Erstes Zwischenfazit
Stärken, Schwächen, Ansätze: So lief der Saisonstart beim Klose-Club
4.9.2024, 08:00 UhrWürden sämtliche Fußball-Ligen aus irgendeinem Grund nicht nach einer gesamten Saison, sondern bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zur Länderspielpause und nach den ersten paar Spieltagen beendet würden oder grundsätzlich einfach verfrüht, kämen – bei allem Respekt für den derzeitigen Bundesliga-Primus aus Heidenheim – mitunter kuriose Ergebnisse und Platzierungen zu Stande.
Dann wäre auch der FC Schalke im Jahr 2001 Meister geworden und Dortmund in der Saison 2022/23. Aber: Derzeit grüßt Paris St. Germain in Frankreich nach wenigen Partien ebenso erwartungsgemäß von der Tabellenspitze wie Inter Mailand in Italien, die Premier League führen abermals ManCity und Liverpool an und die Bundesliga-Aufsteiger Kiel und St. Pauli stecken bereits im Abstiegskampf.
Dieser Blick auf die Spitzenligen in Deutschland und Europa, auf Kuriositäten und erfüllte Erwartungen zeigt, welche Aussagekraft ein Zwischenfazit zur Saison 2024/25 bereits im September haben kann – und welche nicht: Ob der 1. FC Nürnberg, um dessen Saisonstart es hier gehen soll, eine erfolgreiche Saison spielen wird, aufsteigen oder absteigen oder abermals im Tabellenmittelfeld verkehren wird, lässt sich nach vier Spieltagen freilich noch nicht sagen.
Der Schluss, die bisherigen Partien und Eindrücke besäßen demnach keine Aussagekraft, wäre ebenso falsch wie ein Überbewerten des Auftakts. Denn: Erstens ist knapp ein Viertel der Hinrunde bereits gespielt und die bisher gesammelten Punkte zählen schlichtweg. Und zweitens liefern die bisherigen Partien diverse Aussagen über den Leistungsstand des 1. FC Nürnberg, über die Spielidee des Trainers und über Stärken und Probleme.
Der Saisonstart
Ein Sieg gegen einen dezimierten FC Schalke 04, ein Remis gegen Darmstadt und zwei Niederlagen gegen den Karlsruher SC und den 1. FC Magdeburg: Der 1. FC Nürnberg sammelte in den ersten vier Partien vier Punkte und erfüllte zudem in der ersten Pokalrunde die Pflichtaufgabe beim 1. FC Saarbrücken. Man könnte vor diesem Hintergrund als wohlwollender Betrachter von einem ordentlichen Saisonstart sprechen und den umfangreichen Kaderumbruch, die neuen Personalien auf der Trainer- und Sportvorstand-Position sowie den jungen Kader als Argument anführen.
Aus einer kritischeren Warte heraus könnte man die These formulieren, der Club kaschiere bislang sehr ausbaufähige sportlich-spielerische Leistungen mit individueller Klasse und Glück. Denn: Gegen Darmstadt rettete Michal Sevcik per Distanztreffer nahezu aus dem Nichts den Punkt, gegen Schalke profitierten die Franken von einem umstrittenen Platzverweis und über 45 Minuten Überzahl. Und auch sämtliche Daten und Statistiken lassen ein deutlich düsteres Bild vermuten, als es angesichts die – mit Ausnahme der 0:4-Niederlage gegen Magdeburg - in Summe überwiegend hinnehmbaren Ergebnisse darstellen.
Ein Beispiel: Im Durchschnitt bewerteten die Experten des Fachmagazins "kicker" nur den Aufsteiger aus Regensburg und das Tabellenschlusslicht Braunschweig schlechter als den Club. Freilich handelt es sich dabei nur um eine subjektive Leistungsbeurteilung, die noch dazu von den Maßstäben und der Erwartungshaltung beeinflusst wird, dennoch korreliert die Tabelle der "kicker"-Noten mit dem tatsächlichen Tableau. In der vergangenen Saison etwa schnitten zwölf Zweitligisten in jener Region ab, in welcher auch ihre "kicker"-Note liegt – also jeweils maximal drei Plätze Unterschied zwischen der realen Tabelle und dem Noten-Klassement.
Die Defensive
Abgesehen von den subjektiv vergebenen "kicker"-Noten gibt es aber weitere Indizien und Kennzahlen, welche bei der Beurteilung des Nürnberger Saisonauftakts von Hilfe sein können. Spoiler beziehungsweise Warnung: Viele Zahlen könnten besorgniserregend wirken. Allerdings gilt auch hier zur Beruhigung, dass die Eindrücke aus vier Spielen nicht überbewertet werden sollten – ein Blick lohnt sich aber.
Das Offensichtliche zuerst: Nur Braunschweig und Darmstadt, die derzeit auf den beiden Abstiegsrängen der 2. Bundesliga stehen, kassierten mehr Gegentore als der 1. FC Nürnberg.
Dabei weist der Club unter dem neuen Cheftrainer Miroslav Klose vereinzelt bessere Entwicklungen und Muster auf, als noch in der Vorsaison. Exemplarisch dafür stehen gegnerische Flanken: In der vergangenen Saison resultierte ein Gros der Gegentreffer aus Flankensituationen, weshalb man sich in Nürnberg wünschte, eine geringe Anfälligkeit nach Hereingaben zu erreichen. Zwar lässt die Klose-Elf noch immer sehr viele Flanken zu, dank einer verbesserten Boxverteidigung und einer guten Staffelung im Strafraum entstehen daraus aber kaum Abschlüsse für den Gegner.
Außerdem führen die Club-Profis ligaweit die zweitmeisten Defensivzweikämpfe im eigenen Drittel, jedoch im gegnerischen Drittel die drittwenigsten Duelle. Entsprechend agierte der 1. FC Nürnberg bislang oftmals passiv, setzte selten auf ein hohes Pressing und generierte demnach auch kaum Ballgewinne in Torraumnähe – und das ist per se nicht schlimm, sondern gewissermaßen auch eine Frage der Philosophie.
In Miroslav Kloses Philosophie spielt das Thema "Intensität" eine große Rolle – und diese bemängelte er zuletzt. Nach dem 0:4-Debakel gegen Magdeburg sprach der Cheftrainer über einen der Hauptgründe für die herbe Niederlage: "Wir hatten heute auch nicht die nötige Intensität in unserem Spiel, um etwas mitzunehmen." Dabei kann man Intensität sowohl im Hinblick auf die Zweikampfführung als auch im Hinblick auf die athletischen Aspekte eines Fußballspiels interpretieren. Letztere indes sprechen nicht für den Club: Kein Zweitligist spulte bislang weniger Kilometer ab als der Club, auch hinsichtlich der gezogenen Sprints rangiert der Nürnberger Herz- und Schmerzverein im unteren Mittelfeld der 2. Bundesliga. Allerdings, ähnlich wie bei der Anzahl der Defensivzweikämpfe im gegnerischen Drittel, gilt auch hier: Eine hohe Anzahl an Sprints und eine Vielzahl gelaufener Kilometer ist nicht generell ein Erfolgskriterium. Der VfB Stuttgart, der vergangene Saison überraschend als Vizemeister beendete, rangierte etwa in beiden Kategorien maximal im Mittelfeld der Tabelle.
Was die Mannschaft von Cheftrainer Sebastian Hoeneß, welche Joti Chatzialexiou ebenso wie den FC St. Pauli und Bayer Leverkusen als mögliche Vorbilder für den 1. FC Nürnberg betitelt haben soll, aber auszeichnete, waren die wenigen zugelassenen, aussichtsreichen Chancen, die sich in den "Expected Goals Against" bemessen lassen. In dieser Kategorie weisen in der laufenden Zweitliga-Saison nur die SpVgg Greuther Fürth und Schlusslicht Braunschweig einen schwächeren Wert auf als der Club. Das Kleeblatt aber setzt – so ließ es zuletzt Trainer Alexander Zorniger anklingen – auf bewusst gewähltes Risiko und darauf, stets ein Tor mehr zu erzielen als der Gegner. Im Sinne: lieber 4:3 als 1:0 gewinnen. Denn: Zwar lässt das Kleeblatt zahlreiche vielversprechende Gelegenheiten zu, erspielt sich aber selbst diverse Hochkaräter in der Offensive und liegt mit einem Blick auf die eigenen "Expected Goals" auf einem starken zweiten Platz. Während Fürth also mit einer starken Offensive Probleme in der Defensive kompensieren kann, präsentiert sich der Club in der Abwehrarbeit anfällig und mit Ball wenig durchschlagskräftig.
Die Offensive
Dabei lassen sich die Probleme der Nürnberger Offensive in zwei Phasen unterteilen: den Spielaufbau und die Kreation von Chancen. Grundsätzlich wünscht sich Cheftrainer Miroslav Klose, wie er zu Beginn seiner Amtszeit am Valznerweiher erklärte, Dynamik, Dominanz und Ballbesitz. Bislang jedoch hat der Club im Durchschnitt den zweitniedrigsten Ballbesitz aller Zweitligisten. In Kategorien wie "raumgewinnender Ballbesitz" und "raumgewinnende Pässe" steht der Club laut der Datenbank "fbref.com" sogar auf Tabellenplatz 18. Entweder, so könnte man diese Zahlen nach wenigen Wochen erklären, rückte Cheftrainer Klose aus pragmatischen Gründen von seiner grundsätzlichen Idee ab, weil er seine junge, zusammengewürfelte Truppe womöglich (noch) nicht in der Lage für dominanten Ballbesitzfußball sieht.
Oder aber dem Club gelingt es bislang nicht, diese Idee umzusetzen. Nach dem passiven Spiel und dem ideenlosen Spielaufbau gegen Darmstadt aber konstatierte Klose: "Das ist jetzt nicht der Fußball, wie wir ihn uns vorstellen."
Bisher findet der Club aber kaum Lösungen, wenn Sechser Flick, der sich je nach gegnerischem Anlaufverhalten auch gelegentlich zurückfallen lässt, und die beiden Innenverteidiger zugestellt sind. Als Lösung folgt dann oftmals der lange Pass in Richtung des Zielspielers Lukas Schleimer. So spielt etwa Torhüter Reichert von allen Zweitliga-Keepern die durchschnittlich längsten Pässe. Dies könne, das gab Klose nach dem Sieg über den FC Schalke 04 zu Protokoll, eine Lösung gegen mannorientiertes Verteidigen sein – aber nicht die einzige. "Das ist zu überschaubar, was wir machen, nichts Überraschendes", bemängelte der 46-Jährige, der sich mehr Variantenreichtum im Aufbauspiel wünscht. Ein Ansatz wären mehr Positionswechsel, ein weiterer Hebel aber auch grundsätzlich die Qualität des Passspiels, schließlich weisen die Nürnberger mit nur 75,6 Prozent laut "fbref.com" eine dürftige Passquote auf, welche Dominanz freilich erschwert.
Gelingt es dem Club aber, sein Spiel vernünftig aufzubauen und Chancen zu kreieren, profitiert die Klose-Elf von einer starken Effizienz. Statistisch entstehen aus den Chancen, welche der Club sich bislang erspielt hat, 3,8 erwartete Tore – tatsächlich waren es aber sechs Treffer. Dass der 1. FC Nürnberg seine Expected Goals derart übertrifft, könnte an einer schlichten Überperformance ebenso liegen wie an individueller Klasse, wird aber auf die Saison gesehen nicht dauerhaft anhalten. Und dann sind 3,8 Expected Goals in vier Spielen relativ dünn, betrachtet man etwa, dass Martijn Kaars vom 1. FC Magdeburg allein schon auf 3,1 xG kommt und nur Ulm und Darmstadt weniger aussichtsreiche Chancen herausspielte als der Club. Außerdem verzeichnet die Mannschaft von Cheftrainer Klose ligaweit die wenigsten Schüsse, die wenigste Pässe ins letzte Drittel und die wenigsten raumgewinnenden Pässe.
Auch diese Zahlen legen zwar die Probleme offen, sind aber dennoch kein Anlass, nach nur fünf Ligaspielen alles zu hinterfragen. Dass in einer Mannschaft, die 15 Neuzugänge dazu bekam, ihren Topscorer verlor und einen Trainer-Novizen an der Seitenlinie hat, zu Beginn noch etwas Sand im Getriebe ist, ist nicht ungewöhnlich. Das Implementieren einer Spielweise braucht ebenso Zeit wie das Zusammenfinden einer Mannschaft. In weiser Voraussicht hatte Miroslav Klose bereits vor Wochen schon "von fünf bis sechs Spielen gesprochen, die meine Mannschaft braucht". Diese Schonfrist läuft spätestens am sechsten Spieltag, wenn Hertha BSC und Ex-Trainer Cristian Fiél zu Gast sind, ab. Aber selbst dann wird sich noch kein abschließendes Fazit zu Nürnbergs und Kloses Saisonstart fällen lassen – das funktioniert im Fußball schließlich erst ganz am Saisonende.
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