Transparenz beim Kulturvorhaben

Zu vieles hinter verschlossenen Türen? Warum das Projekt Kongresshalle für Frust in Nürnberg sorgt

Verena Gerbeth

nordbayern.de

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25.8.2024, 04:55 Uhr
Zukünftiger Blick in den Innenhof: Erst auf den zweiten Blick wird der Theaterbau in seiner Gesamtheit sichtbar. Wenn der Bau wie geplant 2027 fertiggestellt wird, soll nach fünf Jahren die Fassade komplett zugewachsen sein.

© Georg Reisch GmbH & Co. KG Zukünftiger Blick in den Innenhof: Erst auf den zweiten Blick wird der Theaterbau in seiner Gesamtheit sichtbar. Wenn der Bau wie geplant 2027 fertiggestellt wird, soll nach fünf Jahren die Fassade komplett zugewachsen sein.

Jede Generation müsse die Möglichkeit haben, "eine eigene Form des Umgangs" mit den NS-Bauruinen auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände zu finden. Festlegungen, die das verhindern würden, dürfe es nicht geben. So steht es in den Leitlinien der Stadt Nürnberg zum Umgang mit den NS-Hinterlassenschaften.

Diese Grundsätze passen zwar auf weniger als zwei Seiten – lassen aber jede Menge Interpretationsspielräume zu. Spielräume, die gerade neu ausgelotet werden.

So oder so, viele Nürnbergerinnen und Nürnberger scheinen erleichtert zu sein, dass es mit dem riesigen NS-Torso und den dortigen städtischen Bauvorhaben vorangeht. So auch der Nürnberger Architekt Andreas Grabow, Kreisvorsitzender des Bunds Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). Er sei froh, "dass endlich etwas mit der Kongresshalle passiert", sagt er.

Der vor einigen Wochen vorgestellte Entwurf des Ergänzungsbaus, der unter anderem Bühne, Orchestergraben, Zuschauerraum und Funktionsräume umfasst, gibt die erste konkrete architektonische Weichenstellung. Innerhalb von fünf Jahren nach geplanter Fertigstellung 2027 soll die Fassade der Spielstätte mit Pflanzen völlig bedeckt sein. Eine Art "Nicht-Architektur", die sich der Kongresshalle unterordnet. Die neue Opernstätte soll eine "Synthese" mit Künstlerateliers, sogenannten Ermöglichungsräumen bilden. Der Start des Ausbaus dieser ist für 2026 geplant.

Dass die Baumaßnahmen für die Oper nicht nur für eine Interimsdauer von zehn Jahren, sondern dem Anspruch von mindestens 25 Jahren standhalten müssen, wurde erst im Laufe des Projekts klar. Aus wirtschaftlichen und nachhaltigen Aspekten soll der Bau ein Vierteljahrhundert bestehen. Die Verantwortlichen hatten sich besonders in Hinblick auf die notwendigen Fördermittel darauf geeinigt. Und sich damit für die Streichung der Wortwahl "Interim" vor etwa einem Jahr entschieden. Aufgrund der gestiegenen Baupreise wurde der vom Stadtrat 2022 festgelegte Kostendeckel von 211 Millionen Euro gesprengt. Die Verwaltung geht nun von 296,2 Millionen Euro aus.

Ob die Oper tatsächlich wieder in ein saniertes Haus am Richard-Wagner-Platz ziehen wird, ist derzeit strittig, offiziell wird daran jedoch festgehalten. Gesichert scheint aber eines: Werden die bisherigen Pläne der Stadt Nürnberg umgesetzt, bleibt den Nürnbergerinnen und Nürnbergern bis mindestens 2052 eine Spielstätte für Musiktheater in der Kongresshalle erhalten. Fragen nach Erhalt und Nutzung müssen dann die folgenden Generationen beantworten.

Ein steiniger Weg zu einem wegweisenden Projekt?

Einig ist man sich in Nürnberg über das Projekt und dessen bisherigen Ablauf jedenfalls nicht. Der plötzliche Umschwung auf den langfristigen Erhalt des "Operninterims" wurde kaum kommuniziert, außerdem sorgte die Verlängerung der Opernspielzeit an gewohnter Stätte um zwei Jahre für Unmut in der Lokalpolitik. Bei einigen Nürnberger Verbänden sind es vor allem Eingriffe in die Bausubstanz der Kongresshalle, die für Kritik sorgten. Fehlende Sensibilität für den historischen Ort, fehlende Transparenz und eine kaum gepflegte Diskussionskultur lauten seit Jahren die Vorwürfe.

Podiumsdiskussionen, Worldcafés und Rundgänge vor Ort: Unter anderem mit diesen Formaten hat der Geschäftsbereich Kultur über das Vorhaben informiert. "Informationsveranstaltungen, für die eine Anmeldung erforderlich und die Anzahl der Teilnehmer begrenzt ist, sind alles andere als ideal", sagt Andreas Grabow über einige der bisherigen Veranstaltungsreihen. Gerade für ein Projekt auf dem ehemaligen NS-Gelände hätte er sich mehr Offenheit und eine Trennung von Planen und Bauen gewünscht. Er bedauert, dass es keinen klassischen Architektenwettbewerb gab. Statt eines "Preisgerichts" seien es "Bewertungsgremien" gewesen, die über den besten von vier Entwürfen nicht-öffentlich entschieden. "Im Idealfall wäre ein Preisträger noch mal in eine Interessensbeteiligung mit all den Institutionen vor Ort gegangen", doch mit dem Totalübernehmer-Verfahren sei das Angebot fix, die Öffentlichkeit weitestgehend ausgeschlossen worden, so Grabow.

Mehr Platz für kritische Stimmen gefordert

Mittlerweile scheinen die Fronten verhärtet, einige Institutionen fühlen sich keineswegs abgeholt. Vereine wie die Nürnberger Initiative "BauLust" meldeten früh Bedenken an, als es um die Bebauung des Innenhofs des Denkmals ging. Eine Bewertung des nun vorgestellten Entwurfs will der Verein deshalb nicht abgeben. "Der Innenhof ist damit verbaut und die Wahrnehmung, dass die Kongresshalle ein unfertiger Torso ist, der so das Scheitern des NS verdeutlicht, wird genommen", hält die Vorsitzende Brigitte Sesselmann an der Position fest.

Der Verein "Geschichte Für Alle" forscht seit Jahrzehnten zur Stadtgeschichte – und zur Geschichte des Reichsparteitagsgeländes. Sämtliche Standardwerke zum Areal hat die Institution herausgegeben. Von Anfang an positionierte sich der Verein kritisch gegenüber den Eingriffen in den denkmalgeschützten Nazi-Koloss Kongresshalle. "Um eines klarzustellen", sagt Historiker Pascal Metzger auf Anfrage, "wir haben überhaupt nichts gegen Kunst und Kultur an diesem Ort." Aber temporär sollten sie dort zu finden sein, wie es die städtischen Leitlinien zum Umgang mit dem Areal vorsehen. Seine Bedenken: "Der Innenhof der Kongresshalle wird durch den Neubau des Operninterims und den Einbau zahlreicher Fenster in das Halbrund nicht mehr wiederzuerkennen sein."

Warum der Verein seinen kritischen Pressespiegel zum Thema von der Webseite genommen hat? "Aus Frustration." Kein gutes Zeichen für einen demokratischen Diskurs über ein NS-Erbe mit nationaler Bedeutung. Keiner der Nürnberger Vertreter der Erinnerungskultur sei jemals zu einem Podiumsgespräch geladen worden, die Berichterstattung habe man als sehr einseitig empfunden, es fehle die notwendige Transparenz von Seiten der Verantwortlichen.

"Das ist wirklich schade", sagt Andreas Grabow vom BDA über den bisherigen Ablauf. Aber es sei noch nicht zu spät, den Prozess des gesamten Kulturprojekts transparenter zu gestalten. "Hier müssen wir in Nürnberg echt noch besser werden", meint er nicht zuletzt in Bezug auf die Diskussionskultur in der Stadt.

Sein Vorschlag? Eine ständige Ausstellung mit eingehenden Erläuterungen für die Öffentlichkeit könnte eine erste Abhilfe schaffen und die nötige Transparenz in das Vorhaben bringen – ein Ort der Information und des Austauschs. Zeit dafür bleibt noch. Schließlich werden noch ein paar Jahre vergehen, bis das Publikum in Operngarderobe das erste Mal die Kongresshalle als eines der "bedeutendsten und innovativsten Kulturareale Europas" betreten wird.

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