Vor dem Bundesliga-Start
Kleeblatt-Coach Stefan Leitl im Interview: "Identität durch Intensität"
10.8.2021, 13:36 UhrLassen Sie uns über Identität sprechen, Herr Leitl. Sie betonen immer wieder die "Fürther Identität". Wie würden Sie diese dem normalen Fußballfan erklären?
Leitl: Das ist ganz einfach: Identität durch Intensität. Wir betreiben ein sehr intensives Spiel – mit dem Ball und gegen den Ball. Das ist unsere Identität, die wir uns über die vergangenen Jahre angeeignet haben. Dieser Identität wollen wir so gut es geht treu bleiben in der Bundesliga.
Sie haben im Februar 2019 eine Mannschaft übernommen, die im Abstiegskampf steckte. Welche Identität hatte die damals?
Leitl: Wir, also mein Co-Trainer Andre Mijatovic und ich, haben eine absolut intakte Mannschaft vorgefunden. Die Jungs hatten einen guten Teamgeist, aber sie waren eben auch in einer schwierigen Phase mit sechs Niederlagen in Folge, die sehr viel Selbstvertrauen gekostet haben. Dadurch sind sie natürlich ein bisschen ängstlich in die Spiele gegangen. Das war der erste Hebel, an dem wir angesetzt haben.
Und dann?
Leitl: Wir haben die fußballerischen Elemente erst einmal außen vor gelassen und an der Identität angesetzt. Wir wollten das hohe Pressing und das intensive Anlaufen, so schnell es geht, in die Mannschaft bekommen, um uns danach über das Fußballerische Gedanken zu machen.
Philosophie und Prinzipien
Wie gibt man einer Mannschaft denn eine neue Identität?
Leitl: Grundsätzlich haben wir natürlich eine Philosophie, die wir anhand von Prinzipien vermitteln wollen. Es geht darum, die Mannschaft mit der Art und Weise, wie du spielen möchtest, hinter dich zu bekommen. Am besten funktioniert das natürlich, wenn man die Entwicklung mit guten Resultaten auf dem Platz unterstreichen kann.
Die Sie hatten...
Leitl: Genau. Wir hatten einen guten Start mit einem 1:0 gegen Duisburg, in Kiel haben wir erst in der Nachspielzeit den Ausgleich bekommen. In diesen Spielen hatten wir schon gute Pressingmomente – so bekommt die Mannschaft Vertrauen in die Philosophie, die wir ihr als Trainerteam vermitteln möchten.
Waren das ganz spezielle Leitl-Mijatovic-Prinzipien, die Sie vermitteln wollten? Oder wie sind Sie damals vorgegangen?
Leitl: Jeder Trainer hat natürlich seine Art, Fußball zu spielen. Wir wollen jedem Gegner ein intensives Spiel abverlangen. Das ist das erste und wichtigste Prinzip. Wir haben gewisse Abläufe entwickelt, die man in unserem Spiel immer wieder sieht. Die wollen wir natürlich beibehalten, auch wenn uns klar ist, dass wir jetzt in einer der drei Top-Ligen der Welt spielen und die individuelle Qualität der Gegner eine deutlich höhere ist als zuvor.
"Jedes positive Ergebnis stärkt das Selbstbewusstsein"
Haben Sie damals, im Februar 2019, schon gespürt, dass Sie mit dieser Mannschaft eines Tages mehr erreichen können? Am Ende der Saison wurden Sie 13.
Leitl: Wir hätten schon den ein oder anderen Platz besser abschneiden können, aber wir haben das Optimale aus der Situation herausgeholt und sind nicht mehr in Abstiegsgefahr geraten. Damals hatten wir noch nicht die Spielertypen, um so zu spielen, wie wir es in den zwei Saisons darauf getan haben. Das gehört zum Entwicklungsprozess. Wir haben die Mannschaft nach und nach mit den Charakteren verstärkt, die wir für unser Spiel brauchen. Trotzdem war ich auch mit der Mannschaft aus der ersten Saison zufrieden, weil sie einen tollen Charakter hatte und alles für die Spielvereinigung gegeben hat.
Nach Pokal-Aus: Kleeblatt blickt lieber nach vorne als zurück
Dennoch ist es leichter, an einer Identität zu arbeiten, wenn es sportlich läuft – so, wie in den zwei Jahren danach.
Leitl: Absolut. Jedes positive Erlebnis stärkt das Selbstvertrauen jedes Einzelnen und auch der Gruppe. Wir haben uns Schritt für Schritt weiterentwickelt. Das begann in der Saison 2019/20 und ging über den einstelligen Tabellenplatz im Jahr darauf, in dem noch mehr möglich gewesen wäre. Dennoch hat es den Spielern gezeigt, was mit einer hohen Arbeitsmoral, die wir für unsere Identität brauchen, möglich ist.
Zum Beispiel der Aufstieg. In die vergangene Saison konnten Sie mit einer eingespielten Mannschaft gehen, die Ihre Prinzipien beherrschte. In diesem Sommer haben einige Stammspieler den Verein verlassen. Jetzt müssen Sie wieder für Ihren Weg werben.
Leitl: Ich bin der Überzeugung, dass es immer eine gewisse Zeit braucht, um eine Mannschaft zu entwickeln. Die hatten wir über mehr als zwei Jahre. Jetzt haben wir einen etwas größeren Umbruch, der aber auch aus unterschiedlichen Gründen zustande kam. Dennoch entspricht das eben auch der Philosophie des Vereins, dass wir Spieler entwickeln und abgeben. Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten, auch für uns. Beim Transfer von Anton Stach zuletzt stand die wirtschaftliche Gesundheit des Vereins im Vordergrund...
... was für einen Trainer sicher nicht immer einfach ist.
Leitl: Von der Philosophie wusste ich, das wurde mir vor der Unterschrift auch ganz offen gesagt. Als Trainer will man immer die beste Mannschaft behalten, aber auch so ein Wechsel bringt uns weiter. Durch die Einnahmen können wir vielleicht nochmal auf anderen Positionen nachlegen.
Dennoch müssen Sie in diesem Sommer viel reden und Ideen vermitteln. Das ist sicher einfacher, wenn man als Trainer bei den Spielern so beliebt ist wie Sie. Zumindest schwärmen alle von Ihnen.
Leitl: Das hat natürlich damit zu tun, wie wir als Trainerteam führen wollen. Wir unterscheiden zwischen sportlicher Leistung und dem Menschen. Der steht bei uns immer im Vordergrund. Wir spielen Fußball, das ist ein unpräziser Sport, bei dem immer Fehler passieren können. Deshalb darf bei uns jeder Fehler machen – trotzdem versuchen wir, aus jedem Spieler das Optimale herauszuholen. Die Prinzipien sind insgesamt verständlich und dadurch leicht umzusetzen.
Mentalität, Bereitschaft und Intensität
Wie kommt man denn in den Kopf eines Spielers hinein? Wie vermittelt man als Trainer am besten?
Leitl: Das alles Entscheidende ist eine offene und ehrliche Kommunikation. Wir haben als Trainer eine sehr enge Bindung zur Mannschaft und versuchen, ein optimales Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder wohl fühlt. Denn Intensität hat auch mit Mentalität zu tun, mit der Bereitschaft, diesen zusätzlichen Sprint zu machen und in den Zweikampf zu gehen. Für einige Spieler ist das neu, weil sie bislang nicht so intensiv gespielt haben. Deshalb brauchen wir natürlich mehr Zeit als im vergangenen Sommer. Ich bin trotzdem überzeugt, dass wir unsere Art, Fußball zu spielen, auch in der Bundesliga auf den Platz bekommen.
Zuletzt haben Sie mit der Intensität, aber auch mit dem "Fürther Flachpass", mit dem mutigen Spiel nach vorne, viele Gegner dominiert. Eine Liga höher wird das nicht mehr jede Woche gelingen. Das verändert die Identität natürlich.
Leitl: Wir werden uns anpassen müssen, weil die Gegner deutlich stärker sind. Unsere Identität muss trotzdem sichtbar sein. Wir haben keine Spieler, die 90 Minuten verteidigen wollen. Alle wollen Fußball spielen und den Ball am Fuß haben. Dadurch passieren Fehler, weshalb wir uns nach Ballverlust noch besser verhalten müssen. Wenn wir das schaffen, werden wir auch in der ersten Liga gute Spiele zeigen und erfolgreich sein.
Den Aufstieg haben Sie als Fußballwunder bezeichnet. Was wäre dann der Klassenerhalt?
Leitl: (lacht) Das wäre natürlich eine nochmal größere Sensation. Das muss uns allen bewusst sein. Wir waren finanziell in der zweiten Liga ein kleiner Verein, aber wir hatten eine gute Mentalität und einen guten Teamspirit, weshalb dieser Erfolg möglich war. Die Kluft zwischen uns und den gestandenen Vereinen ist jetzt nochmal größer. Dennoch werden wir alles daran setzen, weitere Jahre in der ersten Bundesliga spielen zu dürfen.
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Hinter Ihnen und Ihrer Mannschaft liegen zwei erfolgreiche Jahre. Jetzt müssen Sie alle wieder lernen, mit Rückschlägen umzugehen...
Leitl: Wichtig wird sein, dass wir auch im Misserfolg weiter unseren mutigen Fußball spielen. Wenn uns das gelingt, werden wir auch nach Rückschlägen wieder Erfolge feiern. Die Identität muss erhalten bleiben. Wir dürfen uns nicht verändern – und wir können es auch gar nicht, weil wir keine Mannschaft haben, die sich nur hinten reinstellt.
Eine Entwicklung, die viele Fußballfans, nicht nur in Fürth, freut.
Leitl: Das war damals 2019 auch ein Thema in den Gesprächen mit Rachid Azzouzi. Die Spielvereinigung wollte zurück zu dem, was sie mal war. Ein Verein, der schönen und erfolgreichen Fußball spielt und junge Spieler ausbildet und weiterbringt. Wir haben zuletzt gemerkt, dass wir dadurch wieder interessant sind für junge Top-Talente, denen wir Einsatzzeiten bieten können.
Im Sommer haben viele Erstligisten ihren Trainer gewechselt, Herr Leitl. Wissen Sie, auf welchem Platz Sie in einer Rangliste der Amtszeiten stehen?
Leitl: (lacht) Wenn Sie schon so fragen, sicher weit vorne. An der Spitze steht Christian Streich vom SC Freiburg. Danach könnte Urs Fischer von Union Berlin kommen.
Tatsächlich, der folgt hinter dem ewigen Christian Streich auf Platz zwei.
Leitl: Dann müsste ich Dritter sein.
Richtig.
Leitl: Das wäre ja die direkte Qualifikation für die Champions League (lacht).
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