Kritik von Technik-Experten

Teurer Irrtum oder Gamechanger? Das bringt Luca in Bayern wirklich

Tobi Lang

Online-Redakteur

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6.11.2021, 05:58 Uhr
Nürnberg war eine der ersten Städte in Bayern, in der die Luca-App zum Einsatz kam. 

© imago images/MiS, NN Nürnberg war eine der ersten Städte in Bayern, in der die Luca-App zum Einsatz kam. 

Die Idee hinter Luca ist fast schon unverschämt simpel. Gäste checken per QR-Code in ein Restaurant ein, Ämter können darauf zugreifen und bestenfalls Infektionsketten stoppen. Wo früher Millionen von Zetteln nötig waren, reicht jetzt das Smartphone.

App bringt in der Praxis wenig

Rund 2,6 Millionen Euro hat sich allein Bayern diesen Service bislang kosten lassen - ein Betrag, der bis zum vorläufigen Lizenzende im April 2022 wohl noch deutlich anschwellen wird. Selten war digitale Verwaltung so begehrt, selten buhlten Länderchefs derart eifrig um ein kleines Tech-Start-Up - und selten flammte selbst bei eher analog gepolten Lokalpolitikern digitaler Pioniergeist auf. Luca, könnte man meinen, beendet die Pandemie im Alleingang.

In der Praxis, das ergab eine Umfrage unter Gesundheitsämtern in Bayern, bringt die App bisher jedoch wenig. "Wenn ein Infizierter Luca nutzt, können wir die Kontakte dort abrufen", erklärt Stefan Schmitzer, Leiter des Gesundheitsamtes Roth-Schwabach. Das können zum Beispiel alle Menschen sein, die mit dem Betroffenen in einer Diskothek waren. Unklar bleibt aber, ob es tatsächlich einen Kontakt gab. "Das einzige, was wir tun können, ist eine E-Mail schreiben und sagen, wenn Sie Covid-Symptome haben, dann lassen Sie sich testen." Im klassischen Kontaktmanagement würde man solche Fälle überhaupt nicht verfolgen. Der Nutzen sei daher "relativ gering", sagt Schmitzer.

"Damit hat sich das Thema erledigt"

Das Forchheimer Landratsamt teilt auf Anfrage mit, dass man bisher noch nicht auf Luca-Daten zurückgreifen musste. "Nachdem die Pflicht zur Erfassung der Kontaktdaten nicht mehr besteht, hat sich das Thema eigentlich erledigt", betont ein Sprecher. Lediglich die zuständige Behörde in Bamberg lobt Luca. Aber: "Wir ermitteln in Bezug auf die Gastronomie nur, wenn die Kontaktsituation vor Ort nicht überschaubar war mittels Luca-App", heißt es vom dortigen Landratsamt. Also etwa bei großen Veranstaltungen, wo Hunderte gemeinsam feiern und tanzen. Insgesamt sei auch in Bamberg "eine Nutzung der Luca-App im Gastronomie-Bereich eher selten der Fall".

Kontaktanfragen über Luca stellen die Behörden in Bayern dennoch relativ häufig. Wie viele es insgesamt waren, darüber gibt es keine Statistik - auch aus Gründen des Datenschutzes. Nur die letzten 14 Tage werden gespeichert. In einem zweiwöchigen Zeitraum Ende Oktober ließen sich die Ämter im Freistaat beispielsweise exakt 26.638 persönliche Daten entschlüsseln, wie das Gesundheitsministerium auf Nachfrage mitteilt. Nur: Ob es sich dabei tatsächlich um Menschen mit einem ernsthaften Infektionsrisiko handelt, bleibt unklar. Das Ministerium spricht von "potentielle Kontaktpersonen" - wie viele am Ende positiv getestet werden, wird nicht erfasst.

Chaos Computer Club kritisiert Luca: "Als Nischenanwendung noch ganz brauchbar"

"26.000 klingt natürlich nach viel", sagt Jens Rieger vom Chaos Computer Club. Er beschäftigt sich seit Monaten mit der App, hat sie immer wieder scharf kritisiert. "Die Frage ist nur, kommen die über kleine Shisha-Bars und Restaurants, dort, wo sich Menschen in beengten Situationen anstecken - oder alle von einem großen Fußballspiel?" Denn dass ein Infizierter auf einer Großveranstaltung Hunderte ansteckt, scheint unwahrscheinlich. Auch Luca selbst kann auf Nachfrage dazu keine Zahlen nennen. "Im Grunde ist die App als Nischenanwendung noch ganz brauchbar", sagt Rieger. "Wenn man eine bestimmte Locationgröße hat, wenn die QR-Codes gut verteilt sind und wirklich alle gezwungen werden, sich einzuchecken, dann hat man gute imaginäre Listen."

Nur: Was tun mit den Daten? "Natürlich führt das nicht dazu, dass man alle in Quarantäne schickt oder durchtelefoniert", sagt Rieger. Stattdessen vibriert das Handy bei Hunderten Menschen, denn: Seit einigen Wochen können Ämter über Luca Risikohinweise verschicken und sie auffordern, sich testen zu lassen. Quasi als massenhafte Rundnachricht an alle, die als Kontaktpersonen infrage kommen.

In Bayern waren es Ende Oktober 4749 Hinweise der Stufe eins, die vor "möglichem Infektionsrisiko" warnt. 949 Mal versendeten die Behörden Stufe zwei, also "erhöhtes Infektionsrisiko". Das Gesundheitsministerium räumt aber ein, dass sich nicht erfassen lässt, was das tatsächlich gebracht hat. In vielen Fällen, sagt Rieger vom CCC, verschicken die Ämter nicht einmal eine Warnung - auch aus Überforderung. "Bei der Bekämpfung von Infektionsketten hat Luca für uns keine Relevanz."

Luca-Gründer widerspricht: App erleichtert Bürokratie

Patrick Hennig widerspricht. Der Geschäftsführer von Nexenio, dem Start-Up, das Luca herausbringt, ist einer der Hauptakteure hinter der App. "Es kommt darauf an, wofür man sie nutzt." Hamburg etwa entlastet seine Kontakt-Tracer im Gesundheitsamt, indem es bei kleineren Ausbrüchen und Verdachtsfällen nur Warnmeldungen über die App verschickt - so, wie es viele Behörden auch in Bayern tun. Statt Hunderten Telefonaten reicht hier mehr oder weniger ein Klick.

Auch das bayerische Gesundheitsministerium betont diesen Vorteil. "Die digitale Kontaktdatenerfassung führt dazu, dass dieser Prozess – im Vergleich zur Erfassung von Kontaktdaten mittels Zettel und Stift – für Gäste und Veranstalter vereinfacht und beschleunigt werden kann", sagt ein Sprecher. Längere Warteschlangen an der Türe werden vermieden, außerdem müssten Kontaktdaten im Infektionsfall nicht mühsam beim Veranstalter angefordert werden. Durch in der Software enthaltene Filterwerkzeuge, etwa nach Kategorien wie Restaurant oder Hotel sowie Teilbereichen innerhalb eines Gebäudes, könne das jeweilige Gesundheitsamt den Kreis der relevanten Kontakte schnell begrenzen.

Was kann Luca, was die Corona-Warn-App nicht kann?

"Die Expertise im Gesundheitsamt ist unser großer Vorteil", erklärt Hennig. Ein Mitarbeiter muss sich proaktiv für die Verfolgung entscheiden. "Sie kennen die Locations", sagt der Software-Entwickler, wissen, ob ein Restaurant einen Luftfilter hat und wie groß der Raum ist. Doch gerade bei explodierenden Inzidenzwerten scheint es unwahrscheinlich, dass Gesundheitsämter tief in die Recherche einsteigen. Nürnberg etwa hechelte zuletzt bei der Bearbeitung von Corona-Fällen hinterher - und ließ die Infizierten ihre Kontaktpersonen lieber selbst informieren.

Immer wieder gibt es Vorstöße aus der Politik, auf die ohnehin staatlich finanzierte App des Robert-Koch-Institutes umzusteigen und das Luca-Kapitel zu beenden. Auch Rieger vom Chaos Computer Club ist dafür. "Wenn alle per QR-Code in die Corona-Warn-App einchecken würden, wäre deutlich mehr gewonnen", sagt er. Seit einigen Monaten bietet der Luca-Konkurrent auch einen Check-In für Restaurants und Veranstaltungen an. "Dann würden die Leute zwar nicht auf einer Liste vorliegen, das spielt aber auch keine Rolle. Alle, die sich wegen einer Warnung testen lassen und positiv sind, tauchen später sowieso beim Gesundheitsamt auf."

Luca-Gründer über Corona-Warn-App: "Geschwindigkeit ist sicher ein Vorteil"

Was kann Luca also, was die Corona-Warn-App nicht kann? Letztere setzt auf das sogenannte Peer-to-Peer-Prinzip. Dabei lädt ein Infizierter seinen Befund hoch und Menschen, die mit dem Betroffenen physischen Kontakt hatten, werden anonymisiert informiert. In Echtzeit und auf Basis von Bluetooth-Signalen. "Die Geschwindigkeit ist sicher ein Vorteil", gibt auch Hennig von Luca zu. "Aber die Corona-Warn-App informiert relativ ungezielt." Durch die Anonymisierung sei es schwer nachvollziehbar, wo der Kontakt stattfand. In einer Menschenmenge? Zwei Meter entfernt in der S-Bahn? Drei Regale entfernt im Supermarkt? "Diese Information gibt es nicht", sagt Hennig, der beide Konzepte für sinnvoll hält.

Fakt ist: Luca baut Bürokratie ab. 300 Millionen Check-Ins etwa in Restaurants gab es nur in den letzten drei Monaten. "Damit haben wir vielen Betreibern den großen Aufwand der Nachverfolgung vereinfacht", sagt Software-Entwickler Hennig, "und im wahrsten Sinne des Wortes eine Menge Holz eingespart." Die Datenqualität, sagen auch Behörden, ist ausgezeichnet. Wo sich vor Luca noch Micky Maus unter falschem Namen registrierte, ist jetzt im Einzelfall höchstens eine Postleitzahl falsch. "Heute infiziert sich niemand mehr aus Entenhausen. Das ist ein Gewinn."

Bis Vertragsende fließt noch Geld - obwohl die Kontaktdatenerfassung abgeschafft wurde

Die Zukunft von Luca liegt möglicherweise aber ganz woanders. Grundsätzlich, ist Hennig überzeugt, müssen die Gesundheitsämter mit den Bürgern kommunizieren können. "Man kann darüber diskutieren, ob das vielleicht irgendwann einmal ohne persönliche Daten geht", sagt er. Aber die Möglichkeit, mit 36 Millionen Smartphones interagieren zu können, das sei für Behörden Gold wert. "Schon jetzt sind wir die größte Kommunikationsplattform zwischen den Ämtern und dem Bürger."

Bayern hat die Kontaktdatenerfassung mittlerweile fast komplett abgeschafft. Lediglich bei Massenevents mit über 1000 Besuchern, in Clubs, Discotheken und Bordellen müssen die Gästedaten erfragt werden. Gaststättenverbände atmen auf, sprechen davon, dass ihnen viel Aufwand erspart bleibt. Das macht die eigentlich praktikable App im Freistaat nahezu obsolet. Bis zum Vertragsende im April wird aber noch jede Menge Steuergeld fließen.

Wie es danach weiter geht, lässt das Gesundheitsministerium offen. "Kontaktkettenverfolgung macht durchaus Sinn", sagt Technik-Experte Rieger. Nur nicht mit Zetteln, aber eben auch nicht mit Luca. "Beispielsweise mit der Corona-Warn-App könnte man die Verantwortung zurück in die Hände der Menschen geben."

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