Pianist mit Botschaft: Igor Levit wendet sich digital an die Welt
8.4.2020, 08:12 UhrTatsächlich ist Engagement für Levit erste Bürgerpflicht. Er, der von seinen jüdischen Wurzeln kein großes Aufhebens macht, spricht Klartext gegen rechte Ausgrenzung und die Diffamierung von Geflüchteten, er legt sich mit der AfD an und erhielt im letzten Herbst sogar Morddrohungen. Programmatisch fiel seine Antwort in Form eines Essays im Berliner Tagesspiegel aus: "Habe ich Angst? Ja, aber nicht um mich..."
Levit gehörte zu den ersten, die als Zeichen des Protests gegen die Auszeichnung der Rapper Farid Bang und Kollegah 2018 ihren Echo-Klassik-Preis zurückgaben. "Antisemitischen Parolen eine solche Plattform und Auszeichnungen zu geben, ist unerträglich", meinte er verärgert.
Vergangene Woche durfte ich auf Einladung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier mein Hauskonzert im Schloss Bellevue spielen. Auf dem Programm: Beethovens Waldstein Sonate. Es war mir eine große Ehre. Hier könnt Ihr das Konzert sehen. https://t.co/lGLoe718eU via @YouTube
— Igor Levit (@igorpianist) April 7, 2020
So eine konsequente politische Äußerungsmentalität ist in der Klassik-Szene ungewöhnlich. Wo sich Liedermacher wie Konstantin Wecker und Bands wie die "Toten Hosen" und andere schon immer offen in gesellschaftskritische Diskussionen einschalteten, sind die Parteigänger von Mozart oder Brahms oft den harten sozialen Sphären in Richtung "Dem Wahren, Schönen, Guten" entrückt.
Und doch hätte Levits aufrechte Haltung nicht so viel Einfluss, wenn er nicht auch ein genialer Klavierkünstler wäre. 1987 wurde er in Nischni-Nowgorod geboren, wo bereits als Sechsjähriger mit dem dortigen Philharmoniker öffentlich konzertierte. 1995 übersiedelte die Familie nach Hannover. Als Zwölfjährigen finden wir ihn schon am Salzburger Mozarteum, ein Jahr später studiert er am neugegründeten Institut zur Frühförderung musikalisch Hochbegabter in Hannover. Und hier trifft er auf eine gleichaltrige Pianist(inn)enhoffnung aus der Nachbarstadt Hildesheim: Joana Mallwitz.
Mit Mallwitz in Nürnberg
Seither haben sich die beiden nicht aus den Augen verloren. Und so war es durchaus eine Ansage mit Signalwirkung, als Mallwitz 2018 ihr Amt als Nürnberger Generalmusikdirektorin mit Levit als Solisten antrat. Die Botschaft kam an: Eine neue Generation ist gewillt, die hohe Verantwortung dafür zu übernehmen, dass das reiche Erbe der klassischen Musik aus dem 18. bis zum 20. Jahrhundert im neuen Jahrtausend nicht versiegt.
Als am Anfang der Corona-Ausgehbeschränkungen die Bayerische Staatsoper das Akademiekonzert mit Joana Mallwitz am Pult ohne Publikum via Livestream übertragen wollte, kam es nicht dazu, weil sich schon zu viele Mitglieder des Orchesters in Quarantäne waren. Wer sprang ein? Igor Levit, dem die merkwürdig antiseptische Atmosphäre bewusst war.
Man kann es nämlich nicht genug unterstreichen: Auch das Publikum ist mit seiner Aufmerksamkeit (oder dem Fehlen derselben), mit seinen Spontanreaktionen ein wichtiger Player in Live-Konzerten. Interpreten wollen sich getragen fühlen. Das stille Kämmerlein eignet sich dafür nicht.
Der Vorteil von solchen Übertragungen, bei denen die Webcam den Künstlern ganz nah auf die Pelle rückt: Erstmals wird vielen aufgefallen sein, dass Levit ein Faible mit Schauspieler Lars Eidinger teilt, dem zum Nagellack. Aber das kann nur Sekundenbruchteile irritieren, denn das Spiel des 33-Jährigen nimmt mit seiner extremen Perfektion, seinem unbedingten Ausdruckswillen und seiner zwingenden Art, auch das zwischen den Noten Ungesagte hervorzuzaubern, vollends ein.
Ohne Zweifel, Levit ist einer, der etwas zu sagen hat. Nonverbal, aber auch verbal. Etwa, wenn er immer dienstags ab 19.05 auf BR-Klassik in den viel zu unbekannten Kosmos der 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven abtaucht, aus dem die meisten nur den langsamen Satz der "Mondschein-Sonate" hervorkramen können.
Im Gespräch mit seinem engen Freund, dem Beethoven-Kenner Anselm Cybinski erörtert er in diesen einstündigen Podcasts Werk und Wesen, Wirkung und Wahrheit, Willensstärke und Widersprüche dieses variantenreichen Ouevres, in dem der ganze Beethoven wie im Brennglas enthalten ist. Das hat nichts von einer Lehrstunde, sondern ist frei von der Leber weg mit extremem Bezug ins Diesseits erzählt. Nicht die schlechteste Art, die Corona-Zeiten sinnvoll zu gestalten.
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