Nürnberg scheitert: Chemnitz wird Kulturhauptstadt 2025
28.10.2020, 18:44 UhrSchlecht geschlafen hatten sie nach eigenem Bekunden alle drei. Als Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König, Bürgermeisterin Julia Lehner und Kulturhauptstadt-Bewerbungsleiter Hans-Joachim Wagner den historischen Rathaussaal am Tag der Entscheidung kurz vor 13 Uhr betreten, ist ihnen die Nervosität anzumerken. "Das ist wie bei einer Prüfung, wenn man auf das Ergebnis wartet", meint OB König. Wohlfühlen geht anders.
An drei Stehtischen platzieren sie sich tatsächlich ein bisschen wie Prüflinge. Hinter ihnen wirbeln Clips von Unterstützern aus der Region über die Bildschirme, vor ihnen läuft der Live-Stream der Kulturstiftung der Länder. Sie ist zuständig für das Auswahlverfahren der Kulturhauptstadt Europas 2025 , das nun zwei Jahre dauerte. Da kommt es zum Finale hin auf eine halbe Stunde mehr auch nicht an.
Europaweit in aller Munde
Die nutzen Jörg Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, Bayerns Staatsminister Bernd Sibler als Vorsitzender der Kulturministerkonferenz, und Markus Hilgert, Generalskretär der Kulturstiftung der Länder, für warme Worte ("Es gibt keinen Verlierer, nur einen Gewinner", "Alle haben eine Wegkreuzung erreicht, keinen Endpunkt") an die Finalisten.
Chemnitz wird Kulturhauptstadt: Konkurrent mit stärkeren Bildern
Die sind aus Chemnitz und Hannover, Hildesheim und Magdeburg live zugeschaltet. Die einen – wie Hannover – in ähnlichem Rahmen wie Nürnberg: Nur die politischen Macher, Bewerbungsleiter und Medien. In Hildesheim sehen 177 Menschen die Übertragung gemeinsam im Rathaus, Magdeburg macht ein Freiluft-Fest daraus. Die Corona-Regeln sind eben an jedem Ort anders.
Hier verkündete die Jury ihre Entscheidung live:
Kurz vor halb zwei dann erhält Sylvia Amann das Wort, die Vorsitzende der internationalen zwölfköpfigen Jury. Sie ist wegen Corona aus Österreich zugeschaltet, aus ihren Privaträumen, wie es aussieht. Die drei Nürnberger Vertreter stehen weiter an ihren Tischen mit den weißen Hussen, falten mal die Hände, lassen sich ein Glas Wasser bringen und leer wieder abräumen, nesteln an den abgelegten Masken - und warten. Warten, welche Stadt, "ab heute mit einem Schlag europaweit in aller Munde sein wird", wie es Amann prophezeit.
Erst nach mehrstündiger Beratung, so Amann, habe die Jury am Mittag eine Entscheidung getroffen. Sie zückt einen großen Umschlag, zieht langsam ein weißes Blatt heraus und schiebt es von unten ins Bild: Chemnitz.
Jubel in Chemnitz, Totenstille in Nürnberg
Dort brandet augenblicklich Jubel im Stadthallen-Foyer auf. In Nürnberg betretene Mienen und Totenstille. Dann Applaus für die Sieger. "Es ist, wie es ist", meint OB König, der bekennt, dass er sich unglaublich in das Projekt Kulturhauptstadt verliebt habe und nun traurig und enttäuscht sei. Seine Kollegin aus Sachsen jubelt derweil in der Live-Schalte, wie überwältigt sie ist, wie sehr man spüre, dass die Stadt durch diese Bewerbung anders lebe, und was Besucher 2025 in Chemnitz erwartet. Während sich die glücklichen Sieger erklären, wird draußen an der Nürnberger Rathausfassade mit der Montage eines riesigen Transparents mit dem beinahe trotzigen Slogan "Wir bleiben Kulturstadt" begonnen und Nürnbergs Bewerbungsleiter Hans-Joachim Wagner erhält offenbar bereits erste tröstende Worte per Whatsapp.
Die gibt es dann im Anschluss an die Live-Übertragung im Nürnberger Rathaus auch von OB König an alle, die für die Bewerbung gefiebert haben: "Es war keine Wahl gegen Nürnberg, sondern für Chemnitz", sagt er und gratuliert den Gewinnern. "Wir, die ganze Stadt, die ganze Region, haben gekämpft und uns sensationell präsentiert. Was wir erarbeitet haben, wird nicht im Archiv verschwinden." Nürnberg sei eine Kulturstadt und eine europäische Stadt. Ob mit oder ohne Titel.
Reaktionen aus Schwabach und Roth: Kulturstadt der Herzen
Nur ohne Titel fließt das viele Geld nicht. Was wird nun also aus den ganzen geplanten Projekten quer durch die Region? Auch aus denen, die schon gestartet sind? Was wird aus dem Vorhaben die Kongresshalle zu öffnen und das Haus des Spielens einzurichten? Kommt das neue Kreativzentrum in der Alten Feuerwache trotzdem? Und muss sich das Museum Industriekultur auf die reine Brandschutzsanierung beschränken, ohne inhaltliche Modernisierung?
"Ich verspreche, wir bleiben dran", sagt Lehner. Klar, dass das ohne den Titel langsamer gehen wird. „Wir müssen schieben, sparen und investieren“, stellt König fest. "Aber nur weil wir nicht gewonnen haben, heißt das ja nicht, dass Notwendigkeiten nicht mehr da sind. Wir sind das Risiko, auch verlieren zu können, bewusst eingegangen in diesem Wettbewerb", so Lehner.
Wie es mit den künstlerischen Ideen weitergeht, ist unklar. "Wir haben noch keinen Kassensturz gemacht" sagt Lehner auf die Frage, wie viel von dem 5-Millionen-Etat der vergangenen gut drei Jahre noch übrig ist und vielleicht für einzelne Projekte verwendet werden könnte. Das Bewerbungsbüro wird demnächst geschlossen: Die Verträge der Mitarbeiter laufen bis zum 31. Januar.
Zum Nachlesen: Die Kulturhauptstadt-Entscheidung im Live-Ticker: