Erlanger Uniklinik-Direktor zu Covid: "Noch lauern überall Gefahren"

1.3.2021, 10:30 Uhr
Erlanger Uniklinik-Direktor zu Covid:

© Harald Sippel

Erlanger Uniklinik-Direktor zu Covid:

© Harald Sippel

Herr Prof. Iro, Erlangen stand am Anfang der Corona-Krise in Franken mit einem erkrankten Arzt Ihrer Klinik im Fokus der Berichterstattung. Wie war für Sie der Moment, als Sie davon erfahren haben?

Im ersten Moment war das schon eine Art Schock. Ich hatte die Bilder aus Wuhan im Kopf und dann traf es einen Kollegen aus unserem Uni-Klinikum. Letztlich wusste zum damals niemand genau, was da auf uns zukommt. Wir wussten nur, das Virus ist hochgefährlich.

Machte es für Sie einen Unterschied, dass es sich bei dem Patienten um einen Beschäftigten in Ihrem Haus handelte?

Ja, in jedem Fall, da der Arzt, der sich damals bei einem Kollegen auf einem Münchner Kongress infiziert hatte, einen Tag lang ganz normal seinen Dienst verrichtet hatte, bevor ihn die Hiobsbotschaft aus dem Gesundheitsamt ereilte, dass er sich möglicherweise angesteckt haben könnte. Aber zum Glück konnten alle Kontaktpersonen schnell identifiziert werden und es gab keine weiteren Infektionen in der Klinik oder bei Patienten aufgrund dieses ersten, bestätigten Covid-19-Falles im Uni-Klinikum Erlangen. Das zeigt, unser Hygienekonzept hat von Anfang an gut funktioniert. Da hat sich die Vorarbeit unserer Krankenhaushygiene und Arbeitssicherheit wirklich ausgezahlt.

Welche Rolle spielte bei Ihnen die emotionale Ebene? Sie kannten ihn persönlich.

Persönlich betroffen gemacht hat mich, wie der Kollege von den Medien in die Öffentlichkeit gezerrt wurde und mit ihm seine ganze Familie. Das war nicht gut und das hätten wir gerne vermieden. Da gab es viele falschen Gerüchte und Anschuldigungen.

Wie und mit welchen Gefühlen haben Sie damals gehandelt?

In solchen Situationen handelt man nicht nach Gefühl, sondern nach genauer Überlegung und Intuition. Anders sind solche Krisen nicht zu bewältigen. Zum Glück konnte ich schnell einen Krisenstab zusammenstellen, der mit mir zusammen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche neue und schwer zu kalkulierende Krisensituationen gut bewältigt hat. Ohne dieses Team aus Expertinnen und Experten verschiedenster Fachrichtungen, auf das ich mich zu einhundert Prozent verlassen kann, wären wir bislang nicht so gut durch die Krise gekommen.

Wie schwierig war es, sich in kürzester Zeit auf den Wort Case, den schlimmst anzunehmenden Fall, überhaupt einzustellen?

Auf den Worst Case haben wir uns eigentlich nicht eingestellt. Wir konnten uns nur auf täglich neue, reale Situationen einstellen. Als in einer der ersten Sitzungen des Krisenstabes gefragt wurde, ob wir genügend Leichensäcke haben, habe ich gesagt: Wir kümmern uns erst einmal mit aller Kraft um den Schutz unserer Mitarbeiter und mit unserem Können um das Leben jedes einzelnen Patienten. Dann sehen wir weiter.

Wie schwierig war die Situation damals für Ihre Mitarbeiter?

Die Situation war für uns alle schwierig, weil es viele Ungewissheiten gab. Wie wird das Virus genau übertragen? Wie gefährlich ist es wirklich? Wie können wir uns am besten schützen? Wir haben von Anfang an offen und ehrlich mit unseren Mitarbeitern kommuniziert. Sehr hilfreich hat sich dabei unser Mitarbeiterportal erwiesen, in dem jeder, zu jeder Zeit Fragen stellen konnte und direkt Antworten bekam.

Und wie schwer ist sie jetzt?

Stellen Sie sich vor, Sie sind mitten in der zweiten Halbzeit eines sehr anstrengenden Fußballspiels gegen einen Angstgegner und führen 3:2. Der Gegner wechselt neue Spieler ein und Sie müssen mit einer nicht genau terminierten Verlängerung der Spielzeit rechnen, dann wissen Sie, wie ich mich und wie sich viele Mitarbeiter derzeit fühlen.

In der ersten Welle war vieles unvorbereitet, es fehlte an Material und Schutzkleidung. Die zweite Welle kam mit großer Vorankündigung, und dennoch trifft es die Kliniken mit größerer Wucht als die erste. Woran liegt das?

Die erste Welle war niedrig und kurz. Wir hatten bis zum August 2020 insgesamt 102 stationäre Covid-19-Patienten, davon 39 auf der Intensivstation. Die zweite Welle ist mehr als sechsmal so hoch und deutlich länger. Wir hatten seit September 2020 bis zum 23. Februar 2021 insgesamt 634 stationäre Covid-19-Patienten, davon 190 auf der Intensivstation. Traurig macht es mich, dass 168 Patienten, davon 16 in der ersten Welle und 152 in der zweiten Welle bislang bei uns an oder mit Covid-19 verstorben sind, darunter auch jüngere Patienten.

Wie sieht die Strategie der Uniklinik derzeit aus?

Die Gefahren lauern noch überall. Wir setzen daher unseren vorsichtigen Kurs unverändert fort. Dabei stimmen wir uns eng mit dem Gesundheitsamt, der Stadt Erlangen und den benachbarten Großkliniken ab. Die Kooperationen laufen sehr gut. Als Universitätsklinikum werden wir weiterhin auch schwerstkranke Covid-19-Patienten aus der Region aufnehmen müssen. Unsere Forscher engagieren sich in nationalen und internationalen Forschungsverbünden, um Covid-19 besser zu verstehen und wirkungsvoller behandeln zu können. Und als Stadtkrankenhaus übernehmen wir selbstverständlich auch Covid- 19-Fälle aus dem Waldkrankenhaus, wenn sie dort nicht mehr betreut werden können.

In der ersten Welle war für die Kliniken ja bei der die Freihaltung von Intensivbetten und der Verschiebung von nicht dringlichen OPs die finanzielle Seite geklärt. Nun gibt es da aber politische Ungereimtheiten. Wie verhält sich das bei Ihnen jetzt wirtschaftlich gesehen?

Da wir weiterhin mehr als ein Drittel unserer Kapazitäten für Covid- 19-Patienten freihalten müssen und die Umsetzung von besonderen Hygienekonzepten sehr teuer ist, rutschen wir Richtung rote Zahlen. Wir hoffen, dass die Politik diese Minusrutsche wieder mit fairen Ausgleichszahlungen stoppt.

Hätten Sie gedacht, dass Sie und Ihr ganzes Haus ein Jahr nach der bei einem Ihrer Ärzte bestätigten Covid-19 –Diagnose immer noch mit der Pandemie zu kämpfen haben?

Ja, so hatten uns das auch unsere Experten aus Virologie und Mikrobiologie vorhergesagt. Natürlich hatte ich gehofft, dass sie sich irren, aber wir brauchen jetzt alle noch einige Monate Geduld und Glück.

Wie sehen Sie es, dass ausgerechnet jetzt rund um den Jahrestag der Corona-Infektionen in Deutschland und auch Erlangen die Neue Britische Variante auch hier aufgetaucht ist. Haben wir jetzt eine neue Pandemie quasi in der Pandemie?

Die neuen Virusvarianten verbreiten sich rasant. Auch hier in Erlangen wurden in diesen Tagen die ersten Fälle entdeckt. Wir müssen auf der Hut sein. Die Inzidenzzahlen gehen langsam runter, aber schießen auch schnell wieder hoch.

Wann rechnen Sie denn mit einer wirklichen Entspannung der Corona-Lage hierzulande?

Wir haben unser Mitarbeiterfest vor einer Woche ein zweites Mal verschoben: Jetzt auf den Sommer 2022. Wir hoffen, dass wir dann gemeinsam das Ende der Pandemie feiern können. Damit wollen wir als Klinikumsvorstand allen unseren Mitarbeitern – egal, wo sie am Uni-Klinikum arbeiten – Danke für ihren tollen Einsatz sagen. Alles, was davor ist, hängt von vielen Faktoren ab. Wie schnell gelingt es, die Risikogruppen zu impfen? Gelingt es dauerhaft, den Inzidenzwert niedrig zu halten? Wie gefährlich sind die neuen Virusvarianten? Ich rechne aber fest damit, dass sich die Lage im kommenden Sommer entspannt. Bis zum Jahreswechsel 2021/2022 kommt es dann darauf an, ob wir durch die Impfungen eine Herdenimmunität erreicht haben.

Und wie geht dem Arzt, der mit als erster bestätigter Corona-Fall in Franken gilt, denn heute, ein Jahr nach seiner Infektion?

Gott sei Dank hat er die Erkrankung gut überstanden. Heute ist er auch in Franken leider einer von ganz vielen Erkrankten.

 

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