Söder im Interview: "Die Bevölkerung verhält sich sehr gut"
1.4.2020, 20:02 UhrHerr Söder, haben Sie schon einmal gezählt, wie viele neue Fans Sie seit der Coronakrise haben?
Ehrlich gesagt: Ich lese zurzeit so gut wie keine Meldungen über mich. Ich bin rund um die Uhr damit beschäftigt, wie wir Bayern durch die Krise steuern können. Wir reden mit allen: mit Krankenhäusern, Ärzten, Unikliniken, Wissenschaftlern, Banken, der Wirtschaft und Gewerkschaftern. Daneben versuche ich täglich, zusätzliche Schutzmasken und Atemgeräte zu akquirieren. Da bleibt wenig Zeit für Gedanken über Haltungsnoten. Auch wenn es gut tut, dass die Menschen unser Handeln unterstützen.
Niemand wünscht sich eine Aufgabe wie die, in die Sie hineingeraten sind. Liegt Ihnen die Rolle als Krisenmanager?
Das ist nichts, was Freude macht. Für mich gibt es jeden Tag einen entscheidenden Moment: Wenn ich erfahre, wie viele Menschen sich neu infiziert haben und wie viele gestorben sind. Das sind einschneidende Zahlen, die einen wirklich bewegen. Aber wir können uns nicht wegducken. Wir müssen das bewältigen, und zwar im Team.
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Im Moment gelten die Ausgangsbeschränkungen bis 20. April. Glauben Sie, dass die Gesellschaft eine weitere Verlängerung durchstehen kann?
Wir haben die Maßnahmen nicht verschärft, sondern nur verlängert. Bei den Zahlen, die wir täglich erhalten, liegt die Infektion schon länger zurück. Wir sehen daher im Moment, dass es nach wie vor hohe Infektions- und Todeszahlen gibt, aber wir spüren einen leichten Trend. Es beginnen sich die Schulschließungen auszuwirken. Wir hoffen, dass die Ausgangsbeschränkung diese Entwicklung weiter begünstigen kann.
Können Sie verstehen, dass das viele an ihre Grenzen bringt, Familien beispielsweise oder alte Menschen?
Natürlich sehe ich das. Wir rücken jetzt die psychische Betreuung älterer und einsamer Menschen stärker in den Mittelpunkt. Das Sozialministerium und viele Ehrenamtliche kümmern sich rührend darum. Auch die Kirchen leisten großartige Arbeit in der Seelsorge. Fest steht aber auch: In der Abwägung ist es wichtig, dass wir das Gesundheitssystem massiv hochfahren und gleichzeitig soziale Kontakte reduzieren. Andere Länder haben viel einschneidendere Maßnahmen beschlossen. Wir agieren angemessen.
Sie haben sich gegen eine Schutzmaskenpflicht ausgesprochen. Lässt sich das durchhalten – selbst Mediziner befürworten das mittlerweile?
Wir müssen zunächst ausreichend Schutzmasken organisieren, damit wir Ärzte, Pfleger und Schwestern in den Kliniken und Heimen schützen können. Wir haben hier einen nationalen Engpass. Mit einfachen Masken kann man seine Mitmenschen vor Ansteckung schützen, aber umgekehrt leider sich nicht selbst. Einfache Masken können sinnvoll sein, aber jetzt brauchen wir erst einmal genügend Hochsicherheitsmasken für das medizinische Personal. Und es soll auch niemand glauben, mit einfachen Masken oder Schals könne man die Wirkung der Ausgangsbeschränkung ersetzen. Die Menschen müssen sich bitte noch gedulden, auch wenn das Wetter schön wird. Nach Ostern wissen wir, ob unsere Maßnahmen wirken.
Sie sagen selbst, dass Sie dem Frühling mit gemischten Gefühlen entgegen sehen. Andere Länder schränken die Bewegungsfreiheit ihrer Bewohner weit massiver ein. Muss das nicht auch kommen?
Wir sind dafür kritisiert worden, dass wir zu schnell handeln. Wir wissen heute jedoch, dass wir richtig entschieden haben. Unsere Experten sagen, dass wir mit der aktuellen Strategie gut aufgestellt sind. Aber wir können nicht sicher sein, wie sich die Zahlen dauerhaft entwickeln. Es zählt einzig die Zahl der Neuinfektionen. Nur wenn wir die Verdoppelung auf über zehn Tage strecken können, können wir über anderes reden. Es ist wichtig, dass wir Geduld bewahren. Ich bitte unsere Bürgerinnen und Bürger weiter um Verständnis. Unsere Polizei wird kontrollieren, ob sich jeder an die Regeln hält. Wir müssen die Unvernünftigen vor sich selbst schützen.
Die hat allein am letzten sonnigen Samstag gut 7000 Verstöße registriert.
Richtig. Aber zum Vergleich muss man sehen: Wenn die Polizei an einem Wochenende ein paar hundert Verstöße feststellt, klingt das nach viel. Aber im normalen Straßenverkehr liegt die Zahl an Verstößen um ein Vielfaches höher. Die Bevölkerung verhält sich sehr vernünftig. Deshalb verschärfen wir nicht, sondern verlängern nur.
Sie waren auch mal Finanzminister. Sie wissen, was es heißt, wenn Sie bis zu 60 Milliarden neue Schulden machen. Sie abzubauen wird eine Aufgabe für Generationen werden. Müssen Sie nicht bei Ihren vielen Wahlgeschenken einiges wieder zurücknehmen?
Im Gegenteil. Was wir bisher investiert haben, ist in der Krise Gold wert. Das Pflegegeld hilft gerade der älteren Generation in dieser schwierigen Zeit. Familiengeld, Kindergartenfreiheit und Kita-Zuschuss unterstützen berufstätige Eltern in der Krise. Vor allem aber hilft uns das starke finanzielle Polster des Freistaats. Unsere Bonität ist sehr hoch. Trotzdem bedroht diese Krise die Wirtschaft und den Wohlstand aller. Es gibt nicht viele Länder, die ein Programm wie Bayern von einem ganzen Jahreshaushalt für Soforthilfen, Bürgschaften und Beteiligungen stemmen können. Wir müssen jetzt das Überleben unserer Wirtschaft und der Arbeitsplätze sichern. Wenn wir die Phase des Stillstands überwunden haben, werden wir mit einem Konjunkturprogramm nachlegen. Ich erinnere daran, dass auch die Finanzkrise eine gewaltige Herausforderung war. Danach waren wir fast stärker als zuvor. Bayern kann und wird dies überleben – vielleicht sogar besser als die meisten anderen Regionen in Europa.
Staaten wie Italien rufen nach Finanzhilfen über EU-Bonds. Wie solidarisch wird die Bundesrepublik Deutschland sein, die sich noch wehrt?
Natürlich werden wir solidarisch sein. Eurobonds sind dabei aber der falsche Weg. Besser sind Direkthilfen der europäischen Investitionsbank und große Summen aus dem ESM-Rettungsschirm. Zusätzlich muss die EU-Kommission einen Marshallplan für ganz Europa entwickeln.
SPD-Chefin Saskia Esken verlangt eine Vermögensabgabe der Reichen. Sie auch?
Das ist ein ideologisches Instrument zur denkbar falschen Zeit. Wir wollen Unternehmen erhalten und nicht belasten. Eine symbolisch-ideologisch fixierte Steuererhöhungsdebatte schadet nur. In keinem Land wird so etwas diskutiert.
Wie müssen wir uns für die Zukunft aufstellen und für die nächste Pandemie rüsten?
Hoffentlich gibt es bis Ende des Jahres einen Impfstoff. Die Medizin hat sogar Ebola besiegt, da muss dies doch ebenfalls gelingen. Wenn alles überstanden ist, müssen wir aber eine "nationale Notfallapotheke" aufbauen. Wir müssen klären, welche Medikamente oder welche medizinischen Geräte und Produktionskapazitäten im Land für Notfälle vorgehalten werden müssen.
Viele glauben, dass es nach der Krise mit der Globalisierung nicht mehr weiter gehen wird, dass wir wieder regionaler denken müssen. Ist das naiv?
Unser Wohlstand beruht auf dem Export und damit der Globalisierung. Wir müssen unterscheiden zwischen der Wirtschaft auf der einen Seite und Klima- und Artenschutz auf der anderen. Dort sind regionale Kreisläufe sinnvoll, etwa bei der Lebensmittelproduktion oder der Energieerzeugung. Es darf kein Entweder-Oder sein, wir brauchen beides.
Polen und Ungarn schotten sich gerade ab, Viktor Orban führt in Ungarn eine Autokratie ein, im Windschatten der Krise. Wie sehr sorgt Sie das mit Blick auf Europa?
Das europäische Modell ist extrem herausgefordert. Viele Nationalstaaten sind zu sehr auf sich fixiert. Es fehlt der europäische Geist. Ich muss oft mit unseren Nachbarn, zum Beispiel aus Tschechien, telefonieren. Das sind lange und nicht immer einfache Gespräche, wenn es beispielsweise um Pflegekräfte geht, die aus Tschechien täglich zu uns pendeln. Europa ist mehr gefordert, als viele im Moment vermuten.
Sie klingen wie jemand, der gerade das ideale Training für eine Kanzlerkandidatur durchläuft mit der nationalen Rolle, die Sie gerade spielen. Reizt Sie das nicht doch?
Nein. Meine Aufgabe ist hier. Ich kann jeden, der auf die Kanzlerkandidatur spekuliert, beruhigen: Ich bin ein Franke, der gern in Bayern lebt und nicht nach Berlin will.
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