Nach fast zwei Jahren

Budapest-Komplex: 21-Jähriger aus Nürnberg und weitere Personen stellen sich freiwillig

Azeglio Elia Hupfer

nordbayern-Redaktion

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20.1.2025, 19:13 Uhr
Am Samstag, 18. Januar, fand die voraussichtlich letzte "Free Hanna"-Kundgebung vor der JVA Nürnberg statt. Im Anschluss gab es einen Demonstrationszug zum Jamnitzerplatz in Gostenhof, an dem sich etwa 500 Menschen beteiligten.

© Elia Hupfer Am Samstag, 18. Januar, fand die voraussichtlich letzte "Free Hanna"-Kundgebung vor der JVA Nürnberg statt. Im Anschluss gab es einen Demonstrationszug zum Jamnitzerplatz in Gostenhof, an dem sich etwa 500 Menschen beteiligten.

Am Montag haben sich sieben Beschuldigte im Budapest-Komplex im Alter zwischen 21 und 27 Jahren gestellt. Eine Person meldete sich in Hamm, zwei in Kiel, zwei in Bremen und zwei in Köln. Einer von beiden ist der Nürnberger Zaid. Nach den sieben Personen war fast zwei Jahre gefahndet worden. "Unsere Mandant:innen haben sich heute freiwillig den Strafverfolgungsbehörden gestellt", hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung der Verteidigerinnen und Verteidiger am Montag in Berlin.

Zaid und den sechs weiteren Antifaschistinnen und Antifaschisten wird vorgeworfen, an Angriffen auf vermutete Neonazis im Februar 2023 in Budapest beteiligt gewesen zu sein. Die Angriffe fanden rund um den sogenannten "Tag der Ehre" statt, ein von rechtsextremen Netzwerken organisiertes Zusammenkommen der europäischen Neonazi-Szene, bei dem unter anderem in SS- und Wehrmachtsuniformen durch die ungarische Hauptstadt marschiert wird.

Die Angriffe hatten in Deutschland und auch in Ungarn Ermittlungsverfahren unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zur Folge. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen in Deutschland mittlerweile übernommen und ermittelt auch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Bundesanwaltschaft in der Kritik

Die sieben Beschuldigten befürchten eine Auslieferung an Ungarn. Die Justiz könnte allerdings eine Auslieferung verhindern, indem sie das Strafverfahren in Deutschland führt. Bereits im Januar 2024, als das Verfahren noch bei der Staatsanwaltschaft Dresden lag, gab es erste Angebote, sich bei einer Zusage zur Nichtauslieferung an Ungarn zu stellen. Als später die Bundesanwaltschaft übernahm, wurde von den Verteidigerinnen und Verteidigern erneut das Gespräch gesucht. Auch Zaids Anwältin, Anna Magdalena Busl, war im Austausch, wie sie auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigte. Doch die Gespräche darüber wurden von den Behörden immer wieder abgelehnt.

Es droht theoretisch also weiterhin eine Auslieferung an Ungarn. Das Verhalten der Justiz kritisierte die Verteidigung am Montag in ihrer gemeinsamen Presseerklärung: "Die Bundesanwaltschaft macht deutlich, dass sie die abschreckende Wirkung jahrelanger Untersuchungshaft in Ungarn und maßloser ungarischer Verurteilungen will. Sie nimmt dabei in Kauf, dass das rechtsautoritäre ungarische Regime europarechtliche Vorgaben unverhohlen ignoriert und den Rechtsstaat systematisch aushöhlt."

Neben Zaid stellte sich auch Luca in Köln. Lucas Verteidigerin, Antonia von der Behrens, sagte im Gespräch mit unserer Redaktion: "Ich werde alles dafür tun, dass meine Mandantin nicht an das rechtsautoritäre ungarische Regime ausgeliefert wird, dass sie nicht unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt sein wird."

In der Vergangenheit wurden durch das EU-Parlament und die EU-Kommission immer wieder Mängel des ungarischen Rechtsstaats festgestellt. Die EU leitete gleich mehrere Verfahren gegen Ungarn ein. Seit Jahren kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International die Haftbedingungen in Ungarn scharf. Für die sieben Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

Sollte entschieden werden, dass eine oder mehrere Beschuldigte im Budapest-Komplex von Deutschland nach Ungarn überstellt werden, können diese Beschwerde einlegen. Dies hatten auch die Anwälte der ebenfalls im Budapest-Komplex beschuldigten Maja Ende Juni 2024 mit einem Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht versucht. Karlsruhe untersagte die Überstellung auch in einer Eilentscheidung vorläufig, doch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war nicht abgewartet worden und Maja zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr auf deutschem Boden und außer Reichweite deutscher Behörden.

Budapest-Komplex: Der Fall Maja

Das Vorgehen im Fall Maja sorgte für heftige Kritik. Es sei von den Behörden so orchestriert worden, dass der Rechtsschutz Majas ausgehebelt wurde, kritisierte in einem Interview mit dem "NDR" beispielsweise Jurist Michael Heger, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin. Die Gesamtentscheidung halte er für "sehr, sehr problematisch". "Mit Majas Auslieferung nach Ungarn hat mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat einen Riss bekommen", sagte Ute Baumann-Stadler von der Nürnberger Juristengruppe bei Amnesty International im Interview mit nordbayern.de. Der Linksparteivorsitzende Martin Schirdewan sprach von einer "Schande für Deutschland".

Maja sitzt seit mittlerweile über einem halben Jahr in Ungarn in Untersuchungshaft in einer Isolationszelle und berichtet von unhygienischen Zuständen, von Ungeziefer und teils verschimmeltem Essen. Die Initiative der Eltern und Angehörigen der gesuchten und inhaftierten beschuldigten Antifaschistinnen und Antifaschisten aus dem Budapest-Verfahren bezeichnen die Haftbedingungen als Weiße Folter - damit sind seelische und psychische Foltermethoden gemeint, die keine augenscheinlichen körperlichen Spuren hinterlassen, wie beispielsweise eine lang anhaltende Isolation. Dem deutschen Konsulat sei eine Visite der Haftzelle verweigert worden.

Im Januar kam nun die Anklageerhebung im Fall Maja, demnach drohen bis zu 24 Jahre Haft. Bei einem Geständnis stellte Ungarn 14 Jahre Haft in Aussicht. Die Anklage wirft Maja vor, Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein und sich rund um den "Tag der Ehre" an vier Angriffen auf Teilnehmende des rechtsextremen Aufmarschs beteiligt zu haben. Bei den Angriffen wurden mehrere Personen teils schwer verletzt. Neben Maja ist auch der Italiener Gabriele angeklagt. Anders als Deutschland verweigerte die italienische Justiz allerdings die Auslieferungen an Ungarn mit Verweis auf die Haftbedingungen.

Solikreis Nürnberg: "Schwerer Schritt für alle"

Am Montag kamen umgehend erste Solidaritätsbekundungen für den Nürnberger Zaid vom Solikreis Nürnberg, der in den vergangenen Monaten die im Rahmen des Budapest-Komplexes wegen Mordversuchs angeklagte Nürnberger Studentin Hanna bereits unterstütze und neben mehreren Demonstrationen auch zehn Kundgebungen vor der JVA Nürnberg organisierte, in der die 30-Jährige seit Anfang Mai in Untersuchungshaft sitzt. "Die Entscheidung, sich zu stellen, ist mit Sicherheit ein schwerer Schritt für alle gewesen. Wir möchten als Solikreis Nürnberg betonen, dass wir gleichermaßen solidarisch sind mit denjenigen, die sich heute gestellt haben, sowie mit jenen, die es immer noch vorziehen, sich nicht in die Hände des Staates zu begeben" sagte Alex Schmidt, Pressesprecher des Solikreis Nürnberg.

Gerade jetzt müsse man die Anstrengungen noch erhöhen, der Fall Maja zeige, "dass wir sowohl bei Hanna, aber insbesondere bei den ‚neuen‘ Inhaftierten unbedingt darauf drängen müssen, eine Auslieferung nach Ungarn zu verhindern", so Schmidt weiter. "Wir werden - für den Fall, dass er [Zaid, Anm. d. Red.] in Nürnberg sitzen wird - wie bereits zuvor bei Hanna Kundgebungen vor der JVA organisieren, Öffentlichkeitsarbeit betreiben etc.", sagte Schmidt. Ob und wo Zaid in Untersuchungshaft muss, blieb am Montag zunächst noch unklar. Die sieben Antifaschistinnen und Antifaschisten werden nun beim Bundesgerichtshof vorgeführt und dieser entscheidet dann über eine Inhaftierung.


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