Psychologie

Overthinking: Wenn zu viel Nachdenken zum Problem wird

Elias Thiel

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17.7.2024, 08:03 Uhr
Von Overthinking spricht man, wenn das Nachdenken ungesund wird.

© IMAGO / Pond5 Images Von Overthinking spricht man, wenn das Nachdenken ungesund wird.

In diesem Artikel:

Viel nachzudenken ist an sich nichts Schlechtes und in vielen Fällen auch wichtig. Allerdings kann das Overthinking auf Dauer zu schlechter Laune führen und sich sogar negativ auf die Gesundheit auswirken. Aber was kann man gegen Overthinking tun und wie lässt sich das Gedankenkarussell stoppen? In diesem Artikel gibt es alle Informationen rund um das Thema "Overthinking" und die zehn besten Tipps für alle Menschen, die ständig zu viele Gedanken im Kopf haben.

Overthinking bedeutet übersetzt so viel wie "sich endlos Gedanken machen" oder "zu lange über etwas nachdenken". Bei diesem Phänomen denken Menschen übermäßig intensiv über bestimmte Dinge nach und können sich aus dem Grübeln gar nicht mehr wirklich herauslösen. Das kann zu einer echten Belastung werden.

Das Overthinking in der Psychologie beschreibt einen Zustand, bei dem sich Menschen häufig nur noch auf negative Dingekonzentrieren und in ein Gedankenkarussell geraten. Betroffene denken ständig über das Gleiche nach, ohne ein Ergebnis zu erreichen.

Nachdenken ist in der Regel ein zielgerichteter Prozess, der zu einem konkreten Ergebnis führen soll. Im Gegensatz dazu ist Overthinking ein destruktives Gedankenmuster, das Betroffene herunterzieht. Obwohl sich alle Menschen Gedanken über wichtige Dinge im Leben machen, gelegentlich bedrückt sind und auch kritische Gedanken haben, werden Overthinker von einer Flut von negativen Gedanken geplagt. Das "zu viel nachdenken" in der Psychologie oder obsessives Überdenken wird als "Overthinking" bezeichnet.

Menschen, die unter dem Phänomen "Overthinken" leiden, machen sich über alles mögliche Sorgen: die Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft und potenzielle Katastrophen. Gedanklich durchleben sie bereits geführte Gespräche mit anderen Menschen immer wieder und deuten oftmals auch Anzeichen der Ablehnung hinein. Zudem überlegen sie, was sie Besseres hätten sagen oder wie sie angenehmer hätten reagieren können. Damit wird jede (auch noch so unwichtige) Entscheidung hinterfragt. Betroffene kommen somit nicht zur Ruhe.

Während Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung konstruktiv und wertvoll für die Persönlichkeitsentwicklung sind, führt Overthinking zu einem inneren Dialog, der Ängste und Unsicherheit schürt.

In der Vergangenheit waren viele unserer Neigungen überlebenswichtig, darunter auch das Nachdenken und Reflektieren. Das kritische Denken war in der Entwicklung der Menschheit sehr wichtig, um uns das Überleben zu sichern. Es trug dazu bei, sich auf Gefahren vorzubereiten und aus Erfahrungen zu lernen. Zudem ermöglichte es den Menschen, sich sowohl physisch als auch sozial anzupassen, um in ihrer Gruppe integriert zu bleiben und nicht ausgeschlossen zu werden.

Overthinking an sich ist keine Krankheit. Allerdings kann übermäßiges Grübeln negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Mehr dazu lesen Sie im nächsten Absatz. Zudem gibt es Zusammenhänge zwischen Overthinking und psychischen Erkrankungen wie Depression oder Angststörungen. Wer an einer der beiden Krankheiten leidet, ist oft auch ein Overthinker. Gleichzeitig ist das Risiko von Depressionen und Angststörungen höher, wenn man viel grübelt. Man kann Overthinking also als Warnsignal betrachten.

Menschen, die sich ständig Gedanken machen, steigern sich in Ängste und Unsicherheiten hinein. Dies wirkt sich auf die Stimmung sowie die mentale und physische Gesundheit aus.

Fehlentscheidungen oder keine Entscheidungen

Overthinker neigen dazu, wichtige Entscheidungen zu vermeiden oder zu verzögern. Dieses Überdenken kann dazu führen, dass sie aus Angst oder Unsicherheit schlechtere Entscheidungen treffen. Wichtig: Auch keine Entscheidung ist eine Entscheidung. Zum Beispiel kann das Zögern, einen neuen Job zu suchen oder einer Person zu schreiben, bereits Folgen haben und somit eine Entscheidung sein.

Stress und Schlaflosigkeit

Overthinking bedingt Stress, da das Gehirn kontinuierlich in einem Kreislauf von negativen Gedanken gefangen ist, was zu einer Überlastung des Geistes und des Körpers führen kann. Dies kann sich auch negativ auf die Schlafqualität auswirken und zu Schlaflosigkeit oder -problemen führen.

Hier finden Sie Tipps für den Stressabbau.

Erschöpfung und Müdigkeit

Overthinking kann sich aber mittelfristig auch auf die körperliche Gesundheit auswirken. Überdenken kostet viel Energie, sodass es zu körperlichen Symptomen wie Erschöpfung und Müdigkeit kommen kann.

Selbstzweifel und niedriges Selbstbewusstsein

Ständiges Nachdenken beeinträchtigt das Selbstbewusstsein, indem es vermehrte Selbstzweifel hervorruft. Betroffene hinterfragen ständig, ob sie alles richtig machen oder gut genug sind.

Soziale Isolation

In einigen Fällen kann das Overthinking auch dazu führen, dass sich Menschen sozial isolieren und einsam werden. Dann befinden sie sich nur noch in ihrer Gedankenspirale und ihr Selbstwertgefühl verringert sich aufgrund der Einsamkeit noch mehr.

Overthinking und psychische Erkrankungen

Overthinking kann nachweislich das Risiko für psychische Erkrankungen wie Burnout, Depressionen und weitere psychische Erkrankungen wie Angststörungen erhöhen.

Gleichzeitig kann das sogenannte "Impostor-Syndrom" verstärkt werden, da Betroffene unter Selbstzweifeln leiden und sich selbst ihren Erfolg nicht zugestehen. Jede Form von Glück und Erfolg schreiben sie nicht sich selbst, sondern glücklichen Umständen zu. Werden diese Gedanken immer wiederholt, verstärken sich die Selbstzweifel noch mehr.

Für das Phänomen Overthinking gibt es zahlreiche Ursachen, die nicht immer auf den ersten Blick ergründet werden können. Potenzielle Ursachen sind familiäre Prägungen, wenn beispielsweise Eltern ihre Sorgen auf die Kinder projizieren. Auch Perfektionismus, Ängste und starke Unsicherheiten können zu Overthinking führen.

Einige Menschen machen sich grundsätzlich mehr Gedanken und neigen zu Gedankenkarussells, während andere Menschen scheinbar mit Leichtigkeit durch die Welt gehen, ohne sich Gedanken zu machen.

Aber auch das Umfeld kann eine entscheidende Rolle spielen. In einem Arbeitsumfeld mit großer Verantwortung tritt Overthinking ebenfalls vermehrt auf. Gleichzeitig gibt vielen Overthinkern das Nachdenken eine gewisse Form von "Kontrolle". Diese ist leider weder gesund noch besonders produktiv.

In Beziehungen können Overthinker unsicher sein, sich häufig Sorgen machen und viel Bestätigung benötigen. Dies kann sich auch negativ auf den Partner auswirken, die immer wieder versichern müssen, dass alles okay ist (falls das denn stimmt). Gleichzeitig ist eine klare Kommunikation wichtig, um möglichst wenig Platz für Missverständnisse zu lassen. Ironie sollte deutlich gekennzeichnet werden.

Overthinker haben jedoch häufig auch eine hohe Empathie und können viele Situationen gut verstehen, weil sie sich bereits ausgemalt haben.

Letztlich sollte man sich bewusst machen, dass Overthinking nur eine Facette eines Menschen ist und er noch viele andere Eigenschaften mit sich bringt. Man sollte einen Partner, der viel grübelt, nicht in eine Schublade stecken. Stattdessen sollte man gemeinsam mit ihm herausfinden, was der Beziehung gut tut, wo man Rücksicht nehmen sollte und wo beide Personen vielleicht andere Bedürfnisse haben, als der jeweils andere vorher dachte.

Eine gute Beziehung braucht eine solide Kommunikation - beispielsweise mit einem regelmäßigen Zwiegespräch. Das bietet Overthinkern die Basis, ausführlich und ohne Unterbrechung von ihrem Innenleben zu berichten.

Um das Overthinking zu stoppen, sollte man die 10 folgenden Tipps befolgen:

1) Das Problem erkennen

Wer die negative Gedankenspirale durchbrechen möchte, muss zunächst das Problem erkennen. Wenn man sich dessen erst einmal bewusst ist, kann man sein Verhalten reflektieren, die Ursachen dafür finden und das Verhalten ändern. Manchmal ist es jedoch nicht offensichtlich, wenn man sich in eine Gedankenspirale verstrickt. Zudem erfordert das Loslassen Übung. Man kann damit beginnen, nach Gedankenmuster zu suchen und mögliche Ursachen zu reflektieren.

2) Realitätscheck

Gleichzeitig sollte man sich bewusst machen, dass die eigenen Gedanken nicht unbedingt nicht der Realität entsprechen. Die Katastrophenszenarien und schlimmsten Befürchtungen sind in den meisten Fällen gar nicht gerechtfertigt.

3) Sorgen begrenzen

Um zu vermeiden, sich stundenlang über ein und dasselbe Thema Gedanken zu machen, sollte man die "Sorgenzeit" begrenzen. Dazu nimmt man sich jeden Tag 15 bis höchstens 20 Minuten, in denen man sich alle Sorgen aufschreibt. Sobald man außerhalb der Zeit wieder anfängt, an die gleichen Dinge zu denken, sagt man innerlich "Stopp". Dann entschließt man sich, das Grübeln bis zur nächsten "Sorgenzeit" aufzuschieben.

4) Konzentration auf das Hier und Jetzt

Durch Aktivitäten wie Achtsamkeitsübungen, Yoga und Meditation kann man die Aufmerksamkeit bewusst auf den Moment lenken und verhindern, dass man sich in Gedankenspielen über die Zukunft verliert. Zudem sollte man sich immer wieder bewusst werden, dass wir nur das Hier und Jetzt beeinflussen können.

5) Entscheidungen im Alltag minimieren

Entscheidungen zu treffen kann Overthinkern viel Energie kosten, sodass sie Entscheidungen aufschieben oder sie ganz spontan treffen - Hauptsache, das ist erledigt. Um der Entscheidungsmüdigkeit entgegenzuwirken, sollte man die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen reduzieren. Ein strukturierter Tagesablauf, geplante Mahlzeiten und eine organisierte Garderobe können den Alltag erleichtern und die Belastung durch Entscheidungen verringern.

6) Fokus setzen

Overthinker denken oftmals über unzählige Möglichkeiten nach und die Liste der zu berücksichtigenden Aspekte wird immer länger. Doch das Gehirn kann nicht unendlich viele Punkte gleichzeitig berücksichtigen. Um Entscheidungen zu vereinfachen, sollte man sich lediglich auf zwei bis drei wichtige Aspekte konzentrieren.

7) Sorgen mit anderen teilen

Oftmals hilft es schon, Gedanken auszusprechen, damit sie verschwinden. Daher sollte man sich seinen engsten Freunden, der Familie oder seinem Partner anvertrauen. Häufig muss man Sorgen nicht mit sich allein ausmachen, sondern kann diese mit den Liebsten teilen. Im besten Fall helfen sie sogar und machen konstruktive Lösungsvorschläge oder bauen einen auf, sodass man die Gedankenspirale verlassen kann.

8) Akzeptanz als Schlüssel

Um Overthinking von vornherein zu vermeiden, sollte man auch unangenehme Gedanken annehmen. Den Gedanken Raum zu geben, sie als möglicherweise wahr anzuerkennen und die damit verbundenen Gefühle zuzulassen, ist ein wichtiger Schritt. Obwohl dieser Prozess schmerzhaft sein kann, drängen sich die unangenehmen Gedanken im Laufe der Zeit weniger in den Kopf und es kehrt wieder innere Ruhe ein.

9) Aus "muss" wird "möchte"

Viele Overthinker setzen sich selbst unter Druck, eine Entscheidung zu treffen. Daher kann eine Veränderung des Wortes "muss" wahre Wunder bewirken. Statt sich selbst Druck zu machen, sollte man das Wort "muss" durch "möchte" ersetzen. Zum Beispiel anstelle des Satzes "Ich muss mir unbedingt darüber klar werden, ob ich meinen Job wechsle oder nicht" sollte man sich selbst sagen "Ich möchte mir noch überlegen, ob ich meinen Job wechseln will."

10) Ablenkung

Tatsächlich hilft auch Ablenkung dabei, negative Gedanken loszuwerden. Am besten geht das bei Hobbys, die einem viel Freude bereiten und in denen man sich besonders frei fühlt. In diesem Moment genießt man die Aktivität und hat keine Zeit, sich Sorgen zu machen. Dazu eignen sich Sport (im Verein, mit Freunden oder allein), Musik, Kunst oder ein Handwerk – eigentlich alles, was einem selbst guttut. Auch ein Buch, ein heißes Bad oder ein entspannter Spaziergang können helfen.

Wenn Overthinking zu einer echten Belastung wird und den Alltag einschränkt oder zwischenmenschliche Beziehungen belastet, sollte man sich einen ärztlichen oder psychotherapeutischen Rat holen. Dies kann insbesondere dann notwendig sein, wenn Overthinking mit Symptomen wie sozialer Phobie, Zwangsgedanken oder einem geringen Selbstwertgefühl einhergeht. Auch wenn Symptome von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Burnout auftreten, ist professionelle Hilfe erforderlich.

Eine wirksame Methode gegen Overthinking ist die metakognitive Therapie, deren Wirksamkeit auch gut erforscht ist. Dabei geht es darum, die eigenen Denkmuster zu verstehen und zu lernen, wie man angemessen mit den Gedanken umgeht. Dies beinhaltet vor allem auch die Möglichkeit, besser Abstand von den eigenen Gedanken zu nehmen.

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