Frankens Corona-Intensivstationen: Liegen dort tatsächlich die Jungen?

Martin Müller

Redaktion Metropolregion Nürnberg und Bayern

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23.4.2021, 17:39 Uhr
Weil die Covid-Patienten im Schnitt immer länger auf den Intensivstationen liegen, kommen derzeit mehr neue Patienten nach, als die Stationen wieder verlassen.

© Ole Spata, dpa Weil die Covid-Patienten im Schnitt immer länger auf den Intensivstationen liegen, kommen derzeit mehr neue Patienten nach, als die Stationen wieder verlassen.

"Wir behandeln inzwischen auch deutlich jüngere Corona-Patienten auf den Intensivstationen als in den beiden Wellen zuvor. Hochbetagte Patienten sehen wir aktuell kaum", sagt Stefan John, Leiter der Abteilung interdisziplinäre Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg Süd. Das bestätigt auch Oberarzt Arnim Geise, Bereichsleitung Internistische Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg Nord: "Im Unterschied zur ersten und zweiten Welle hat sich der Altersdurchschnitt unserer Patienten etwas nach unten verschoben."

Konkret heißt das: Aktuell liegt das Durchschnittsalter der Covid-19-Intensivpatienten am Klinikum Nürnberg bei 62 Jahren. Während der ersten Welle lag das Durchschnittsalter noch bei 65, bei der zweiten bei 66 Jahren.

"Über 80-Jährige haben wir hier fast gar nicht mehr. Vor allem wenn sie geimpft sind, sind das absolute Einzelfälle. Selbst wenn sie sich infizieren, sind die Symptome nicht mehr so schwer", sagt Manfred Wagner, Pandemiebeauftragter und Medizinischer Direktor am Klinikum Fürth.

Adipositas als großer Risikofaktor

Bei den Jüngeren hat sich laut Wagner vor allem schwere Adipositas als Risikofaktor für schwere Verläufe herausgestellt. Auch Diabetes und Bluthochdruck sind häufige Vorerkrankungen, etliche der ernsthaft Erkrankten befinden sich in einer immunhemmenden Behandlung. "Etwa ein Drittel der Patienten unter 50 Jahren hat aber gar keine bekannten Vorerkrankungen", betont Johannes Eissing, Sprecher des Uniklinikums Erlangen.

Vorerkrankungen spielen also eine etwas geringere Rolle als bei den vorhergehenden Wellen. "Wir sehen zunehmend auch ganz junge Patienten – vergangene Woche zum Beispiel eine Patientin mit 26 Jahren – ohne relevante Vorerkrankungen auf der Intensivstation", verdeutlicht Oberarzt Arnim Geise vom Klinikum Nürnberg.

Am Uniklinikum Erlangen hat sich das Medianalter der Covid-19-Intensivpatienten im Vergleich zur zweiten Welle um fünf Jahre reduziert, von 69 auf 64 Jahre. "Medianalter" bedeutet, dass ebenso viele Patienten älter wie jünger waren als diese Zahl. Es ist meist aussagekräftiger als das Durchschnittsalter, weil hierbei zum Beispiel eine einzelne sehr junge Patientin die Statistik nicht so leicht verzerren kann.

Nur noch wenige über 80-jährige Patienten

Das Uniklinikum hatte in der zweiten Welle insgesamt 207 Covid-19-Intensivpatienten. 43 davon waren zwischen 60 und 69 Jahre alt, 54 zwischen 70 und 79 und 38 zwischen 80 und 89. Von den bislang 49 Patienten der dritten Welle sind 16 zwischen 60 und 69, diese Gruppe ist nun die größte. 70- bis 79-Jährige sind bislang zwölf registriert, bei den 80- bis 89-Jährigen sind es nurmehr drei.

Um die deutschlandweite Situation zu ergründen, muss man sich die Zahl der schweren akuten Infektionen der unteren Atemwege ansehen, die von den Ärzten diagnostiziert werden. "Ihre Zahl ist in der Altersgruppe 35 bis 59 Jahre stark gestiegen und liegt auf einem sehr hohen Niveau, das in dieser Altersgruppe bisher nur während der besonders schweren Grippewelle 2017/18 erreicht wurde. Es wurden Anfang April mehr Fälle im Alter 35 bis 59 Jahre hospitalisiert als jeweils aus den Altersgruppen 60 bis 79 Jahre sowie 80 Jahre und älter", teilt das Robert Koch-Institut mit.

Die Covid-Fälle darunter waren Anfang April im Median 63 Jahre alt, zum Höhepunkt der zweiten Welle zum Jahreswechsel waren es noch 77 Jahre.

Teilweise sechs bis acht Wochen auf der Intensivstation

Bei den Covid-Intensivpatienten ist die Altersstruktur etwas anders, das Medianalter ist hier deshalb nicht ganz so stark gesunken. Trotzdem ging es auch hier immerhin von 73 Jahren zum Höhepunkt der zweiten Welle auf nun 67 Jahre zurück.

Je älter die Covid-Patienten der vergangenen Wellen waren, umso schneller verstarben sie meist auf den Intensivstationen. "Jetzt bleiben die Patienten meist länger auf den Intensivstationen, weil sie im Schnitt jünger sind und nicht so schnell sterben. Im Gegenteil: Sie kommen im Regelfall durch. Es kommt viel seltener vor, dass Menschen sterben", sagt Manfred Wagner vom Klinikum Fürth.

Was eigentlich erfreulich ist, wird allerdings zunehmend zum Problem für die Intensivstationen: Derzeit kommen mehr neue Patienten nach, als die Stationen wieder verlassen. "Wir befürchten, dass ein Teil der Intensivpatienten lange bis sehr lange bei uns liegen wird. Es gibt auch Patienten, die sechs bis acht Wochen auf der Intensivstation sind", heißt es aus dem Klinikum Nürnberg.

Viele Patienten aus schwierigen Verhältnissen

Immerhin: Auch manche Langzeitpatienten können ins Leben zurückfinden. "Der Zustand einzelner Covid-Patienten kann sich auch noch nach langer Behandlungsdauer wieder deutlich verbessern. So konnten wir Patienten auch nach 80 Tagen Intensivstation und vielen Wochen an der ECMO ohne Beatmung in die Reha verlegen", sagt Arnim Geise vom Klinikum Nürnberg.

"Es ist auffällig, wie viele der Menschen mit schweren Verläufen aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen zu uns kommen", so Stefan John vom Klinikum Nürnberg. Covid-Patienten mit Migrationshintergrund seien leicht überrepräsentiert. Möglicherweise liege das genau an diesen sozioökonomischen Verhältnissen, also am Leben in beengten Verhältnissen, grundsätzlich schlechterem Gesundheitszustand oder Jobs mit vielen engen Kontakten.

"Es ist ja eigentlich relativ banal: Bei einer Krankheit, die über engen Kontakt übertragen wird, ist das Risiko natürlich geringer, wenn zwei Leute in einem 170 Quadratmeter großen Einfamilienhaus wohnen, als wenn fünf Leute in einer Drei-Zimmer-Wohnung leben", verdeutlicht Manfred Wagner vom Klinikum Fürth.


Corona in Nürnberg: Häufung in sozial angespannten Stadtteilen


Oft sind es auch Sprachbarrieren, die einem pandemiegerechten Verhalten im Wege stehen. Werden die AHA-Regeln noch überall und mit leicht verständlichen Piktogrammen veranschaulicht, so werden etwa Quarantäneregeln oft in gestelztem Bürokraten-Deutsch kommuniziert, das selbst für Muttersprachler schwer verständlich ist. Experten fordern deshalb, auch in diesen Bereichen deutlich mehr mit Piktogrammen zu arbeiten.

Video-Kampagne in 14 Sprachen

Das Klinikum Nürnberg hat mit der Stadt Nürnberg auch eine Video-Aufklärungskampagne für die sozialen Medien in 14 Sprachen gestartet. In diesen Videos weisen Pflegekräfte, Mediziner und auch Reinigungskräfte, die auf Covid-Stationen arbeiten, auf die Corona-Gefahren hin – und darauf, wie wichtig Abstands- und Hygieneregeln sind.

Um die Datenlage zu den Corona-Patienten zu verbessern, hat das Uniklinikum Bonn ein Online-Dashboard eingerichtet. Die Zahlen aus mehreren Unikliniken fließen dort ein, zu den Projektteilnehmern zählen neben der Berliner Charité auch die Unikliniken in Erlangen und München. Daten zu Alter, Geschlecht, Liegedauer oder Versorgungsniveau werden hier erfasst. Zukünftig sollen auf der Seite auch verschiedene Zeiträume verglichen werden können. Um mehr als eine nicht repräsentative Stichprobe darzustellen, müssten sich allerdings noch mehr Unikliniken beteiligen.

Zusätzlich zu der zunehmenden Zahl an Corona-Patienten macht den Kliniken derzeit ein weiteres Phänomen zu schaffen: Der Patientendruck durch Nicht-Covid-Patienten ist viel größer bei den vorangegangenen Wellen. "Möglicherweise hatten die Menschen zuvor mehr Angst und sind deshalb nicht in die Krankenhäuser gekommen", meint Manfred Wagner vom Klinikum Fürth. Diese Angst könnte sich nun durch einen Gewöhnungseffekt und natürlich die fortschreitenden Impfungen verringert haben.

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