"Stand ohne alles da": Wenn Corona-Soforthilfe zur Falle wird
4.11.2020, 05:55 UhrAm 5. April, mitten im ersten Lockdown, schickte Celia O. ihren Antrag für Soforthilfe ab. Drei Wochen später landeten 5.000 Euro auf ihrem Konto - zu unrecht, wie sich später herausstellte. "Und dann musste ich das Geld plötzlich auf einmal zurückzahlen, weil ich sonst wegen Betruges angeklagt werden könnte. Dabei hatte ich alles wahrheitsgemäß ausgefüllt."
Kommentar zu Rückzahlungen: "Erst gezahlt, dann genommen"
Die Geschichte der selbstständigen Friseurin aus Fürth ist kein Einzelfall, obwohl der Plan der bayerischen Staatsregierung eigentlich anders war: Die Corona-Soforthilfe sollte eine finanzielle Unterstützung für Selbstständige, kleine und mittlere Betriebe sein, rasch, unbürokratisch und gegen die drohende Insolvenz, so Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, als er das Programm ankündigte. Da war es gerade März und Bayern das erste Bundesland, das eine solche Hilfe anbot. Was folgte, war eine Flut an Anträgen, mit der die Behörden zeitweise überlastet waren. Insgesamt wurden 485.000 Anträge eingereicht und mehr als 2,2 Milliarden Euro ausgezahlt. Viele Betriebe rettete das Geld vor dem Aus, doch nun - mehrere Monate später - zeigt sich: Nicht alle erhielten das Geld zurecht: Rund 100 Millionen wurden dem Freistaat bereits zurückgezahlt.
Celia O. fand durch Zufall heraus, dass ihr das Geld eigentlich nicht zugestanden hatte. "Eine befreundete Steuerberaterin wurde vom Finanzamt informiert, dass viele Einzelunternehmer die Hilfe unberechtigt erhalten haben, weil sie keine Personalkosten und keine Maschinenkosten haben." O. nahm Kontakt zur zuständige Behörde in Ansbach auf, am Ende musste sie alles zurückzahlen. Der Grund: Weil O. unter anderem keinen Laden besitzt, sondern direkt zu ihren Kunden fährt, konnte ihr kein Liquiditätsengpass drohen. "Das größte Problem war für mich, dass ich gleichzeitig mit der Soforthilfe, einen Antrag beim Jobcenter gestellt hatte." Als ihr Antrag für die Corona-Hilfe bewilligt wurde, zog sie den beim Jobcenter zurück. "Am Ende stand ich dann ohne alles da."
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Ihr Vorwurf: "Der Antrag war eine formlose DIN A4 Seite, die ich mit allen angeforderten Angaben ausgefüllt habe. Wenn ich also nicht berechtigt war, hätte man das bei der Prüfung sehen müssen." Zudem habe sie versucht sich vor Antragstellung zu informieren. "Aber es gab zu dem Zeitpunkt einfach zu wenige Infos." Gleiches berichten Experten. "Das ist anfangs zu wenig ausgearbeitet worden, denn es ging um Schnelligkeit und erst mit der Zeit kamen mehr Details dazu", so der Oberpfälzer Steuerberater Karl Bergbauer. "Vieles wurde auch nicht eindeutig definiert, zum Beispiel was Fixkosten sind. Es gab keinen genauen Katalog dazu und den braucht man, um zu wissen, wann man berechtigt ist." Auch ein leeres Fenster, in das man hätte Informationen schreiben können, sei nicht vorhanden gewesen, fügt Wirtschaftsinformatiker Andreas Bergbauer hinzu.
Die Regierung von Mittelfranken, die zuständig war für die hiesigen Anträge, widerspricht: Die Richtlinien zu den Programmen sowie umfangreiche FAQs seien auf der Seite des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft veröffentlicht worden. Zudem hätten die Industrie- und Handelskammern Antragsteller beraten. Doch eine genaue Prüfung der eingesendeten Anträge fand anfangs tatsächlich nicht statt. "Um eine möglichst rasche Bewilligung der Anträge in diesem Massenverfahren zu gewährleisten, wurde im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben am Anfang auf eine detaillierte Überprüfung verzichtet."
Bei Betrugsverdacht wurde das Landeskriminalamt benachrichtigt, aktuell laufen dazu 842 Ermittlungen. Bei den 100 Millionen Rückzahlung macht das aber nur wenig aus. "In dieser Summe sind fast ausschließlich freiwillige Rückzahlungen enthalten, zum Teil auch Rückforderungen wegen fehlender Antragsvoraussetzungen und zu einem geringen Teil wegen Betrug", so das Wirtschaftsministerium.
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Viele Unternehmer mussten die Hilfe im Nachhinein zurückzahlen, weil der von ihnen befürchtete Liquiditätsengpass nicht eintrat. Das einzuschätzen, sei schwierig gewesen, so Steuerberater Bergbauer. Sein Fazit deshalb: "Das Ansinnen der Politik war gut, die technische Abwicklung ist aber nicht sachgemäß für den deutschen Staat."
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Ähnlich sieht es auch die selbstständige Friseurin. "Ich bin ja froh, dass kleinen Betrieben geholfen wird. Aber ich persönlich hätte lieber drei Wochen mehr auf das Geld gewartet, und dafür wäre mein Antrag geprüft und abgelehnt worden." So habe ihr am Ende auch das Geld vom Jobcenter gefehlt. "Als mein Auto kaputt ging, musste ich mir sogar Geld leihen, weil ansonsten war einfach alles weg." Mittlerweile geht es ihr besser. "Mein Kalender ist voll, weil die Menschen Friseursalone eher meiden." Ihre Strategie direkt zum Kunden nach Hause zu kommen, zahle sich nun aus.