Geschlechtergerechte Sprache

Streitthema Gendern: Sechs Erkenntnisse einer aufgeheizten Debatte

3.7.2021, 19:30 Uhr
Sprache erregt die Gemüter – nicht erst seit der Rechtschreibreform. Derzeit ist der Stein des Anstoßes das sogenannte Gendersternchen.

© Arnulf Hettrich, NN Sprache erregt die Gemüter – nicht erst seit der Rechtschreibreform. Derzeit ist der Stein des Anstoßes das sogenannte Gendersternchen.

Wenn wir nach der Meinung unserer Leserschaft fragen, dann kann es vorkommen, dass sich fünf oder sechs Menschen die Mühe machen, eine E-Mail zu schreiben. Wir Journalisten denken manchmal, wir hätten einen echten Aufreger an der Hand. Haben wir aber gar nicht. Wenn über 50 Rückmeldungen kommen, teilweise seitenlange, sorgfältig ausformulierte Argumentationsketten, dann wissen wir, dass ein Thema tatsächlich Potenzial zum Aufreger hat.

Die Rede ist in diesem Fall vom Gendersternchen und seinen Geschwistern, dem Doppelpunkt, dem Unterstrich und dem Binnen-I. Dem kürzlich erschienenen Kommentar "Das Gendersternchen kann viele Probleme nicht lösen" folgte ein Aufruf. Wir wollten wissen, was Sie von gendergerechter Sprache halten. Und wir bekamen: jede Menge Antworten.

Am Erscheinungstag um 7.32 Uhr lief die erste Mail ein. Mike Harold schrieb darin einen Satz, der die Zielrichtung vieler späterer Zusendungen pointiert vorwegnahm: "Viel wichtiger als mehr Sternchen in Wörtern ist mehr Geld in der Lohntüte." Tatsächlich sprachen sich nur drei Frauen für den Stern aus, kein einziger Mann. Womit wir mitten in der Auswertung Ihrer Zuschriften sind, zu der natürlich vorweg genommen werden muss: Es handelt sich nicht um eine repräsentative Umfrage. Den Vornamen der Menschen nach zu urteilen, die uns geschrieben haben, dürften etwa Meinungen von jungen Menschen unter 30 Jahren kaum in diese Betrachtung eingeflossen sein. Spannende Erkenntnisse liefert sie dennoch. Die sechs wichtigsten Fragen und Antworten.


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1. Männer, gönnt ihr es den Frauen nicht?

Zugegeben, das ist jetzt sehr zugespitzt formuliert. Aber der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist schon deutlich sichtbar. 35 der 55 Zusendungen haben wir von Männern bekommen. Keiner kann sich für das Sternchen erwärmen. Dass es reale Ungerechtigkeiten in der Behandlung von Männern und Frauen (und Menschen, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen) gibt, dass etwa bei Gehältern, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei Zugang zu Spitzenposten in Wirtschaft oder Politik, noch immer Unterschiede herrschen: Dieses Eingeständnis machen nur etwa ein Drittel der Männer. Der Rest ist gegen das Sternchen und sonst nichts.

Gut, wir hatten auch nicht explizit nach Ungerechtigkeiten gefragt, es sollte um Sprache gehen. Von den Frauen allerdings fanden immerhin die Hälfte diese gesellschaftlichen Probleme erwähnenswert. Drei der 20 weiblichen Rückmeldungen sprachen sich, wie bereits erwähnt, sogar für das Sternchen aus.

Es scheint, als ob diese Debatte bei dem ein oder anderen Mann besondere Irritation auslöst. Leserin Petra Sörgel schildert etwa eine Beobachtung: "Meine Erfahrung ist, dass Männer sich sehr gestört fühlen, wenn sie in der weiblichen Form adressiert werden." Viele Männer betonen in ihren Zuschriften, dass sie sich beim Wort "Ärzte" sehr wohl auch Ärztinnen vorstellen würden - diese seien mitgemeint, das müsse reichen. Ob das genauso gilt, würde man den Spieß umdrehen, immer von "Ärztinnen" reden und die Männer mitmeinen?


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Ein Leserbriefschreiber befürchtet gar Todesdrohungen, wenn er mit seinem Namen dazu stehen würde, dass er ein Genderstern-Gegner ist. Als alter, weißer Mann sei er ständigen Diskriminierungen ausgesetzt. Sie kriegen's derzeit schon ab, die alten, weißen Männer - diese Sicht ist unter den Zusendungen dennoch eine Einzelmeinung.

2. Kann Sprache reale Ungerechtigkeit beseitigen?

Nein, sagt eine große Mehrheit unserer Leserinnen und Leser. Angela und Norbert Mrusek schreiben etwa: "Bei uns war der Mann in Erziehungsurlaub, als das noch für die meisten Menschen nicht vorstellbar war, Handeln zählt, nicht der Alibi-Doppelpunkt". Heinrich Brunnhübner ergänzt: "Die Gendersprechbefürworter glauben, dass sich das Denken ändert", das sei aber "lästig und falsch".

Und Adelheid Payer-Pechan betont, sie habe in ihrem Leben viele positive Veränderungen für Frauen miterlebt. Derzeit sei es "am allerwichtigsten" für Frauen, dass sie gleiche Arbeit auch gleich entlohnt bekommen. "Und da hilft kein Sternchen oder Unterstrich."

3. Leben wir nicht in einer Demokratie?

Doch, tun wir - deshalb sollte gendergerechte Sprache nicht gesetzlich verordnet werden, wenn eine Mehrheit dagegen ist. Dieser Standpunkt findet sich in den Zuschriften immer wieder. Manche (Männer) gehen dabei soweit, den Vergleich mit Orwell'schem "Neusprech" zu ziehen, mit dem die Regierung die Gedanken kontrollieren will.


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Soweit geht Robert Wunder nicht, er nennt ein ganz praktisches Argument gegen eine Verordnung: "In einem Brief an eine 70-jährige Frau kann ich als Verwaltungsmitarbeiter nicht gendern. Ältere Menschen denken, wir können nicht richtig Deutsch. Das muss freiwillig bleiben."

Einige Leser bemerken auch, dass im Umkehrschluss ein Verbot des Sternchens ebenfalls in eine totalitäre Richtung führen könnte. Karl-Heinz Kenner schlägt deshalb vor, man solle "der Straße das Recht lassen, Veränderung zu adaptieren oder wieder verschwinden zu lassen".

4. Wollen "sexbesessene Sprachschänder" unser schönes Deutsch kaputt machen?

Ja, auch diese Formulierung ist aus einer Zuschrift zitiert. Die meisten Antworten arbeiten sich jedoch weit rationaler an den Problemen ab, die der Genderstern in sprachlicher Hinsicht macht. Das generische Maskulinum habe nichts mit dem Geschlecht zu tun, ist ein viel genutztes Argument, oder, wie es ein Leser so schön ausdrückt: "Wörter haben keine Genitalien".

Um das kurz zu erklären: Die Mehrzahl "Lehrer" ist grammatikalisch gesehen ein generisches Maskulinum, es sind Lehrer und Lehrerinnen gemeint. Noch einleuchtender ist es bei Tieren. Hunde sind Hunde, hier kommt man gar nicht auf die Idee, es könnten nur männliche Hunde gemeint sein, es würde sonst "Rüden" heißen.

Sprachlich gesehen sei etwa bei Berufsbezeichnungen deshalb eine weibliche Form (wie sie der Duden bereits aufgenommen hat, eine umstrittene Entscheidung) unnötig, finden viele Leserinnen und Leser. Eine andere Meinung hat die oben bereits zitierte Petra Sörgel: "Es waren auch immer die Männer, die in der Gesellschaft im Vordergrund standen, so dass Sprache für mich hier ein Abbild der gesellschaftlichen Zustände ist."


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5. Sollte die Presse das Sternchen einführen?

Die Antwort der Leserschaft ist zwar, wie erwähnt, nicht repräsentativ. Sie ist aber in dieser Hinsicht recht eindeutig: Die große Mehrheit ist dagegen. Fünf (männliche) Kommentatoren kündigen sogar an, in diesem Fall die Zeitung abzubestellen (der Beitrag lief auch in unseren Print-Formaten Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung). Sagen wir es mal so, diese Drohung wird bei einer Entscheidung pro oder contra Gendersternchen nicht die ausschlaggebende Rolle spielen.


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Erika Damm schreibt den Medien ins Stammbuch: "Es scheint eine gewisse Angst da zu sein, sich dem Vorwurf auszusetzen, Minderheiten nicht genug zu hören." Sigmund Gassner macht ein anderes Fass auf: "Die Presse sollte durch kritische Berichterstattung dafür sorgen, dass sich an den prekären Lebensverhältnissen einer Kassiererin bei Netto, einem Amazon-Fahrer oder einem Tankreiniger auf der Werft substanziell was verändert, die haben von (m/w/d*Innen) nicht einen einzigen Cent mehr, um über die Runden zu kommen." Womit wir wieder beim ersten Argument angekommen wären - wer würde da widersprechen wollen.

6. Witzig, oder?

Manchmal ist der Humor, mit dem auf den angeblichen "Genderwahn" reagiert wird, schon sehr bissig. Da schwingt zwischen den Zeilen viel Wut mit. Aber ein bisschen auf die Spitze treiben sollte schon erlaubt sein. Ein Plakat mit zur Wahl stehenden "Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen" möchte ein Leser lieber nicht an der Straße stehen sehen. "Avantgardisten werden zu Avangardinen", schreibt ein anderer. Ein dritter hat eine bemerkenswerte Stellenausschreibung entdeckt: "Zimmermädchen gesucht (männlich/weiblich/divers)".

Aber, um nochmal zum Ernst zurückzukehren, der Schlusssatz gebührt dem weiter oben bereits zitierten Leser Robert Wunder: "Die wahren Machos (...) erreichen wir auch mit der Gendersprache (...) nicht, da gibt es Abgründe mangelnden Intellekts, die unerreichbar sind."

Vielen Dank für alle Rückmeldungen, jede einzelne wurde gelesen und hat zu diesem Artikel beigetragen, auch wenn nicht alle zitiert werden konnten.

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