Staatstheater Nürnberg baut seine Digital-Strategie aus

19.2.2021, 18:37 Uhr
Aufbruch zu neuen Ufern: Goyo Monteros Tanzstück "Über den Wolf" war die erste Produktion des Ballett Nürnberg, die ihre Uraufführung im Stream erlebte: als spezieller Ballettfilm, der mit der Hilfe des Regisseurs Hans Hadulla erstellt wurde.

© Jesus Vallinas, Staatstheater Nürnberg Aufbruch zu neuen Ufern: Goyo Monteros Tanzstück "Über den Wolf" war die erste Produktion des Ballett Nürnberg, die ihre Uraufführung im Stream erlebte: als spezieller Ballettfilm, der mit der Hilfe des Regisseurs Hans Hadulla erstellt wurde.

Trotz eines langanhaltenden Lockdowns und eines Staus von premierenreifen Produktionen hält das Staatstheater Nürnberg vorerst an seiner bisherigen Digital-Strategie fest, wie Staatsintendant Jens-Daniel Herzog im Gespräch mit unserem Medienhaus betont.

Von einem Eins-zu-Eins-Streaming – also der Übertragung einer Theater-, Opern- oder Ballettaufführung, die vor leeren Zuschauerreihen über die Bühne geht und lediglich abgefilmt wird – hält Herzog nichts. Darüber sei die Zeit eigentlich schon hinweggegangen und Online-Streaming könne höchstens ein kleiner Teil einer umfassenderen Strategie sein.


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„Wir entwickeln für unser Digitalangebot eigene künstlerische Formate“, hält Herzog dagegen und spricht von einer speziellen „filmischen Kunstform“. So geschehen bereits bei Joana Mallwitz’ Expeditionskonzerten, von denen bereits zwei fürs Streaming aufbereitet wurden.

Ebenso bei Goyo Monteros eigens konzipiertem Ballettfilm „Über den Wolf“ und nun bald im Schauspiel bei der Uraufführung des Stücks „Isola“ von Philipp Löhle, das Regisseur und Schauspielchef Jan Philipp Gloger ebenfalls in ein filmisches Format gebracht hat.


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Herzog, der in Personalunion auch Operndirektor ist, arbeitet derzeit an der Filmversion seiner Inszenierung von Monteverdis „L’Orfeo“, die der aktuellen Spielzeit zum Start letzten Oktober einen kurzen Glücksmoment von live zu erlebender Oper beschert hat. 12 Drehtage sind für diese Neukonzeption veranschlagt, schon an dieser Zahl erkennt man, wie ehrgeizig und aufwändig das Projekt ist.

Man könnte also sagen, das Staatstheater hat bei der Umstellung auf ein digitales Angebot seine Hausaufgaben bereits gemacht und tritt entsprechend selbstbewusst auf. „Jede Sparte soll am Ende mindestens ein hochwertiges digitales Produkt im Angebot haben“, betont Herzog die Nachhaltigkeit der digitalen Strategie seines Hauses.

Sogar einen Begriff gibt es dafür schon, „Nürnberger Weg“, und über den spreche man sogar im Bayerischen Kunstministerium wie in der Kulturminister-Konferenz, sagt Herzog.


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Den meisten Wirbel hat bislang die Schauspielsparte gemacht, Gloger nannte es sogar eine „digitale Offensive“. Sie startete Anfang Februar und hat es in der kurzen Zeit schon bis zur Erwähnung in der New York Times (Online-Ausgabe vom 11. Februar 2021) geschafft.

Dort wurde Philipp Löhles interaktives „Choose-you-own-adventure“- Format „Die Dosen“ als Musterbeispiel für eine digitale Publikumsbeteiligung in Zeiten der Pandemie gelobt – wie passend, dass es dabei um das Rennen um einen Corona-Impfstoff geht, bei dem die als Spieler integrierten Zuschauer eigene Entscheidungen treffen müssen.

So berichtete die New York Times über Philipp Löhles "Die Dosen" im Bild.

So berichtete die New York Times über Philipp Löhles "Die Dosen" im Bild. © Foto: Staatstheater Nürnberg

Eine wichtige Stütze für die Erarbeitung hochwertiger digitaler Formate ist laut Herzog die Kooperation mit dem Studio Franken des Bayerischen Rundfunks. Zusätzlich zu diesem Standbein diene der Digitale Fundus des Staatstheaters vor allem der Vertiefung und Vermittlung ursprünglich analoger Inhalte – sowie dem Kontakt mit dem Publikum in Zeiten der Theaterschließung.


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Herzog ist sich sicher, dass diese Gesamtstrategie des Hauses die richtige ist, eine Online-Umfrage beim Publikum des Staatstheaters bestätige dies. Ebenso die „sehr guten Abrufzahlen“ etwa bei Mallwitz’ Expeditionskonzerten oder Monteros Ballettfilm „Über den Wolf“.

Trotzdem könnte der Fall eintreten, dass die Position des Staatstheaters zum Streaming nochmals überdacht wird. Denn inzwischen verfügt das Haus über eine ansehnliche Zahl fertig geprobter Produktionen. Allein in der Oper könnte man sofort für die beiden Operetten „Der Vetter aus Dingsda“ von Eduard Künneke und „Märchen im Grand Hotel“ von Paul Abraham den Vorhang hochgehen lassen, ebenso für Benjamin Brittens Kammeroper „The Rape of Lucretia“, die Herzog selber inszeniert.

Angesichts eines solchen Kreativ-Staus ist im Haus trotz der Möglichkeit zur Kurzarbeit natürlich Druck im Kessel: Man müsse nach innen glaubhaft kommunizieren, wieso man die Abteilungen trotz des ruhenden Spielbetriebs immer noch zur Arbeit antreten lässt, so Herzog.

Und es ist ja nur menschlich, dass alle die, die an den auf Vorrat geprobten Produktionen beteiligt sind, auch mal Ergebnisse ihrer Arbeit sehen wollen.

Intern geht man im Staatstheater davon aus, dass ab Mitte April wieder gespielt werden könne. Sollte daraus wegen der Entwicklung der Pandemie nichts werden, will Herzog noch mal neu nachdenken, ob man die fertig geprobten Inszenierungen nicht doch auf anderem Wege unter die Leute bringen kann – eben auch durch Streaming.

So ein Vorhaben würde allerdings die Kapazitäten des Hauses ebenfalls enorm strapazieren, zum Beispiel die Video-Ton-Abteilung, die mit der aktuellen Digitalstrategie schon voll ausgelastet ist.

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