Heinrich Steinfest zeigte bildliche Sprachgewalt voller Ironie
5.11.2014, 08:30 UhrDas alles ist reichlich seltsam! Also stellen sich zwangsläufig diese Momente ein. Jene Augenblicke im Verlauf der Lektüre von Heinrich Steinfests jüngstem Roman „Der Allesforscher“, wo man das Buch kurz beiseite legt, um sich zu fragen: „Oha! Welches Zeug hat dieser Autor wohl geraucht?“
„Oha!“ Auch Steinfests Ich-Erzähler und Protagonist Sixten Braun kommt angesichts der Bizzarerie seines Lebens nicht umhin, diese Exklamation als Leitmotiv zu wählen. Und so ist es logisch, dass es bei der Geburt eines derart skurrilen Paralleluniversums ordentlich zu knallen hat.
Ja, es gast und gärt bis sich das Innenleben eines Pottwals mit voller Wucht nach außen ergießt – mitten in die südtaiwanische Metropole Tainan und mitten ins Gesicht besagten Sixten Brauns, dem bei soviel Innerlichkeit freilich das Licht ausgeht!
„Spot an!“ hieß es indes beim zweiten Schwabacher LesArt-Event für ein Duo, das sich kurzweilig durch den Abend plauderte. So pries Literaturkritiker und ARD-„Druckfrisch“-Moderator Denis Scheck „seinen“ Autor Heinrich Steinfest überzeugt als einen Mann, der für „unglaublichen Unterhaltungswert“ stehe.
Und in der Tat: Die Scheinwerfer, die der Literat im Anschluss auf sein Machwerk justierte, richteten sich gleichermaßen auf eine geheimnisvolle Ärztin, die beim Sex aus Prinzip angezogen bleibt, wie auf einen Flugzeugabsturz mit leidlich glücklichem Ausgang. Sie beleuchteten das Matriarchat einer Tiroler Almhütte ebenso wie zwei Tote mit Messerwerfer- und Rache-Allüren oder einen asiatischen Kosmetikmagnaten, der zufrieden zum Knödelspezialisten avanciert ist.
Nicht zuletzt hatte dabei auch der mehr als hochbegabte Knabe Simon (ein waschechter Taiwaner) in den Fokus zu rücken. Der nämlich nimmt kletternd, zeichnend sowie unglaublich sozialkompetent die zentrale Rolle in Steinfests Buch und im Alltag des Ich-Erzählers ein – samt einem nasengepiercten Fräulein vom Amt übrigens, das gerne Simons Adoption in die Wege leitet...
So weit, so eigenartig. Doch gerade angesichts all dessen ließ Denis Scheck vor ausverkauftem Haus keine Zweifel zu: Nein, sie könne einfach nicht überlesen werden, diese unbändige Lust Heinrich Steinfests am Fantasieren, Fabulieren und Philosophieren.
Denn Steinfest entwirft den Nebenentwurf zur Realität. Er lässt nicht nur eine, sondern gleich mehrere Sonnen aufgehen, verkleidet die Eingangs-Szenerie als „Actionpainting“ oder toupiert einen Wetterumschwung in den Bergen zur gepuderten Barockperücke auf.
So viel bildliche Sprachgewalt, die im Schulterschluss mit viel Groteske, Ironie und Zynismus daherkommt, findet Anklang. Nicht nur beim Lesepublikum, sondern auch bei der Jury des Deutschen Buchpreises. Die hatte den „Allesforscher“ auf die Liste der besten Neuerscheinungen gesetzt.
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