Blut für Virus-Forschung: Münchner Studie zu Corona-Dunkelziffer

8.4.2020, 07:38 Uhr

Einen kleinen blauen Fleck wird es ausnahmsweise wohl geben. Aber: "Das macht nichts." Schließlich ist es im Dienst der Forschung über das Coronavirus. Die 46-Jährige, die sich gerade Blut abnehmen ließ und die Folge des Einstichs in ihre Vene gelassen nimmt, ist eine der ersten Teilnehmenden einer Studie zur Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung. Ihr Blut soll wie das ihres Mannes von der Abteilung Infektions- und Tropenmedizin am LMU-Klinikum München auf Antikörper untersucht werden - um festzustellen, ob sie schon eine Immunreaktion auf den Erreger hatte.

Rund 3000 zufällig ausgewählte Haushalte in München wollen die Studienteams in den nächsten Wochen besuchen und dabei rund 4500 Freiwilligen Blut abnehmen. So soll erfasst werden, welcher Anteil der Bevölkerung mit dem Sars-CoV-2-Virus infiziert war - ohne es zu wissen und vielleicht auch, ohne jemals Symptome gespürt zu haben.

"Selbst wenn die Antikörper positiv sind, heißt das nicht, dass Sie immun sind", klärt die Ärztin Laura Olbrich vom Tropeninstitut das Paar auf. Bei bestimmten Krankheiten sei erwiesen, dass Menschen mit Antikörpern geschützt seien - aber über das neuartige Virus sei zu wenig bekannt. "Wir wissen es nicht." Im Laufe der Studie könnte es mehr Erkenntnisse geben. Möglicherweise könnte auch eine spätere zusätzliche genetische Untersuchung weitere Einblicke bringen.


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Für die Studie wurden 100 der 755 Stimmbezirke zufällig ausgewählt. Vom geografischen Mittelpunkt dieser Stimmbezirke aus gehen die Studienteams eine Route, entlang derer sie nach einem Zufallsschema 30 Haushalte auswählen, die somit die Bevölkerung repräsentieren.

Am Sonntag hatten erste Teams an Haustüren geklingelt - begleitet von Polizeibeamten, damit die möglichen Probanden sicher sein konnten, ein wissenschaftliches Team und nicht Betrüger vor sich zu haben.

"Nichts passiert" und "Bitte nicht erschrecken" - mit diesen Worten stellten sich die beiden Medizin-Studentinnen Norah Kreider und Paula Matcau aus Olbrichs Team vor. Der unerwartete Anblick der Gestalten mit Mundschutz in Polizeibegleitung hätte sonst den einen oder anderen erschrecken können, sagt Olbrich. Nicht zuletzt: Ein wichtiges zwischenmenschliches Signal fehlt derzeit wegen des Mundschutzes: "Das Lächeln fällt weg."

Dennoch hätten sich die meisten über den Besuch gefreut - viele hätten sogar gehofft, mitmachen zu können. "Wir hatten schon davon gelesen", sagt die 46-jährige Teilnehmerin. "Wenn man so einen Beitrag leisten kann, und wenn es nur um eine Blutabgabe alle drei Wochen geht, kann man mitmachen." Angst vor Ansteckung durch die Teams, die bis zu zehn Wohnungen am Tag besuchen, habe sie nicht. "Da habe ich mehr Sorgen, wenn ich zum Einkaufen gehe oder zum Arzt."

Die Teams rücken mit Schutzkleidung an. Beim Blutabnehmen tragen die Helfer viruzide Einwegkittel, Handschuhe und Schutzbrille. Immer wieder werden die Hände desinfiziert - und auch die Möbel, auf denen die gelbe Kiste des Teams mit Nadeln, Ampullen und Schutzausrüstung abgestellt war. Sogar der Aufklärungsbogen, den die Teilnehmer unterschreiben, kommt steril in die Kiste - in einer Klarsichthülle.


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Um eine eigene Infektion machen sich die Medizin-Studentinnen in Olbrichs Team keine Sorgen. "Ich habe gerne Patientenkontakt", sagt Kreider. Und Matcau: "Wir schätzen es, dass wir etwas tun können." Das Semester geht erst am 20. April weiter.

Erste Ergebnisse erwartet der Leiter der Abteilung Infektions- und Tropenmedizin, Michael Hölscher, in sechs bis acht Wochen. In der ersten Testrunde rechnen die Mediziner zwar nicht damit, viele Menschen mit Antikörpern zu finden. Die Tests sollen aber über zwölf Monate alle drei oder vier Wochen in denselben Haushalten wiederholt werden, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verfolgen.

Zwar gebe es ähnliche Testreihen auch in anderen betroffenen Gebieten, etwa im nordrhein-westfälischen Landkreis Heinsberg. "Das Besondere in München ist, dass wir dieselben Menschen immer und immer wieder besuchen werden", sagte Hölscher. So lasse sich sehr genau der fortschreitende Verlauf der sogenannten Durchseuchung verfolgen.

Denn anders als im Kreis Heinsberg, wo die meisten Infektionen auf eine Karnevalssitzung zurückgehen, gibt es in München bereits viele nicht mehr nachvollziehbare Infektionen. Die "Dynamik des Infektionsgeschehens" hier sei gewissermaßen "stellvertretend", sagt Hölscher. Die Ergebnisse könnten somit für ganz Bayern oder sogar ganz Deutschland Bedeutung haben.


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