Mehr als Romantik? Warum Köpke für den Club wichtig werden könnte
30.8.2020, 05:56 UhrZur 60. Spielminute stimmen die Fans in der Nordkurve des Max-Morlock-Stadions traditionell eines der Fanlieder an, die wohl am längsten in den Ohren der Stadionbesucher verweilen. "Als ich noch ein ganz kleiner Bub war, da nahm mich mein Vater mit zum Club", singen sie dann, wenn sich Tausende kräftige, lauthals schreiende und oftmals tätowierte Männer nach Fußball-Romantik sehnen und sich an die Zeit erinnern, als sie als kleine Jungs den 1. FC Nürnberg lieben lernten. Als sie an der Seite – oder auf den Schultern - ihres Vaters den ruhmreichen Altmeister und seine legendären Spieler im Stadion spielen sahen.
Als Pascal Köpke noch ein ganz kleiner Bub war, da spielte er für den Club – wie einst sein Vater Andreas, der Jahrhunderttorhüter, "Deutschlands Nummer Eins", wie ihn die Stadionbesucher damals im Frage-Antwort-Gesang bezeichneten. Ein ganzes Jahrzehnt lief Köpke Junior, der anders als sein Vater lieber Tore erzielte als verhinderte, für den fränkischen Liebes- und Leidensverein in der Jugend auf, ehe er sich als 17-Jähriger in den Seniorenfußball traute und nach Unterhaching wechselte. 2013 war das. Und dann vergingen die Jahre. Und er zog in verschiedenen Städten ein. In manchen fand er sein Glück, in manchen nicht.
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So oder so, der gebürtige Hanauer, der seine frühe Kindheit ob des Engagements des Vaters bei Olympique Marseille an der Côte d'Azur verbrachte, wurde nicht müde zu betonen, dass seine Heimat in Nürnberg liegt – und somit auch beim 1. FC Nürnberg. Den Club bezeichnete der 24-Jährige, der beim Bestehen des obligatorischen Medizinchecks am Montag seine Signatur unter den Vertrag setzen und an alte Wirkungsstätte zurückkehren wird, anlässlich seines Wechsels an den Valznerweiher nicht nur als Jugend-, sondern "mehr noch, als Herzensverein". So charmant und romantisch der Transfer, den sich Sportvorstand Dieter Hecking eine sechsstellige Ablösesumme kosten lässt, in Anbetracht der Erfolgsgeschichte des Vaters und der engen Verbundenheit des Neuzugangs mit Stadt und Verein auch anmutet. So euphorisch die "Rückkehr des verlorenen Sohnes" in der Noris erwartet wird. Teil der Wahrheit ist auch, dass Köpke zuletzt in Berlin kaum zum Einsatz kam, nur 264 Pflichtspielminuten in den vergangenen beiden Saisons sammelte, in dieser Zeit keinen der fünf Trainer beim Hauptstadtklub endgültig von sich überzeugen konnte. Und dass der Schriftzug "Köpke" auf dem Trikot eben nur an Erfolg erinnert, ihn aber nicht zwangsläufig verspricht.
Als Pascal Köpke noch ein ganz kleiner Bub war, da spielte er mit seinem Vater, der sich freilich ins Tor stellte, im Garten Fußball. Der Junior übte sich indes im Abschluss: "Gerade als ich klein war, hat er immer viele Bälle durchgelassen und ich dachte: Wow, wie gut bin ich denn. Heute weiß ich: Wenn er Ernst gemacht hätte, hätte ich wahrscheinlich nie getroffen und das Fußballspielen vielleicht sogar irgendwann sein lassen", erzählte er einst. Er hat es nicht sein lassen. Stattdessen hat er versucht, von der langjährigen Erfahrung des Nationaltorhüters, der "weiß, wie Stürmer ticken", zu profitieren: "Wir sprechen intensiv über Spielszenen, wie gucke ich einen Torhüter aus und solche Sachen." Auch deshalb zeichnet sich der Angreifer mittlerweile durch seine Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor aus, wurde ähnlich wie sein Vorbild Thierry Henry im Laufe seiner Karriere immer effektiver, weil er die Bewegung der Schlussmänner zu antizipieren versteht.
Was dem einstigen Auer Top-Torschützen im Vergleich zum französischen Weltklasse-Stürmer fehlt? Natürlich enorm viel. Wie kann es auch anders sein. Nach Ansicht seines früheren Hertha-Trainers Pal Dardai liegen die Defizite des temporeichen Angreifers besonders in der Handlungs- und Entscheidungsschnelligkeit - einer der Kompetenzen, die Henry von der breiten Masse der Stürmer abhob, war er doch stets immer einen Schritt schneller als seine Widersacher – physisch und gedanklich. Nachholbedarf besteht zudem, bei einer Körpergröße von 1,78 Metern nachvollziehbar, im Kopfballspiel. Ein klassischer Mittelstürmer, ein kantiger, wuchtiger Neuner, ein Sturmtank à la Neuzugang Manuel Schäffler, ist er demnach nicht. Ein kleiner, wendiger, pfeilschneller und dribbelstarker Flügelspieler ist er aber auch nicht. Pascal Köpke ist vielmehr ein Hybrid der genannten Positionen. Vom Tagesspiegel wurde er verglichen mit der Berliner Konkurrenz zuletzt im Angreifer-Kontinuum auf halber Strecke zwischen Strafraumstürmer Vedad Ibisevic und Konterspieler Dodi Lukebakio verortet.
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In Nürnberg fehlte ein solcher Spielertyp bisher, wie Dieter Hecking die Beweggründe für die Verpflichtung des 24-Jährigen, einem weiteren "Puzzleteil" für den Kader der neuen Zweitliga-Saison 2020/21, auf der Vereinswebsite erklärte. Die ersten Puzzleteile für die in der vergangenen Spielzeit überwiegend harmlose Abteilung Tore wurden und werden mit dem wuchtigen Schäffler und dem wendigen Sarpreet Singh vom neuen Cheftrainer Robert Klauß derzeit in die Mannschaft eingebaut. Drückt man im Bezug auf den Niveauunterschied zu dessen sächsischen Ex-Klub und mancher Differenzen im Spielerprofil ein Auge zu, so erkennt man – bezogen auf die Spielertypen - Parallelen zwischen dem Neuzugangs-Trio Schäffler-Singh-Köpke und Leipzigs Offensiv-Trio Schick-Sabitzer-Werner. Daraus lässt sich die potenzielle Rolle, die Hybrid Köpke neben einem spielstarken Passgeber und einem wuchtigen Sturmtank im Club-Spiel einnehmen könnte, ableiten.
Analog zu Leipzigs und nun Londons Timo Werner dürfte Nürnbergs Neuverpflichtung mutmaßlich nicht als alleinige Spitze auflaufen. Zwar versteht es der 24-Jährige, Bälle mit dem Rücken zum Tor festzumachen, seine Kopfballschwäche erlaubt es ihm aber nicht, als alleiniger Zielspieler in vorderster Front zu agieren. Seine größte Stärke sind – ebenfalls analog zu Werner – das freie Bewegen, die Tempo- und Tiefenläufe in Räume, die ein Sturmtank der Kategorie Schick, Poulsen oder eben Schäffler für ihn öffnet. Eine exemplarische Situation aus dem Testspiel gegen Türkgücü, die jenen möglichen Weg vors Tor - natürlich noch ohne den neuen Mann mit der Nummer 20 - aufzeigte: In der 23. Minute schlägt Celebi einen weiten Ball auf Zielspieler Schleusener, der die Aufmerksamkeit des linken Innenverteidigers auf sich zieht und per Kopf in den freien Raum in dessen Rücken auflegt. Letztendlich erreichte der eingelaufene Singh den Pass zwar nicht rechtzeitig, die Idee des Angriffs war jedoch klar erkennbar und dürfte mit Köpke auf dem Platz noch öfter Anwendung finden.
Kurz: Bälle in den Lauf dürften dem Spiel des gebürtigen Hanauers eher entgegenkommen als Bälle in den Fuß. Entsprechend könnte der 24-Jährige an der Seite eines wuchtigen Kollegen, um den er im Doppelsturm ausgestattet mit sämtlichen Freiheiten umherwirbeln darf, oder als hängende Spitze gut ins neue Nürnberger Spiel passen.
In einem 4-2-3-1 oder einem 4-3-3 könnte der zugleich agile und robuste Köpke auch als Außenstürmer, die unter Klauß tendenziell - anders als klassische Flügel – ohnehin zentraler und etwas eingerückt agieren, funktionieren. Die Tiefenläufe bieten sich dann in Verbindung mit den Schnittstellenpässen des Zehners oder Flügelpendants, beispielsweise eines spielstarken Sarpreet Singh oder Nikola Dovedan, optimal an, um hinter die Abwehrkette und vors Tor zu kommen. Apropos Mittelfeldspieler: Durch seine Laufbereitschaft und sein Gespür für freie Räume war der fleißige Hanauer besonders in Aue zumeist vielseitig ins Spiel eingebunden, immer anspielbar, schuf andauernd Optionen für Passgeber und Räume für seine Mitstreiter – und könnte somit auch in der Noris enorm wichtig fürs Verbindungsspiel werden.
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Könnte, könnte, Fahrradkette. All das sind taktische Gedankenspiele, wie, wo und warum Pascal Köpke in Nürnberg funktionieren könnte. Die Entscheidung liegt bekanntlich auf dem Platz und in der Kompetenz des neuen Cheftrainers. Der darf sich allenfalls, glaubt man den Beurteilungen seiner Kollegen und früheren Köpke-Trainer Pavel Dotchev und Domenico Tedesco, über einen Spieler mit "einem Torriecher" und einem "außergewöhnlich guten Abschluss" freuen. Und somit möglicherweise von der fußballerischen Erziehungsarbeit des Jahrhunderttorhüters profitieren, übte dieser mit seinem Sohn doch früher im Garten das Schießen und ließ da auch gerne - dem Selbstvertrauen seines Juniors zu Gute - den ein oder anderen Ball durch. Damals, als Pascal Köpke noch ein ganz kleiner Bub war.
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