Thomas Jung im Interview: Politik, Sicherheit und Zukunft Fürths

19.12.2018, 19:53 Uhr
Spezialkräfte der Polizei beim G 20-Gipfel in Hamburg: "Die SPD soll für mich die Partei des starken Staates sein, auch beim Thema Sicherheit", sagt der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung.

© Archivfoto: Bodo Marks/dpa Spezialkräfte der Polizei beim G 20-Gipfel in Hamburg: "Die SPD soll für mich die Partei des starken Staates sein, auch beim Thema Sicherheit", sagt der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung.

Herr Jung, mit Blick auf die Vergewaltigung in Fürth, für die wohl ein 37-jähriger ausreisepflichtiger Türke verantwortlich war, fordern Sie härtere Regeln bei der Abschiebung. Sind Sie ein Hardliner?

Thomas Jung: "Nein. Ich habe nur Dinge formuliert, die Menschen bis in das linkeste Lager hinein denken: Ein Staat muss, was er als Recht definiert, auch durchsetzen. Und wenn er die Ausreisepflicht anordnet und diese vom höchsten Gericht bestätigt wird, dann muss er handeln. Diese Lücke im Vollzug habe ich angesprochen und glaube, das wünscht sich jeder."

Wie Sie drängt jetzt auch die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock ebenfalls auf die schnellere Abschiebung von abgelehnten und kriminellen Asylbewerbern, fühlen Sie sich dadurch bestätigt?

Jung: "Ja, aber nicht nur. In Fürth zum Beispiel hat sich eine Integrationspreisträgerin vehement zustimmend geäußert. Ich bekomme vom Vorsitzenden des Ausländerbeirats volle Unterstützung, der sagt, wir Migranten wünschen uns auch, dass diejenigen, die das Gastrecht missbrauchen, gehen müssen. Die verstehen gar nicht, warum man bei uns darüber diskutiert..."


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Trotzdem gibt es eine breite Front von Kritikern, den Deutschen Gewerkschaftsbund zum Beispiel oder die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Region. Ihnen wird vorgeworfen, populistisch zu agieren und auf Stimmenfang für die nächste Kommunalwahl zu gehen.

Jung: "Die Kommunalwahl ist so weit weg, dass diese Kritik absurd ist. Und der Populismus-Vorwurf ist reflexartig und so falsch, dass er mir übel aufstößt. Die Menschen, die ihn erheben, weigern sich, über die eigene Position nachzudenken. Noch mal: Wenn jemand einen Rechtsstaat haben und dauerhaft sichern will, muss er auch für die nötige Akzeptanz sorgen. Es gehört doch auch zu linken Überzeugungen, dass der Staat seine Steueransprüche durchsetzt. Und jeder sieht ein, dass ein Führerscheinentzug durchgesetzt wird, wenn jemand alkoholisiert fährt. Warum dann eine Ausreisepflicht nicht durchgesetzt wird, das kann man doch niemandem erklären."

Hat denn eine Stadt wie Fürth Möglichkeiten, die Ausweisung straffälliger Ausländer und Asylbewerber zu beschleunigen?

Jung: "Nein. Wir können nur ein paar Auflagen machen, etwa den Aufenthaltsort einschränken oder die Arbeitserlaubnis entziehen. Aber das sind sehr schwache Instrumentarien."


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Wie beurteilen Sie die Kooperation zwischen Stadt und Polizei? Gibt es noch den intensiven Dialog wie bei den ständigen Sicherheitsgesprächen, wie es sie vor 20 Jahren einmal gab?

Jung: "Das läuft in Bayern gut und die Kriminalitätszahlen sind ja auch niedrig. Was mir in diesem Zusammenhang wichtig ist: Ich bin niemand, der sagt, dass von Migranten besondere Gefahren ausgehen oder Ähnliches. Wir haben in Fürth aktuell 86 Ausreisepflichtige, darunter sind zwei Straftäter. Ich sage nur, der Staat muss eine von Gerichten überprüfte und bestätigte Entscheidung durchsetzen."

Was können denn Städte tun, um das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen zu verbessern, das beispielsweise in Nürnberg in den letzten Jahren stark gelitten hat?

Jung: "So banal das klingt: für mehr Licht und Helligkeit sorgen. Menschen fühlen sich wohler und sicherer, wenn sie nicht im Dunkeln laufen müssen. Ansonsten fand ich die jetzt veröffentlichten Zahlen aus Nürnberg zum stark gesunkenen subjektiven Sicherheitsempfinden sehr erschreckend. In Fürth könnte ich aus meiner Wahrnehmung heraus aber bisher nicht bestätigen, dass die Menschen die öffentliche Sicherheit besonders umtreibt. Ganz im Gegensatz zum Thema Gerechtigkeit. Die Bürger wollen, dass der Rechtsstaat alle gleich behandelt. Das betone ich auch in meiner eigenen Partei: Gerade die Schwachen brauchen eine starken Staat und deshalb sollte gerade die SPD einen solchen fordern. Die SPD soll für mich die Partei des starken Staates sein, auch beim Thema Sicherheit!"

Sie haben in dieser Sache auch den SPD-Parteivorstand angeschrieben. Wie ist denn die Antwort ausgefallen?

Jung: "Von Frau Nahles habe ich bis jetzt noch keine bekommen. Aber man hat mir inzwischen doch mitgeteilt, dass sich die Innen- und Rechtspolitiker der Fraktion mit dem Thema befassen. Ich bin in dieser Hinsicht auch deshalb zuversichtlich, weil auch die EU das Thema aufgreift und an strengeren Regeln für die Rückführung arbeitet und auch mehrmonatige Abschiebehaft als zulässig anerkennt. So weltfremd ist meine Forderung also nicht."

Wenn die SPD die Partei des starken Staates werden soll, hat sie denn auch die passenden Köpfe dafür?

Jung: "Das ist in der Tat ein großes Problem. Die SPD hatte beispielsweise mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder immer wieder herausragende Köpfe, die das gesamte Land in entscheidenden Situationen geführt und vorangebracht haben. In der Regierung von Schröder war auch Otto Schily als Bundesinnenminister einer der Pfeiler. Ein entsprechendes Angebot mit einer Person diesen Kalibers wird den Wählerinnen und Wählern aktuell von meiner Partei nicht unterbreitet. Und Frau Nahles ist leider ein Stück weit verbrannt durch Sprüche, die bei der Bevölkerung hängen geblieben sind."

Sie meinen ihre Ankündigung als frisch gewählte Chefin der SPD-Fraktion, einer neuen Bundesregierung als Oppostitionsführerin "in die Fresse" zu geben . . .

Jung: "Es ist nicht fair, jemanden darauf zu reduzieren. Aber das klebt an ihr. Ebenso wie der Fall Maaßen."

Macht das die Union besser?

Jung: "Man kann in jedem Fall anerkennen, welche Kontinuität es bei der CDU in der Parteiführung gibt und welche Rochaden wir dazu im Gegensatz haben."

Horst Arnold als Fürther Sozialdemokrat und Fraktionschef in Bayern hat vorgeschlagen, den Juso-Chef Kevin Kühnert die SPD führen zu lassen. Ist das eine gute Idee?

Jung: "Das überzeugt mich schon deshalb nicht, weil Herr Kühnert wohl kaum mein Plädoyer für einen starken Staat unterschreiben würde."

Zu Hartz IV: Die SPD streitet seit der Reform um diese Reform. Muss die Partei sich da nicht endlich mal entscheiden?

Jung: "Ich finde es schade, dass die SPD sich auf eine Diskussionsebene begibt, die immer wieder beinhaltet, Hartz IV abzuschaffen. Ich sehe es ganz anders, als entscheidenden Pfeiler der wirtschaftlichen Stabilität Deutschlands, die innerhalb Europas einzigartig ist. Auch die Arbeitslosenzahlen sind ja nicht nur in der Statistik gesunken. Nehmen wir die Stadt Fürth: Wir hatten mal zwölf Prozent und sind jetzt bei 4,5. Das ist ein Wert, den ich nie erträumt hätte..."

Das hat aber nicht nur mit Hartz IV zu tun...

Jung: "Nein. Aber dass die Reformen etwas in Bewegung gebracht haben, dazu kann man doch stehen als SPD! Was mir aber zum Beispiel in der Seele wehtut, ist, dass von Anfang an der Mindestlohn zu niedrig war und Menschen aufstocken mussten. Wer 160 Stunden im Monat arbeitet, soll davon leben können. Und es ist in meinen Augen unzumutbar, dass zum Beispiel alleinerziehende Mütter mit Hartz IV nicht von Kindergelderhöhungen oder dem bayerischen Erziehungsgeld profitieren können. Dass immer gleich alles angerechnet und abgezogen wird bei Hartz IV, ist für mich ein Systemfehler."

Die SPD ist in vielen Städten sehr stark, in Bayern und im Bund aber nicht. Liegt das auch daran, dass sich Oberbürgermeister wie Sie nicht genug auf Landesebene engagieren?

Jung: "Selbst populäre sozialdemokratische Rathauschefs mit einer großen Strahlkraft wie Christian Ude haben bei Landtagswahlkämpfen erlebt, dass dieser unterstellte Automatismus nicht funktioniert. Wer glaubt, die Rettung der Bayern-SPD kommt aus dem Rathaus, irrt."

Das heißt, Sie, oder auch ein Nürnberger Oberbürgermeister Maly, werden trotz Ihrer Parteizugehörigkeit gewählt?

Jung: "Zum Teil ja. Aber wir verstecken unser Parteibuch ja auch nicht."

Wo wir schon bei der Kommunalpolitik sind: Ihr Erlanger Kollege Florian Janik hat kürzlich die Idee eines gemeinsamen von Nürnberg, Fürth und Erlangen entwickelten Gewerbeparks im Knoblauchsland aufleben lassen. Ist das eine Option für Sie?

Jung: "Nein. Ich war einst Verfechter dieser Idee, bin aber froh, dass es anders gekommen ist. Es geht hier um eine unverzichtbare Kulturlandschaft und dass wir unser Gemüse nicht aus Holland bekommen, sondern zuschauen können, wie es auf unseren Feldern wächst, ist ein echter Schatz."

Hätte Fürth denn überhaupt noch Flächen übrig, um weiter zu wachsen?

Jung: "Nein. Ich bin aber auch nicht bereit, im Flächennutzungsplan weitere Grundstücke auszuweisen, weder für Gewerbe noch für Wohnen. Es gibt noch ein paar wenige Flächen, um zum Beispiel heimischen Unternehmen die Möglichkeit zur weiteren Entwicklung zu geben. Aber wir hätten zum Beispiel keine Flächen für ein neues BMW-Werk."

Jahrelang hat sich Fürth auch gegen den Verschwenk des S-Bahngleises durch das Knoblauchsland gewehrt, zuletzt erfolgreich vor dem Bundesverwaltungsgericht. Doch die Bahn prüft noch immer ...

Jung: "Es wäre ehrlich von der Bahn, jetzt schon zu sagen, dass der Verschwenk tot ist. Jedes Jahr des Prüfens und Wartens ist mit Blick auf einen Ausbau entlang der Bestandsstrecke verloren. Auch das wird aber noch viele Jahre dauern."

Ein ganz anderes Thema: Wo stehen die beiden fränkischen Fußball-Erfolgsmannschaften für Sie?

Jung: "Das ist die schlimmste aller denkbaren Fragen (lacht). Die Euphorie in Fürth ist natürlich weg. Der Anspruch, ganz vorne mitzuspielen, bleibt als Ambition erhalten, aber mit Blick auf die Rahmenbedingungen muss man auch bescheiden bleiben. Nürnberg ist für mich überraschend erfolgreich gestartet. Aber jetzt muss man sich beim 1. FCN halt auch Gedanken machen, wie man mit der schwierigen Situation umgeht und die Nerven bewahrt..."

Sollten die Vereine fusionieren?

Jung: "Undenkbar! Aber ich wünsche mir so schnell wirklich keine Derbys und auch keine Relegation."

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