Virologe Christian Drosten hadert mit dem Medienrummel
3.4.2020, 05:55 UhrJede Nation hat gerade ihren Ober-Virologen. Anthony Fauci steht bei Pressekonferenzen neben Donald Trump und muss vorsichtig korrigieren, was der US-Präsident Falsches erzählt. Der Rat von Neil Ferguson hat in Großbritannien dazu geführt, das Prinzip der Herdenimmunität lieber noch einmal zu überdenken. Massimo Galli erklärt den Italienern, was da gerade eigentlich über ihr Land hereingebrochen ist.
Und Deutschland hat Christian Drosten. Seiner Sprechstunde im Norddeutschen Rundfunk hören jeden Tag Hunderttausende zu. Er analysiert den Stand der Dinge, in einer Sprache, die viele verstehen. Dabei bleibt er ruhig und sachlich. Es ist angenehm, ihm zuzuhören.
"Wissenschaft hat kein demokratisches Mandat"
Trotzdem hadert Drosten immer mehr mit der Rolle, in die er dadurch nach und nach hineingerutscht ist. Seine Beliebtheit bringt viel Aufmerksamkeit mit sich. Seine Bekanntheit führt auch zu Drohbriefen und Hass-Emails. Er will nicht der Chef-Erklärer und schon gar nicht der Berater einer ganzen Nation sein – sondern Wissenschaftler.
"Denn die Wissenschaft generiert nur Daten und kann sagen, wie sicher diese Daten sind und wo die Sicherheit aufhört, mehr aber auch nicht", sagt Drosten. Aber: "Die Wissenschaft hat kein demokratisches Mandat. Ein Wissenschaftler ist kein Politiker."
Politiker lassen sich von Wissenschaftlern beraten. Nicht nur in Corona-Zeiten, sondern auch sonst. Zum Klimawandel, zu Konjunkturpaketen, zum Datenschutzgesetz und vielem mehr. Politiker holen sich dazu aber auch noch Rat von vielen anderen, aus verschiedenen Disziplinen, aus der Wirtschaft, von Kollegen, von Betroffenen. Am Ende sollen sie dadurch möglichst gut und im besten Fall im Sinne ihrer Wähler entscheiden.
Es geht um Verantwortung
Der Deutsche Ethikrat hat nun noch einmal ausdrücklich zu diesem Verhältnis zwischen Politik und Wissenschaft Stellung bezogen. "Politik muss auf die Wissenschaft hören, sie darf ihr aber nicht hörig sein", sagt Peter Dabrock, Vorsitzender des Ethikrats und Ethik-Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Was ein Wissenschaftler sagt, soll ein Politiker nicht automatisch tun. Es muss viele Aspekte und Interessen abwägen – etwa die Gesundheit der Bevölkerung und die Stabilität der Wirtschaft und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen. "Am Ende muss die Verantwortung für die zu treffenden Maßnahmen von den gewählten Repräsentanten getragen werden", sagt Dabrock.
Die 26 Mitglieder des Deutschen Ethikrats setzen sich mit aktuellen, gesellschaftlichen Fragen und ihren Folgen auseinander. Dazu treffen sie sich normalerweise einmal im Monat in Berlin. Derzeit tagen auch sie virtuell. Anschließend veröffentlichen sie ihre Stellungnahmen.
Die nun herausgekommene, achtseitige Empfehlung beschäftigt sich mit "Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise". Darin heißt es: "Wissenschaftliche Beratung der Politik ist wichtig, sie kann und darf sie aber nicht ersetzen." Ein wichtiger Aspekt dabei: Wissenschaftler sind nicht vom Volk gewählt. Und sie können auch nicht abgewählt werden, wenn sie schlechte Entscheidungen treffen.
Drosten ist nur einer von vielen
Vor allem die große Präsenz Einzelner in der öffentlichen Wahrnehmung kritisiert der Ethikprofessor: "Es darf sich nicht der Eindruck breitmachen, dass es da ein oder zwei besonders hervorgehobene Wissenschaftler gebe, die das Sprachrohr der Wissenschaft insgesamt wären", sagt Dabrock.
Auch Drosten selbst betont immer wieder, dass er nur einer von vielen ist, die das neue Virus erforschen. Er liest Studien der Kollegen und fasst neue Erkenntnisse im Podcast zusammen. Er erklärt, wie Forschung funktioniert – und wie nicht. "Kein seriöser Wissenschaftler will Dinge sagen wie: Diese politische Entscheidung war richtig, oder diese war falsch. Oder diese muss jetzt als Nächstes getroffen werden."
Wissenschaftliche Erkenntnis braucht Zeit
Die Öffentlichkeit hätte gerne einfache Antworten: Mundschutz ja oder nein? Wann genau gibt es einen Impfstoff? Aber Wissenschaft ist viel komplizierter. Erkenntnis braucht Zeit, Austausch und Widerspruch. Diese Zeit können die Forscher gewinnen, wenn durch die aktuellen Ausgangsbeschränkungen die Zahl der Ansteckungen sinkt.
"Die Eindeutigkeit, die zum Teil in der Bevölkerung angenommen wird, was DIE Wissenschaft empfiehlt, die gibt es nicht", sagt Dabrock. Er würde sich wünschen, dass auch Politiker deutlich machen: "Da gibt es nicht den einen Papst der Wissenschaft, sondern ein großes Kollegium, das ständig im Austausch miteinander ist um das gegenwärtig beste Verständnis wissenschaftlicher Erkenntnis zu liefern."
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