken.

"Ellenlange Tagesordnung" ist tabu

In der Kreisstadt Neustadt an der Aisch tagen alle 24 Mandatsträger in der großen Markgrafenhalle, doch man achte auf ein gestrafftes Programm, sagt Bürgermeister Klaus Meier. Die "ellenlange Tagesordnung" ist tabu, und die Haushaltsberatungen sind in den März verschoben. "Wir warten erst mal auf die Steuernachzahlungen", seufzt Meier. Die etwas kleinere Zennstadt Langenzenn hat die Arbeit auf Ferienausschuss und weitere Ausschüsse verteilt.


Besucherzahl bei der Gemeinderatssitzung in Gräfenberg begrenzt


Der Landkreis Neumarkt hat bereits Sitzungen gestrichen, sein 60-köpfiger Kreistag tourt monatlich durch die Oberpfalz, um in den größten Mehrzweckhallen zu tagen. Auch die Fürther Kreisräte stimmen in Turnhallen oder der Paul-Metz-Halle in Zirndorf über die laufenden Geschäfte ab.

Saal ohne Heizung

Besonderen Herausforderungen sind die mittelfränkischen Bezirksräte ausgesetzt. Das 32-köpfige Gesamtplenum tagte mit Bezirkstagspräsident Armin Kroder bereits in der großen Lehrhalle in den landwirtschaftlichen Lehranstalten in Triesdorf. Dort gibt es keine Heizung. Jede Stunde fand eine Lüftungspause statt. So manche Abstimmung geriet da zur echten Zitterpartie.

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