Eine Französin im Wunderland

26.6.2017, 18:05 Uhr
Eine Französin im Wunderland

© F.: Matejka

Es war einmal vor sehr langer Zeit eine mittelalterliche Stadt, die zwar keine Prinzessinnen oder Ritter hatte, aber viele Arbeiter und Handwerker. Dank ihnen entwickelte sich Nürnberg allmählich und wurde im 16. Jahrhundert zu einem Zentrum für Herstellung von Spielzeug. Die ganze Geschichte der Spielzeugstadt habe ich im Nürnberger Spielzeugmuseum entdecken können. Ich wollte dieses Museum besuchen, weil meine aus Stuttgart stammende Patentante mir immer deutsches Spielzeug geschenkt hat. Ich muss zugeben, dass ich als Kind immer den Eindruck hatte, es sei von besserer Qualität als die französischen Produkte für Kinder . . .

Vor dem Museum hat mich der Gockelreiterbrunnen sofort gefangen genommen. Es gibt etwas Kindliches auf dem Keramikgesicht der kleinen Statue, die einen imposanten Hahn reitet. Wasser fließt leise aus den Armen des kleinen Mannes und aus dem goldenen Schnabel des Vogels. Schon vor dem Betreten des Hauses wird damit klar: Das Museum lädt kleine und große Kinder zu einer zauberhaften Zeitreise.

Im Erdgeschoss warten Holzfiguren geduldig auf die Besucher. Hinter der Vitrine kämpfen bemalte Soldaten gegeneinander, und es scheint, dass die kleinen Puppen in ihrem Haus einen leckeren Kuchen backen. Einige Nussknacker stehen stramm, was mich ein bisschen überrascht: In Frankreich gab es diese Männchen kaum! Aber sonst habe ich mit denselben Spielzeugen aus den 90ern gespielt, die auch ausgestellt werden: Puppen, kleinere Züge, Playmobil...

Ab dem 18. Jahrhundert war der Zweck des Spielzeugs sehr klar für die bürgerlichen Familien: Die winzigen Figuren müssen vor allem als Lehrmaterialien für die Kinder dienen. In dieser Miniaturwelt aus Holz und Blei übernehmen die Leitbilder der Gesellschaft jener Zeit die Macht. Die Puppenstuben sollen die Mädchen auf ihr zukünftiges Leben als Hausfrau vorbereiten, während sich die Jungen durch die Heere aus Zinn und Blei an das Tragen der Uniform und an ein patriotisches Verhalten gewöhnen sollen.

Das Museum stellt auch die aktuelle Entwicklung des Spielzeugs infrage, insbesondere die Umwälzungen, die von der Allgegenwart der Bildschirme verursacht wurden — bis hinein ins Kinderzimmer.

Ich bin ja der Meinung, dass eine Kindereisenbahn oder eine Stoffpuppe mehr Raum für die Vorstellungskraft eines Kindes lassen als Pixel. Dennoch glaube ich auch, dass wir uns an die Idee gewöhnen sollten, dass die Tablet-Computer allmählich die Teddybären ersetzen werden. Und dass die Pokémons und andere virtuellen Charaktere noch sehr lange glücklich leben werden.

Keine Kommentare