Appell für Bau eines neuen Konzertsaals
Veranstalter-Protest: Marode Meistersingerhalle gefährdet Zukunft der Klassischen Musik in Nürnberg
3.11.2021, 05:55 UhrWegen der Mammutaufgabe Opernsanierung droht in Vergessenheit zu geraten, dass Nürnberg ein moderner, konkurrenzfähiger Konzertsaal fehlt. Nach dem Moratorium für den fast fertig geplanten Saal auf dem Parkplatz neben der Kleinen Meistersingerhalle im letzten Herbst scheint sich die Stadt auf Dauer von diesem Vorhaben verabschiedet haben. Und das, obwohl inzwischen verschiedene Alternativvorschläge auf dem Tisch liegen.
Etwa das Angebot des Architektenteams, ihren kurz vor Baubeginn gestoppten Konzertsaal auch als Operninterim zu ertüchtigen. Oder der Vorschlag des Fördervereins Konzertsaal, neben dem geplanten – aber politisch noch nicht entschiedenen – Operninterim im Innenbereich der Kongresshalle eine abgespeckte Version des ursprünglich geplanten Konzertsaals zu errichten.
Deutlich schlanker kommt auch die kürzlich eröffnete und bereits hoch gelobte Münchner Isarphilharmonie in Sendling daher, die als Interim schlicht, aber solide konzipiert ist und lediglich 43 Millionen Euro gekostet hat, wenig im Vergleich zu den 200 Millionen Euro für den Nürnberger Entwurf.
Der Zeitdruck, der bei der Entscheidung für den Standort des Operinterims herrscht, droht dabei einen möglichen Konzertsaal endgültig ins Abseits zu drängen. Obwohl die Opernhauskommission bei ihrer Sitzung am 22. Oktober Bedenken gegen die Lösung Kongresshalle artikuliert hat, soll der Stadtrat über diese Thematik noch vor Weihnachten entscheiden. Die ebenfalls von ihr geforderte breite Diskussion in der Stadtgesellschaft vor solch einer Entscheidung wirkt da angesichts dieses engen Zeitfensters wie blanker Hohn.
Führende Nürnberger Konzertveranstalter wollen diesen Stillstand beim Thema neuer Konzertsaal nicht länger hinnehmen und artikulieren nun ihren Protest. Norbert Gubo von Nürnberg Musik findet deutliche Worte und sagt, dass die Meistersingerhalle schon seit mindestens 20 Jahren kein konkurrenzfähiger Auftrittsort für Akteure der Klassischen Musik ist: „Künstler sind inzwischen andere Säle gewohnt und der Abstand von anderen Städten zu Nürnberg wird immer größer. Nürnberg wird hier seit langem schon der Rang abgelaufen“, so Gubo. Sollte in absehbarer Zeit kein Saal gebaut werden, fürchtet er, dass sich Nürnberg „damit selbst lahmlegen wird“, weil es keine weitere musikalische Entwicklung gebe.
Als Veranstalter, der regelmäßig die Meistersingerhalle bucht, fühlt er sich eingeschränkt: „Wir können attraktive Konzerte aufgrund der vorherrschenden Situation nicht angehen. Wir müssen uns weiterhin an die Möglichkeiten der Halle anpassen und ebenfalls nach Alternativen suchen.“ Dass der Konzertssaal doch bald kommen wird, sieht Gubo skeptisch: „Dass eine Stadt, die die Chance hatte, einen Konzertsaal für circa 80 Millionen Eigenkosten zu bauen, das nochmals ernsthaft in Erwägung zieht, wäre ein kleines Wunder.“
Sollte ein neuer Konzertsaal aber frühestens in ungefähr 15 Jahren - nach Abschluss der Opernhaussanierung - angegangen werden, sieht er schwarz: „Das Musikleben in Nürnberg wird zum Teil stillgelegt und die Stadt verliert zunehmend an kultureller Attraktivität“, lautet seine düstere Prognose.
Auch in der Staatsphilharmonie Nürnberg sieht man die derzeitige Situation mit der Meistersingerhalle kritisch. Orchesterchefin Joana Mallwitz fühlte sich bereits vor einem Jahr im Gespräch mit unserem Medienhaus durch das kurzfristige Aus für den Konzertsaal regelrecht vor den Kopf gestoßen und befürchtete einen Niedergang für Nürnbergs Musikleben.
Jörg Krämer, der Soloflötist der Staatsphilharmonie, gehört dem Förderverein Konzertsaal an, der kürzlich den Vorschlag öffentlich gemacht hat, neben dem Operinterim im Innenhof der Kongresshalle eine abgespeckte Version des neuen Konzertsaals zu bauen.
Als Mehrzweckhalle vor über Anfang der 1960er Jahren geplant und gebaut, sei die Meistersingerhalle nie „ein wirklich erstklassiger Konzertsaal“ gewesen, argumentiert Krämer – mit drastischer Konsequenz: „Heute, nach 60 Jahren Fortschritt im Konzertsaalbau, ist sie in keiner Weise mehr konkurrenzfähig - weder akustisch noch von der Sicht für das Publikum her.“ Sollte Nürnberg nicht bald einen neuen Konzertsaal bekommen, werde Nürnberg „schlicht von der musikalischen Landkarte verschwinden“.
Krämer malt die Dramatik der Situation plastisch aus: „Wann hatten die Menschen hier zuletzt die Chance, eines der Weltspitzenorchester, die Berliner Philharmoniker, Concertgebouw Amsterdam oder die Wiener Philharmoniker live zu erleben? Inzwischen haben nicht nur andere bayerische Städte wie München oder Bamberg hervorragende neue Konzertsäle erhalten, sondern auch fast jede Großstadt in China.“
Er werde als Musiker vor Ort trotzdem auch unter schwierigen Bedingungen weiter für die musikalische Kultur in Nürnberg engagieren. Zwar habe die Sanierung der Oper im Moment Priorität. Aber Krämer plädiert dafür, im Zuge dieses Großprojekts auch einen neuen Konzertsaal zu realisieren: „Unser Vorschlag (vom Förderverein Konzertsaal, Anm. d. Red.), die Kongresshalle in einen Raum für Kultur zu transformieren, ist ein Versuch, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Mit der Kombination eines Ausweichquartiers für die Oper mit einem neuen Konzertsaal könnte dieser Unort neu für die Stadtgesellschaft zurückgewonnen werden.“
Lucius A. Hemmer ist als Intendant der Nürnberger Symphoniker ebenfalls Stammgast in der Meistersingerhalle. Auch für ihn hat sich dieser Ort überlebt, in allen Punkten, die heute einen Konzertbesuch zu einem qualitätsvollen Erlebnis machen: Er nennt die Akustik im Raum, die gute Sicht, die es für die Nähe zwischen Künstlern und Publikum bräuchte, die Atmosphäre im Foyer und die Qualität der Gastronomie als Beispiele.
Ein Konzerthaus-Neubau würde seiner Meinung nach in erster Linie einen qualitätvollen Begegnungsort für das Publikum der Zukunft schaffen, für die Menschen, die Live-Musik schätzen. Und das seien sehr viele, weit über den Klassik-Bereich hinaus. Heute sei es an der Zeit, für die Bedürfnisse eines Publikums in fünf oder zehn Jahren zu planen.
Ansonsten befürchtet Hemmer eine Negativspirale: „Wenn wir solche Begegnungsorte in Nürnberg nicht bieten, ist zu befürchten, dass Nürnberg insgesamt an Attraktivität in punkto Lebensqualität verliert. Zudem werden diejenigen Angebote, die in der Meistersingerhalle verbleiben müssen, als weniger attraktiv wahrgenommen, als sie dem Inhalt nach eigentlich sind.“ Hemmer und die Symphoniker wollen sich diesem Abwärtstrend entgegenstemmen und neue Veranstaltungsformen entwerfen, "die auch die angejahrte Meistersingerhalle attraktiv erscheinen lassen“.
Trotzdem appelliert auch er eindringlich an die Stadtspitze, die Bedeutung eines zeitgemäßen Konzertsaals für eine Stadt wie Nürnberg nicht zu unterschätzen, und er hofft auf ein „ernsthaftes Interesse“, die bestehenden Pläne noch zu realisieren. „Denn die Analyse zu den Beweggründen des Publikums und den Entwicklungen in diesem Bereich haben ergeben, dass das Thema ,Live-Konzert' von besonderer Bedeutung ist und deswegen eine riesige Nachfrage hat“, argumentiert Hemmer.
Ein neuer Konzertsaal könne dabei keinesfalls bis zum Abschluss der Opernsanierung warten. Hemmer: Nach Aussage der Fachleute gibt es jetzt ein kurzes Zeitfenster von zwei Jahren, in dem man den fertig geplanten Konzertsaalbau noch reaktivieren könnte. Ließe man allerdings die Pläne mehrere Jahre liegen, würde man sie in einigen Jahren vermutlich als veraltet betrachten und nicht mehr umsetzen. Eine Diskussion um einen Konzerthausbau müsste komplett von neuen beginnen und das bereits investierte Geld wäre verloren.“
17 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen