Wie Wolfgang Kandel die Fotografie nach Schwabach brachte

10.10.2014, 10:18 Uhr
Wie Wolfgang Kandel die Fotografie nach Schwabach brachte

© Foto: Fotoarchiv Kandel

175 Jahre ist das jetzt her. Gefeiert wird weltweit, auch im vor einigen Jahren gegründeten „Deutschen Kameramuseum“ in Plech. Fachlich beraten wird das Museum von Dieter Kandel. Kandel hat zwar den Großteil seines Berufslebens für die Firma Quelle gearbeitet. Doch der Rednitzhembacher ist gelernter Fotograf. Wie sein Vater Hans, sein Großvater Karl und sein Urgroßvater Wolfgang.

Wolfgang Kandel hatte 1876, genau 37 Jahre nach Erfindung der Fotografie, das erste Fotoatelier in Schwabach eröffnet. Er lichtete in dem Gebäude an der Landsknechtsbrücke bis zu seinem frühen Tod 1896 viele damals bekannte Schwabacher Persönlichkeiten ab. Max Herold zum Beispiel, Babette und Michael Staedtler, Fritz Ribot und Maria Jung. Und: Wolfgang Kandel fotografierte nicht nur in seinem Atelier. Mit seiner 1890 in Dresden gebauten „Reisekamera“ dokumentierte er in seiner Heimatstadt viele historische Gebäude, die es heute längst nicht mehr gibt. Es entstanden die ersten Fotos von Nürnberger- und Zöllnertor, von Hördler- und vom Mönchstor.

Als Wolfgang Kandel 1896 mit nur 51 Jahren starb, war sein Sohn Karl erst zwölf Jahre alt. Kandels Witwe verkaufte das Atelier an Josef Fischer, kaufte es im Jahr 1902 aber wieder zurück, als ihr Sohn erwachsen war. Karl Kandel, der seine Ausbildung zum Fotografen bei Johann Hahn in Nürnberg gemacht hatte, führte das Geschäft weiter und übergab es im hohen Alter an seinen Sohn Hans. Der machte weiter bis in die 1970er Jahre. Dann endete eine rund 100-jährige Tradition.

Hans Kandels Sohn Dieter, heute 76, lernte das Handwerk des Fotografen ebenfalls von der Pike auf. Bei der Firma Quelle war er für den weltweiten Einkauf von Fotokameras verantwortlich, später für den Verkauf. Er baute das Osteuropa-Geschäft auf und aus, lebte zeitweise in Prag und gründete Joint-Ventures in der damaligen Sowjetunion. Er selbst bezeichnet sich als „leidenschaftlichen Foto-Historiker“. Das bezieht sich sowohl auf geschichtsträchtige Aufnahmen als auch auf die unglaublich rasante technische Entwicklung der Fotografie.

Als Kandels Urgroßvater Ende des 19. Jahrhunderts mit seiner „Reisekamera“ in Schwabach unterwegs war, da wurde der Moment für die Ewigkeit noch auf lichtempfindlichen Platten festgehalten. Das in ein massives Messinggehäuse gefasste Objektiv (damaliger Name: Planoskop) hatte eine Lichtstärke von 9,0. Eine Aufnahme musste je nach Sonneneinstrahlung drei bis zehn Sekunden lang belichtet werden. Ein Grund, warum Gebäude auf vielen historischen Fotos zwar gestochen scharf sind, sich bewegende Personen aber zu unscharfen Wischern wurden.

Als Eastman-Kodak 1908 in den USA die ersten Rollfilme für Fotokameras vorstellte, war das der Anfang vom Ende der Belichtung auf Filmplatten. Und mit der Entwicklung der Kleinbildkamera durch Oskar Barnack vor genau 100 Jahren im Jahr 1914 – noch ein Jubiläum – verlor die Fotografie allmählich den Nimbus der Exklusivität. Fotos wurden zum Massenprodukt.

Wer sich mit Dieter Kandel unterhält, der macht eine Reise durch die Geschichte der Fotografie. Kandel erzählt vom Bau der ersten Spiegelreflexkamera 1925 in Dresden, von der Entwicklung der ersten Zoom-Objektive durch die Firma Voigtländer in Braunschweig in den 1950er Jahren, vom Siegeszug der Japaner in den 1970er und 1980er Jahren. Und er kann sich noch an die Geburtsstunde der digitalen Revolution erinnern. Am 8. Dezember 1975 schufen in den USA Steve Sasson und Jim Schueckler das erste digitale Bild. Es hatte ein Format von aus heutiger Sicht lächerlichen 100 mal 100 Pixeln, und es dauerte 23 Sekunden, bis das Bild abgespeichert war.

Digital statt analog

Heute ist der Fotomarkt zu 99 Prozent digitalisiert. Nur noch einige Modefotografen und Nostalgiker haben dem analogen Zeitalter nicht ganz abgeschworen. Auch Dieter Kandel holt noch ab und zu die unhandlich aussehende Roleiflex vom Regal und legt für Schwarz- Weiß-Naturaufnahmen klobige Filmrollen ein. Die Negative haben ein Format von sechs mal sechs Zentimetern. Die entwickelten Bilder besitzen eine Tiefenschärfe und einen Detailreichtum, mit denen auch die beste moderne Spiegelreflexkamera nicht mithalten kann.

Und doch ist schon die nächste Revolution im Gange. Die spiegellosen Systemkameras (mit Wechselobjektiven) sind auf dem besten Weg, die Spiegelreflexkameras aus dem Markt zu drängen. Die einfachen Taschenkameras (die inzwischen auch Dieter Kandel auf Reisen einsetzt) und Handykameras haben mittlerweile eine Qualität erreicht, die noch vor weniger Jahre als unerreichbar galt. Der Trend geht weiter: „noch kleiner, noch schneller, noch mehr Qualität, noch einfacher in der Bedienung“, glaubt Dieter Kandel.

Auf seinem Wohnzimmerschrank stehen dafür die Relikte der Vergangenheit: die „Reisekamera“ seines Urgroßvaters von 1890, die noch einsatzbereit wäre, würde es irgendwo auf der Welt jemanden geben, der die passenden Filmplatten herstellt; ein in Paris hergestelltes Objektiv, Baujahr 1862; dazu viele große und kleine Apparate, die Geschichte atmen.

Kandel hat viele der historischen Aufnahmen, die sein Urgroßvater, sein Großvater und sein Vater gemacht haben, längst an das Schwabacher Stadtmuseum übergeben. Ein Teil seiner Sammlerstücke ziert bereits das Deutsche Kameramuseum in Plech. Damit die Erinnerung an eine vor 175 Jahren gemachte Erfindung weiterlebt. Auch wenn der Name Kandel in der nächsten Generation nicht mehr automatisch mit der Fotografie in Verbindung gebracht werden wird.

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