Erinnerung an das ehemalige Chausseehaus bei Kammerstein

24.3.2014, 09:08 Uhr
Erinnerung an das ehemalige Chausseehaus bei Kammerstein

© Archivbild der Gemeinde Wendelstein

Der Name Chausseehaus wurde wie so viele andere Wörter aus dem Französischen der Napoleonischen Zeit übernommen und bedeutet: „Straßenhaus“. Heute befinden sich dort ein Parkplatz und Lagerplatz der Straßenmeisterei sowie eine Wegabzweigung nach Günzersreuth.

Von 1802 bis 1967, also 165 Jahre lang, stand an der alten „Land- und Commerzialstraße“ von Schwabach über Barthelmesaurach nach Nördlingen (heute B 466), westlich von Kammerstein das ehemalige Chausseehaus. Dort befanden sich der Dienstsitz und die Wohnung des jeweiligen Chausseewärters (Straßenwärters). Laut dem Grund und Lagerbuch von 1821 (heute im Besitz der Gemeinde Büchenbach) gehörte das Chausseehaus zur Gemeinde Günzersreuth und zur Orts-Flur Poppenreuth mit der Haus-Nr. 8 und der Besitzbezeichnung: „Staatseigentum“.

Im Jahre 1818 wohnten im Chausseehaus vier Personen. Die Kinder gingen zur Schule nach Kammerstein. Der Chausseewärter hatte die Aufsicht über einen bestimmten Chausseeabschnitt und nahm in früheren Zeiten das Chausseegeld (eine Art Straßenbenutzungsgebühr) ein.

Panzersperre durch Volkssturm

Vorletzter Straßenwärter war von 1917 bis 1945 Sebastian Bräutigam (1873 – 1948). Er war im Beamtenverhältnis, worüber man damals auch im einfachen Dienst sehr stolz war und trug zuletzt den Titel „Straßenoberaufseher“. Seinem Enkelsohn Hermann Bräutigam aus Schwabach ist noch in Erinnerung, wie der Volkssturm mit ungarischen Jugendlichen, welche im Schulhaus in Kammerstein untergebracht waren, kurz vor Kriegsende 1945 auf Höhe des Chausseehauses eine Panzersperre aus dicken Baumstämmen errichtete, um die von Westen anrückenden Amerikaner aufzuhalten, was natürlich nicht gelang.

Aus Angst vor Luftangriffen zogen seine Großeltern Sebastian und Josefa Bräutigam nach Schattenhof. Um das geringe Einkommen etwas aufzubessern, betrieb Sebastian Bräutigam eine Zeitlang nebenbei eine Flaschenbierhandlung. Auf Grund von Beschwerden umliegender Gastwirte musste er den Zuerwerb wieder aufgeben.

Achtköpfige Familie

Von 1945 bis 1946 stand das Chausseehaus etwa ein Jahr leer. Letzter Straßenwärter war ab 1946 bis 1965 Karl Hindelang (1903 – 1968). Die Familie bestand aus ihm, seiner Ehefrau Margarete (Gretel) und den fünf gemeinsamen Kindern Karl, Herbert, Anneliese, Horst und Gretel sowie dem Pflegekind Klaus. Nach endgültiger Aufgabe dieses Postens zog er mit seiner Familie nach Schwabach.

Sein Sohn Horst, heute wohnhaft in Unterreichenbach, weiß aus der damaligen Zeit folgendes Interessante zu erzählen:

„Als Straßenwärter war mein Vater zuständig für die Kontrolle des Straßenabschnitts von der Hergersbacher Kreuzung bis zum Steinernen Brücklein in Schwabach. Er musste die Strecke regelmäßig mit dem Dienstfahrrad abfahren und kleinere Schäden an der Straße, den Brücken, Wasserdurchlässen und Wassergräben selbst beheben sowie größere Schäden dem Straßenaufseher Leonhard Scherzer in Schwabach melden.

Dieser besaß bereits ein Auto und veranlasste dann die Behebung der Schäden. Das Chausseehaus bestand im Erdgeschoss aus Sandsteinen mit schönen Rundbogenfenstern und im Obergeschoß aus Backsteinen mit rechtwinkligen Fenstern. Auf Grund dieser Bauweise kann geschlossen werden, dass es ursprünglich nur ein eingeschossiges Gebäude war.

Zwei Brunnen, kein Strom

Das Wasser bezogen sie aus zwei Brunnen, einer vor und einer hinter dem Haus. Das Haus war nicht an das Stromnetz angeschlossen und verfügte auch über kein Telefon, obwohl ein Telefonmast unmittelbar neben dem Haus stand.

Die Beleuchtung nur im Wohnzimmer erfolgte früher mit Karbid- und Öllampen, später dann durch Propangasversorgung. Beheizt wurde die Wohnung mit einem Kachelofen und kleineren einzelnen Öfen, welche mit Holz und Kohle geschürt wurden. Gekocht wurde auf einen Herd mit Holzfeuerung.

Westlich des Wohnhauses stand eine Stallscheune. Dort wurden Ziegen, ein Schwein, Hühner und Enten gehalten. Angrenzend befand sich der Obst- und Gemüsegarten. Auf einem kleinen Acker wurden Kartoffel und Weizen angebaut. Das Gras und Heu wurde entlang der Straßengräben gemäht. Dies alles war für den Eigenbedarf bestimmt, um die große Familie zu versorgen.

Durch Zufall entdeckte Karl Hindelang einen bis dahin verborgenen Gewölbekeller aus Sandsteinen unter der Scheune. An den Wänden befanden sich mehrere Eisenringe. Es wird vermutet, dass hier während der napoleonischen Zeit vorübergehend Gefangene verwahrt wurden.“

Wie Karl Hindelangs Tochter Anneliese Hackner berichtete, mussten die Kinder in den Sommerferien zu den Bauern zum Tabakaufhängen nach Poppenreuth und zum Hopfenzupfen nach Abenberg, um etwas hinzu zu verdienen. Trotzdem empfanden sie es als eine schöne Zeit.

Im Milchauto zur Firmung

Da es zu dieser Zeit noch keinen regelmäßigen Omnibusverkehr gab, fuhr sie mit dem Milchauto 1946 zu ihrer Firmung nach Schwabach. Auf dem Milchauto bei den Milchkannen war immer Platz für einige Mitfahrer aus den Dörfern. Später dann bevor die Buslinie eingerichtet wurde, hatte das Milchauto von Peipp aus Günzersreuth einen gesonderten geschlossenen Anhänger mit der Erlaubnis zur Personenbeförderung. Dieser hatte rechts und links ein kleines Fenster und umlaufend eine Holzsitzbank für etwa 15 Personen. Der Einstieg war von hinten. Manchen Straßenbenutzern ist noch in Erinnerung, dass sich Fußgänger und Radfahrer bei Gewitter oder Wolkenbrüchen dankbar im Flur des Hauses unterstellen durften, bis die Unwetter vorbei waren.

Das Aufkommen und der Einsatz von Kraftfahrzeugen machten den Straßenwärter in seiner herkömmlichen Form überflüssig. Der Arbeitsplatz wurde deshalb 1965 aufgelöst und das Chausseehaus im März 1967 abgebrochen.

Unter dem Titel „Warum denn immer gleich Abbruch“ kämpften Denkmalpfleger laut eines Berichts im Schwabacher Tagblatt vom 31. Mai 1966 um die Erhaltung des Chausseehauses. Leider vergeblich, wie ein Jahr später am 17. März 1967 berichtet wird „Das alte Chausseehaus ist nun ein Schutthaufen“.

Die nächsten Chausseehäuser nach Osten waren in Schwabach (in der Nürnberger Straße, das Gebäude steht noch) und nach Westen hinter Obererlbach. In der Chronik Kammerstein „Die Burg, die Reichsministerialen, das Dorf und die Gemeinde“ von Heinrich Schlüpfinger von 1981 steht auf Seite 119: „An der Nördlinger Straße stand, wenige Schritte vom Chausseehaus in Richtung Schwabach entfernt am Marter-Feld, Fl. Nr. 293, bis etwa 1870 eine steinerne Martersäule mit der Jahreszahl 1484. Der obere Teil dieser Säule mit einer Plastik wurde damals verkauft und die Säule ganz abgebrochen. Einen großen Stein davon stellte man an der Abzweigung des Weges nach Günzersreuth beim Chausseehaus als Wegweiser auf.“

Auf eine Umfrage des Bezirksamtes Schwabach (heute Landratsamt Roth) nach Steindenkmälern teilte die Gemeinde Günzersreuth (Bürgermeister Hauenstein) am 8. Juni 1927 mit: „In früheren Jahren befand sich in der Nähe des Chausseehauses ein ziemlich großes Denkmal, dasselbe ist jedoch entfernt.“

Zur Erinnerung an dieses besondere Anwesen und an das ehemalige Martel wäre es angebracht, am Parkplatz oder idealerweise am gegenüber vorbei führenden Radweg eine Gedenktafel aufzustellen. Die Gemeinde Kammerstein zusammen mit dem Straßenbauamt Nürnberg würde hier zur Erhaltung der Geschichte unserer Heimat einen wichtigen Beitrag leisten.

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