Staatsintendant im Interview
Ist Kritik an der Opernhaussanierung Ausdruck einer Neiddebatte? Jens-Daniel Herzog provoziert
24.9.2021, 15:27 Uhr"Ich würde gerne in einer Stadt leben, in der der Nichtschwimmer das Schwimmbad akzeptiert. Und in der der Nicht-Kunstliebhaber den Kunstliebhabern die Freiheit ermöglicht, Kunst und Kultur zu erleben." Dieser Satz warnt zwar vor einer Neiddebatte, mag aber provozierend klingen angesichts möglicher Sanierungskosten von einer Milliarde Euro für das Nürnberger Opernhaus. Gesagt hat ihn Staatsintendant Jens-Daniel Herzog, der in turbulenten Zeiten seinen Vertrag als Staatsintendant um acht Jahre bis zum Jahr 2031 verlängert hat. Wir sprachen über die riesigen Herausforderungen - und warum auch sehr hohe Summen gerechtfertigt sein können, um die Bedingungen für die Hochkultur in Nürnberg zu erhalten und zu verbessern.
Die Sanierung des Opernhauses und die Interimsspielstätte könnten zusammen bis zu einer Milliarde Euro kosten. Eine enorme Summe in Zeiten strapazierter öffentlicher Haushalte. Was sagen Sie Kritikern der Hochkultur, die argumentieren, dass die staatliche Finanzierung eines nicht niederschwelligen Klassik- und Opernbetriebs nichts anderes als eine Quersubventionierung für die Interessen der Wohlhabenden und Gebildeten darstellt?
Ich möchte für diese Stadtgesellschaft einen Ort mitgestalten, auf den die Bürger selbst dann stolz sein können, wenn sie nicht in die Oper gehen. Das soll jetzt keine Leerformel sein, sondern ich meine das im Sinne der Frage: Wer will in einer Stadt leben, in der der Nichtschwimmer dem Schwimmer sein Schwimmbad neidet? Oder in der der Radfahrer, dem Autofahrer den einen Fahrstreifen, den wir ihm noch lassen, neidet? Ich würde gerne in einer Stadt leben, in der der Nichtschwimmer das Schwimmbad akzeptiert. Und in der der Nicht-Kunstliebhaber den Kunstliebhabern die Freiheit ermöglicht, Kunst und Kultur zu erleben. Es ist nun einmal ein tief verwurzeltes Bedürfnis in unserer Gesellschaft, Kunst und Kultur erleben zu wollen. Und stellen Sie sich das einmal andersherum vor, wie klänge die Botschaft: Nürnberg wird die erste Stadt ohne Kunst und Kultur. Wie steht Nürnberg dann da, im Vergleich mit anderen Städten, im Werben um qualifizierte Kräfte? Insofern gebe ich bei einer Diskussion diese Frage immer gerne zurück.
Sie haben Ihren Vertrag um weitere acht Jahre verlängert, er läuft nun bis zum Jahr 2031. Akzeptieren Sie damit das Schicksal, als eine Art Opern-Umbau-Meister in die Geschichte der Stadt einzugehen?
Ich bin mir der Größe dieser Aufgabe bewusst und war es schon, als ich 2016 meinen ersten Vertrag unterzeichnet habe. Damals hieß es, die Sanierung der Oper wird im Jahr 2022 beginnen. Mir war klar, dass es für mich darum gehen wird, die komplexen Themen rund um die Findung einer Ausweichspielstätte und die Vorbereitung der Sanierung intensiv zu bearbeiten. Nun wird die Sanierung erst 2025 beginnen, aber ich bin voller Freude darüber, diese spannende Zeit mitzugestalten, die Frage mitzubeantworten, was das Opernhaus über die konkrete Theaterarbeit hinaus für die Stadtgesellschaft der Zukunft bedeuten kann. Und ich nehme die Aufgabe an, jetzt erst mal aus diesem Haus auszuziehen, in eine Interimsspielstätte und den Transformationsprozess einzuleiten. Damit aus diesem Haus des 19. Jahrhunderts ein Haus des 21. Jahrhunderts wird. Das ist eine große Wegstrecke. Und die Bedeutung dieser Aufgabe wird durch meinen starken und klaren Vertrag dokumentiert. Durch ihn hat mein Wort natürlich größeres Gewicht, als wenn ich nur noch zwei oder drei Jahre bei diesem Prozess dabei wäre.
Welche der diskutierten Interimslösungen bevorzugen Sie denn?
In der aktuellen Situation favorisieren wir die Kongresshalle. Dort ist genug Platz für die 650 Mitarbeiter unseres Betriebs und in das Rund des Innenhofs kommt dann die eigentliche Ausweichspielstätte. Ich denke, diese Lösung kann ein großer Impulsgeber sein für die Stadtentwicklung zwischen ehemaligem Reichsparteitagsgelände, Südstadt und Altstadt. Das kann kreative Kräfte freisetzen und kreative Leute anziehen und Nürnberg zu einer Schwarmstadt machen. So wie es Leipzig vorgemacht hat.
Ein umgestalteter neuer Konzertsaal, wie ihn jüngst dessen Architekten wieder ins Spiel gebracht haben, hat keine Chance mehr?
Natürlich sind die Architekten daran interessiert, ihr Bauprojekt doch noch umzusetzen. Aber die Idee ist trotzdem nicht zielführend, weil der ganze Ansatz, Konzertsaal und Opernausweichspielstätte in einem Gebäude zu denken, früh verworfen wurde. Diese Diskussion noch mal aufzumachen, wäre verschwendete Zeit.
Wie sehr drängt die Zeit? Wie ist der Fahrplan für die nächsten Schritte auf dem Weg der Sanierung?
Die Zeit drängt sehr. Wenn in diesem Herbst nicht die Entscheidung für ein Interim fällt, wird im Jahr 2025 das Opernhaus geschlossen werden, ohne dass es noch Oper und Ballett in Nürnberg geben wird. Diese Faktenlage gibt das Brandschutzgutachten vor. Und wir gehen natürlich davon aus, dass die Träger der Staatstheater-Stiftung, der Freistaat und die Stadt, und alle Entscheidungsträger dort den Ernst der Lage erkannt haben und klare Signale geben.
Haben Sie denn als Staatstheater inzwischen ihren Bedarf formuliert – und wie groß ist der?
Wir werden in der Sitzung der Opernhauskommission am 22. Oktober unser „Plausibilisiertes Nutzerbedarfsprogramm“ vorlegen. Da werden dann Details genannt, da steht alles drin, was wir als Staatstheater in Zukunft brauchen. Aber ich kann jetzt schon sagen, dass das Staatstheater, allein um die Vorgaben des heutigen Arbeitsschutzrechts korrekt umzusetzen, einen zusätzlichen Flächenbedarf von 12.000 Quadratmetern hat. Allein die in den zukünftigen Bau zu integrieren, ist für Architekten eine große Aufgabe.
Sie haben die große Aufgabe, fürs Staatstheater und vor allem die Opernsparte nach Corona ein Publikum zurückzugewinnen, dass Sie dann wegen der Generalsanierung des Opernhauses wieder zu verlieren drohen. Ist das nicht eine fast übermenschliche Herausforderung?
Die Opernhaussanierung ist ein Generationenprojekt, dafür braucht es eine Vision. Wenn das sanierte Opernhaus wiedereröffnet wird, im Jahr 2032, 2035 oder 2038, werde ich nicht mehr der amtierende Staatsintendant sein. Die Sanierung wird nur ein Erfolg werden, wenn das Haus von einem geschlossenen Elitenort des 19. Jahrhunderts zu einem offenen Haus des 21. Jahrhunderts wird: niederschwellig, mit einem zentralen Platz, in dem Freizeit, Arbeit und Kultur zusammenfließen, mit einer attraktiven Gastronomie. Die Sanierung ist darüber hinaus ein städtebauliches Projekt, zwischen Frauentorgraben, Bahndamm, Plärrer und Südstadt kann das neue Opernhaus zum zentralen Bindeglied werden. Hier, an diesem Platz, soll ein neues Herz der Stadt entstehen. Für uns als Haus und für mich als Staatsintendant und Operndirektor aber gilt vor allem: Wir wollen spielen, spielen, spielen. Trotz Corona und trotz der Opernhaussanierung.
Es heißt immer wieder, um neues Publikum für die Klassik und die Oper zu gewinnen, müsse das Opernhaus der Zukunft niederschwelliger werden. Diese Absicht bildet sich aber in der Besetzung der Opernhauskommission nicht ab. Diese ist nicht divers, große Teile der Stadtgesellschaft von heute kommen dort nicht vor. Oder sehen Sie das anders?
Ich sehe das anders. In der Opernhauskommission ist die Stadtgesellschaft durch Mitglieder des Stadtrats vertreten. Und ein Kollege wie Ernesto Buholzer-Sepulveda (Politbande, Anmerk. d. Red.) hat genau die Vernetzung mit der Subkultur, die es braucht.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass bei der Opernsanierung Arbeitskreise und Kommissionen sich von Experten beraten lassen, Studien in Auftrag gegeben werden, auf deren Empfehlung dann Beschlüsse vorbereitet und gefasst werden. Am Ende sollen der Stadtrat und damit die Öffentlichkeit die Ergebnisse, die eine Menge Geld kosten, dann abnicken. Sieht ein demokratischer Willensbildungsprozess nicht anders aus? Kann man so überhaupt öffentliche Akzeptanz für ein derartiges Mammutprojekt herstellen?
Da muss man zwischen der Interimsspielstätte und der eigentlichen Sanierung unterscheiden. Beim Interim drängt die Zeit, da müssen jetzt schnelle Entscheidung her. Aber für den eigentlichen Umbau des Opernhauses beginnt dann erst der Kommunikationsprozess – und dafür braucht es eine breitestmögliche Partizipation. Es kommt ja dann wirklich darauf an, das gesamte Areal neu zu denken und zu entwerfen – in seiner Bedeutung für das Nürnberg der Zukunft.
Im Moment kursieren Summen von bis zu einer Milliarde Euro Kosten für die Sanierung des Opernhauses und für die Interimsspielstätte. Sollte angesichts solch horrender Zahlen nicht auch diskutiert werden, Nürnbergs Oper der Zukunft in einem neuen Gebäude unterzubringen?
Diese Zahlen klingen sehr eindrucksvoll, aber Sie müssen bedenken, dass sich die Finanzierung dieses Großprojekts aus den unterschiedlichsten Quellen speisen wird. Natürlich sind die Stadt und vor allem der Freistaat als Träger in der Pflicht. Aber sowohl für die Kongresshalle auch als das denkmalgeschützte Opernhaus stehen natürlich auch Bundesmittel und Mittel der Europäischen Union zur Verfügung. Sei es aus dem Denkmalschutz oder anderen Quellen. Nicht zu vergessen, die Wirtschaft und Privatpersonen. Ich kenne die Stimmen, die einen Neubau favorisieren, aber das hier ist ein historisches Haus mit Geschichte. Ich würde es favorisieren, dieses in die Gegenwart und die Zukunft zu transformieren. Das mache ich als Regisseur mit alten Stoffen und Stücken genauso. Wir sollten das Opernhausgebäude als Spielstätte der Zukunft nicht aufgeben.
Eigentlich müssten Sie jetzt schon auf der Suche nach einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers für Joana Mallwitz sein, angesichts von drei Jahren Vorlauf im Klassikbetrieb. Wie gehen Sie da vor?
Wir sind bereits auf der Suche, ich betreibe aktives Scouting und werde in der kommenden Zeit an den Wochenenden viele Theater und andere Häuser in Deutschland und in ganz Europa besuchen. Meine Familie wird mich deshalb da nicht sehr oft am Mittagstisch sehen. Natürlich geht es auch darum, die Staatsphilharmonie Nürnberg einzubinden. Das Votum des Orchesters wird eine wichtige Rolle spielen. Es kommt darauf an, eine Persönlichkeit zu finden, die das Orchester, die mich und die das Publikum begeistern kann. Und die als Teamplayer die vielen Möglichkeiten nutzen kann, die wir hier am Haus haben.
Ist es von der gesellschaftlichen Erwartungshaltung her überhaupt möglich, nach Joana Mallwitz die GMD-Stelle nicht mit einer Frau zu besetzen?
Es kommt darauf an, eine überzeugende musikalische Persönlichkeit an Nürnberg zu binden. Das ist vorrangig. Ich habe Frau Mallwitz deshalb engagiert, weil sie das ist. Und sie hinterlässt hier große Spuren, das ist sicher. Andererseits hat sie auch betont, was für ein fantastisches Orchester die Staatsphilharmonie ist. Das macht die Nürnberger GMD-Stelle auch für eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger noch attraktiver. Dazu kommt die Ausweichspielstätte, die riesige Chancen für neue musikalische Formate bietet.
Wie ist Ihre Stimmungslage heute, zum Beginn einer Spielzeit, die erst einmal weitgehend ohne Corona-Restriktionen starten kann?
Wir sind voller Freude, aber auch gespannt darauf, was uns bevorsteht. Im Juni, Juli haben wir aufgrund der Corona-Regeln nur für den engsten Kreis des Publikums spielen können. Jetzt können wir wieder vor großem Publikum spielen. Dieses Theatererlebnis haben wir alle eineinhalb Jahre lang sehr vermisst. Und wir können natürlich wieder mit großem Orchester und großem Chor spielen, auch das haben wir sehr vermisst.
Wie stark sind die Folgen, die die Corona-Zwangspause am Staatstheater hinterlassen hat? Könnte es nicht sein, dass das beständige Weiterarbeiten am Staatstheater trotz Schließung des Vorstellungsbetriebs dazu geführt hat, die Realität vieler Menschen, die monatelang nichts zu tun hatten und um die wirtschaftliche Basis wie den Sinn ihrer Existenz rangen, zu verkennen?
Ich gebe Ihnen insofern recht, als ein Theaterbesuch eine soziale Praxis ist, die man, wenn man sie lange entbehrt hat, erst wieder lernen muss. Deshalb können wir jetzt nicht einfach das Licht wieder einschalten und erwarten, dass die Leute gleich mit Gier und Begeisterung wieder zu uns zurückkommen. Andererseits haben wir über unser digitales Angebot ständig den Kontakt gehalten und unser Publikum nie aus dem Blick verloren. Wir stellen uns darauf ein, dass wir einen langen Atem brauchen, um unser Publikum zurückzugewinnen. Weil wir die Abonnements erst wieder im Januar beginnen, werden wir nicht gleich reihum ausverkaufte Vorstellungen haben. Aber die Zeichen sind im Moment sehr positiv, die Nachfrage im Vorverkauf hat bereits wieder das Niveau erreicht wie sie vor Corona war. Und unser Signal ist klar: Wir sind wieder für alle da.
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